Kirche und Geschichte:So halsstarrig

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Der Bundesgerichtshof gibt einem jüdischen Kläger hoffentlich demnächst recht.

Kommentar von Ronen Steinke

Warum sind in deutschen Städten die diversen Adolf-Hitler-Straßen, Adolf-Hitler-Plätze und in Worms, Ludwigshafen am Rhein und Berlin-Lichterfelde auch die Adolf-Hitler-Stadien nach 1945 umbenannt worden? Antwort: Weil es Formen der Erwähnung gibt, die eine Ehrung darstellen. Diese Erwähnung oder auch Darstellung dann nachträglich durchzustreichen und auszuradieren: Das ist kein Reinwaschen von Geschichte, kein Übertünchen dunkler Flecken. Es ist einfach nur ein Abstandnehmen von früherer Ergebenheit. Das ist nötig.

So ist es auch bei den judenfeindlichen Schmäh-Skulpturen, die heute noch immer in deutschen Kirchen hängen, und zwar in katholischen wie protestantischen. Es geht da um ein Motiv, das im Mittelalter so populär war, dass es dafür einen eigenen Begriff gab: "Judensau". Er bezeichnete die Darstellung eines Borstenviehs, an dessen Zitzen Juden saugen oder an dessen After sich Juden zu schaffen machen. Das war Antisemitismus auf Porno-Niveau. Stürmer-Karikaturen avant la lettre. Es ist schwer zu begreifen, mit welcher Halsstarrigkeit die Kirchen sich heute dagegen verwahren, diese Skulpturen endlich mit Hammer und Meißel abzuschlagen, um sie zum Beispiel in ein Museum zu geben.

Steinerne "Judensauen" finden sich noch heute in den Domkirchen von Magdeburg, Regensburg, Freising, Köln und etwa 50 weiteren Städten, in denen sich das Kirchenvolk im Mittelalter zu judenfeindlichen Pogromen mobilisieren ließ. Die evangelische Kirche in Wittenberg, Sachsen-Anhalt, hat sich jetzt sogar bis zum Bundesgerichtshof (BGH) dagegen gewehrt, dass ein jüdischer Kläger meinte, ihre "Judensau" sei beleidigend. Die Kirche meint: Das sei halt Historie, da müsse der Jude durch. An der Kirche hänge ja immerhin auch andere Kunst, die okay oder sogar distanzierend sei. Wenn der BGH demnächst entscheidet, sollte er fragen: Genügte denn bei Adolf-Hitler-Straßen nach 1945 auch eine kleine Hinweistafel, dass die Stadt sich von Herrn Hitler distanziere?

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