Zu Zehntausenden werden sie sich niederwerfen vor ihrem Gott Allah. Stuttgarts Messehallen sind gerade groß genug, um die Gläubigen zu fassen, die hier an diesem Wochenende zu den womöglich größten muslimischen Massengebeten zusammenkommen, die es hierzulande je gab. Sie alle gehören der islamischen Glaubensrichtung der Ahmadiyya an, die sich zwar jedes Jahr zu solchen Großtreffen versammelt, diesmal jedoch noch dazu ihr 100-jähriges Bestehen in Deutschland feiert. Auch ihr geistliches Oberhaupt, der Kalif Mirza Masroor Ahmad, reist dazu aus London an.
Tatsächlich ist die Ahmadiyya, benannt nach Ahmad, einem zweiten Namen des islamischen Religionsgründers Mohammed, damit eine der ältesten muslimischen Gemeinschaften in Deutschland. Die älteste bestehende Moschee im Land etwa wurde von Anhängern eines der beiden Flügel der Ahmadiyya-Bewegung schon 1924 in Berlin-Wilmersdorf als Gebetsstätte vornehmlich aus Indien stammender Muslime gebaut.
Eine Gründung von Mirza Ghulam Ahmad
Im nordindischen Pandschab hatte der muslimische Prediger Mirza Ghulam Ahmad Ende des 19. Jahrhundert Anhänger um sich geschart und sich zum Mahdi und "verheißenen Messias" erklärt. Er verstand sich als religiöser Erneuerer, predigte einen toleranten und friedlichen Islam, folgte dessen zentralen Werten und dem Koran, wich aber in vielen seiner Thesen von der orthodoxen Lehre ab. Den Dschihad im Sinne eines heiligen Krieges beispielsweise lehnen die Ahmadi strikt ab. "Liebe für alle, Hass für keinen", lautet die Losung ihrer Versammlung in Stuttgart. Die Bewegung präsentiert sich als unpolitisch, folgt aber etwa in ihrer strengen Trennung von Männern und Frauen einem konservativen Gesellschaftsbild.
Die nach dem Tod ihres Gründers bald in zwei Lager gespaltene Bewegung fand vor allem unter gebildeten Muslimen Indiens wie auch unter Auslandsindern schnell Zuspruch. Heute soll sie verschiedenen Schätzungen zufolge weltweit zwischen zehn und zwanzig Millionen Anhänger haben. Mehrere Millionen davon leben seit der Teilung Indiens 1947 in Pakistan. Dort und in anderen muslimischen Ländern sind Menschen, die sich zur Ahmadiyya bekennen, oft religiöser Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Viele orthodox-islamische Religionsführer sehen in ihnen keine Muslime, sondern Häretiker. Gerade in Pakistan setzen muslimische Extremisten den Gemeindemitgliedern vielfach mit Terror und Vorwürfen der Gotteslästerung zu, auf der nach den Gesetzen des Landes hohe Gefängnisstrafen und sogar die Hinrichtung stehen.
In Deutschland zählt die Ahmadiyya Muslim Jamaat, der stärkere der beiden Flügel der Gemeinschaft, eigenen Angaben zufolge 55 000 Mitglieder. Als bisher einzige muslimische Religionsgemeinschaft hat sie in Hessen und Hamburg den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erlangt und ist damit den christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinde rechtlich gleichgestellt.