Horst Seehofer hatte mal ein Herz für die sogenannten kleinen Leute. Er kämpfte für sie bei Jobs, Renten und der Gesundheitsversorgung. Und er ärgerte damit manchen Kollegen und manche Kollegin bis aufs Messer. Edmund Stoiber konnte darüber jahrelang ein mühseliges Lied singen. Aber auch Angela Merkel bekam seine leidenschaftliche Hartnäckigkeit zu spüren, als sie in der Gesundheitspolitik für eine Kopfpauschale kämpfte und Seehofer sich querstellte. Dickköpfig in der Sache war er und empathisch im Einsatz für jene, die keine lauten oder gar mächtigen Fürsprecher hatten.
Den Helferinnen und Helfern eine sichere Zukunft bieten - das wäre eine hoffnungsfrohe Botschaft
Man stelle sich vor, Seehofer würde das heute für die Bedrohten in Afghanistan machen. Er würde bei den EU-Innenministern mit dem gleichen Herzen für die Aufnahme von denen kämpfen, die für Europäer arbeiteten und sich auf ein freies Leben freuten, aber jetzt um ihr Leben fürchten müssen. Seehofer würde sich an die Seite des tapferen Herrn Asselborn aus Luxemburg stellen - und all jenen in Europa die Leviten lesen, die selbst jetzt noch in der Lage sind, Europas Tore zu versperren, statt Helfern, Unterstützern, Mitstreitern eine sichere Zuflucht zu bieten. Es wäre eine wunderbare und eine angemessene Botschaft. Es stünde Seehofer gut zu Gesicht, und es würde wenigstens ein klein wenig von dem Schmerz lindern, den Deutschland, Europa, die USA vielen Frauen und Männern in Afghanistan inzwischen angetan haben.
Ab in die Nachbarländer? Genau dort sind die Taliban groß geworden
Schön wär's, kann man nur sagen. Es ist natürlich ganz anders. Seehofer singt mit im Chor der Nein-Sager. Es löst nichts bei ihm aus, dass Kanada und Großbritannien jeweils ein Kontingent von 20 000 Menschen aufnehmen würden. Es bewegt ihn kein bisschen, dass das Drama um die Ortskräfte zu einem Desaster wurde. Das Einzige, was er kann und kennt, sind die altbekannten Abwehrreflexe. Bloß keine Anreize schaffen! Ausgerechnet zum Ende seiner Karriere ruiniert er so ein Markenzeichen, das ihm sehr lange in dieser Karriere sehr diente. Schaut man nur auf ihn, dann ist das ein bemerkenswert enttäuschendes Ende. Schaut man auf die Bundesregierung als Ganzes, dann ist es für alle beschämend.
Und das ist noch nicht einmal die ganze Geschichte. Denn alle, die jetzt erklären, man müsse den Nachbarländern helfen, die Flüchtlinge aufzunehmen, sind entweder geschichtsvergessen oder besonders zynisch. Die Taliban nämlich sind nicht vom Himmel gefallen, sie sind in den Neunzigerjahren genau in jenen Flüchtlingslagern in den Nachbarstaaten groß geworden, in denen Berlin und Brüssel heute wieder viele Flüchtlinge aus Afghanistan unterbringen möchten. Was das bedeutet, erschließt sich von selbst.