Humboldt-Forum:"Wir sind ein Land mit Migrationshintergrund"

Humboldt Forum Opens Ethnological And Asian Art Museums

Gut vorbereitet: Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung der ethnologischen Ausstellungen des Humboldt-Forums in Berlin.

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Der Bundespräsident fordert ausgerechnet im Berliner Humboldt-Forum, die Verbrechen des Kolonialismus aufzuarbeiten.

Von Jörg Häntzschel

Es kommt nicht oft vor, dass Festredner ihren Auftritt zu einer Grundsatzkritik an dem zu feiernden Ereignis nutzen. Doch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie taten bei der Eröffnung des Berliner Humboldt-Forums am Mittwoch genau das.

Steinmeier, so verlautete aus dem Bundespräsidialamt, habe sich seit Monaten auf die Rede vorbereitet und mit den Verantwortlichen, aber auch mit vielen Kritikern gesprochen. Als Klaus-Dieter Lehmann, der damalige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, vor mehr als 20 Jahren die Idee für dieses neue Weltmuseum hatte, sei er überzeugt gewesen. Heute, so ließ Steinmeier durchblicken, sei er skeptischer. "So, jetzt steht es hier. Und nun?", fragte er.

So vieles habe sich verändert in dieser Zeit: In Berlin "ist heute die Welt nicht nur zu Gast. Die Welt ist hier zu Hause (...) Menschen aus allen Teilen der Welt leben heute in Deutschland (...) Sie gehören zu dem, was heute ,deutsch' bedeutet." Und weiter: "Sie sind nicht Menschen mit Migrationshintergrund - wir sind ein Land mit Migrationshintergrund!"

Er könne sich keine besseren Namensgeber für dieses Haus vorstellen als die Humboldt-Brüder. Aber wenn man ihren Anspruch ernst nehme, "dann darf dieses Forum nicht nur die Idee der Aufklärung feiern, sondern es muss selbst aufklären. Und das bedeutet, die historische Realität der Aufklärung, die politische Geschichte der westlichen Moderne kritisch zu hinterfragen: Auf wessen Schultern wurde die westliche Moderne erbaut? Zu welchen Kosten, mit welchen Widersprüchen, welchen Ungerechtigkeiten? Mit welchen Folgen bis in unsere heutige Welt?"

Diese Fragen, so Steinmeier, würden heute weltweit gestellt, auf "Black Lives Matter"-Demos, in Debatten um Diskriminierung - sie müssten, forderte er, auch das zentrale Thema des Humboldt-Forums werden. Es sei "so historisch falsch wie politisch gefährlich, diese Debatten als ,Identity Politics' abzutun". Und: "Nein, diese Fragen sind, ganz im Sinne der Aufklärung, universale Fragen."

Dazu gehöre auch die Frage, wie die Museen mit den Objekten umgehen, hinter denen "eine Geschichte von Unterwerfung, Plünderung, Raub und Mord steht". Im Foyer des eben fertiggestellten, sehr traditionell konzipierten Museum sagte Steinmeier: "Museen, die nicht nur Artefakte präsentieren, die sich auch der Geschichte des Kolonialismus ernsthaft stellen, werden anders aussehen müssen als traditionelle Museen."

Steinmeiers Rede war ein erinnerungspolitischer Parforceritt

Der Kolonialismus und seine Verbrechen, "Eroberung, Unterdrückung, Ausbeutung, Raub, Mord an Zehntausenden von Menschen", seien in Deutschland "lange vergessen" gewesen, seien immer noch "blinde Flecken" und "Leerstellen". Solange das Bewusstsein dafür nicht wachse, werde der Alltagsrassismus aber nicht enden. Erst wenn "dieses Forum tatsächlich zum Forum wird, zu einem Ort, an dem diese Debatten geführt werden (...), dann hätte sich die Frage nach seiner Sinngebung beantwortet", sagte Steinmeier.

Zum Schluss seines erinnerungspolitischen Parforceritts ging der Bundespräsident auf die Debatte um die vermeintliche "Konkurrenz" von Kolonialismus und Holocaust in Deutschlands Erinnerungskultur ein. "Die Erinnerung an den Holocaust steht der empathischen und bewussten Erinnerung an andere Ungerechtigkeit, anderes Leid nicht entgegen! Im Gegenteil: Die Gebrochenheit, die die Shoah uns hinterlässt, öffnet unseren Blick und weitet unser Herz für die Verantwortung vor der Geschichte."

Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie plädierte für ein ehrliches Geschichtsbild

Noch sehr viel deutlicher wurde die bekannte nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, die nach dem Bundespräsidenten sprach. Sie sagte den Zuhörern, von denen ein großer Teil den Wiederaufbau der historischen Fassade mit ihrer Spende finanziert hatten, das Schloss stehe "für Deutschlands Sehnsucht nach imperialen Zeiten". "Als Wilhelm II. hier lebte, töteten deutsche Soldaten Kinder, Frauen und Männer in Südwest-Afrika." Deutlicher noch als Steinmeier plädierte sie für ein ehrlicheres Geschichtsbild: "Wenn Deutschland von der Renaissance vor 600 und von der Aufklärung vor 300 Jahren geprägt wurde, dann können wir nicht sagen, dass das, was vor 100 Jahren passierte, keine Rolle mehr spiele." Und sie fragte: "Wissen deutsche Schulkinder, dass die 100 000 Herero von den Deutschen ermordet wurden, wissen sie von den vergifteten Brunnen und von den Frauen, die als Sexsklavinnen dienen mussten? (...) Ihnen nur einen Teil der Geschichte zu erzählen, bedeutet letztlich, zu lügen."

Auch auf die Frage der Restitutionen ging sie ein: Ein Land wie Deutschland, das sich zu Recht und Gesetz bekenne, könne nicht diskutieren, ob gestohlene Dinge ihm gehörten oder nicht. "Gebt sie einfach zurück!", rief sie.

Hartmut Dorgerloh, der Generalintendant des Humboldt-Forums, und Hermann Parzinger, als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz der Verantwortliche für die Museen, überspielten die Kritik mit Floskeln. Tatsächlich standen sie vor dem Publikum wie von der Lehrerin gemaßregelte Schulkinder. "Ich hoffe, dass viele Leute uns eine Hilfe, eine Unterstützung, eine Korrektur sind", bat Parzinger.

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