Afghanistan:Das Scheckbuch allein hilft nicht

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Suche nach Zuflucht: Afghanische Frauen an der Grenze zu Iran, 21. August. (Foto: Iranian Red Crescent via www.imago-images.de/ZUMA Wire)

Grenzen dichtmachen und Geld in die Nachbarländer pumpen: So will der Westen Flüchtlingsströme aus Afghanistan unterbinden. Doch die Nachbarn werden nur die Köpfe schütteln.

Kommentar von Tomas Avenarius, Istanbul

Die Bilder vom Kabuler Flughafen sind schrecklich, die Not und das Leid überwältigend. Davon ungerührt schottet Österreichs Kanzler Sebastian Kurz seine Republik schon ab - genug ist genug -, fordert "Rückführungen" von afghanischen Flüchtlingen in die Nachbarländer ihrer Heimat. Auch der Berliner Innenminister Horst Seehofer weiß Rat. Die um ihr Leben fürchtenden Afghanen sollten in Iran oder Pakistan unterkommen. Das habe "erste Priorität". CSU-Politiker Alexander Dobrindt will über die UN Geld in die Nachbarstaaten pumpen, damit diese "die flüchtenden Menschen zumutbar unterbringen".

Dort freilich wird man die Köpfe schütteln. Das Chaos geht aus Sicht der Türkei, Irans, Usbekistans, Turkmenistans oder Tadschikistans auf die Kappe Washingtons und der Nato. Auch in Moskau, Vormacht in Zentralasien, denkt man so. Und was Krieg und Flucht in Afghanistan für die Nachbarn bedeuten, hat sich in den letzten 40 Jahren gezeigt.

Pakistan ist Beispiel dafür, wie der Zuzug von Flüchtlingen in riesigen Zahlen auch eine angeblich ähnlich gestrickte Muslim-Gesellschaft destabilisieren kann. Als die Sowjets 1979 in Afghanistan einmarschierten, flohen Millionen in das Nachbarland. In Pakistan saß der Widerstand, die CIA lieferte den Gotteskriegern die Waffen. Und die Saudis bauten in den Flüchtlingslagern jene Koranschulen, in denen die Kinder einer islamistischen Gehirnwäsche unterzogen wurden und woher die erste, zweite und dritte Generation der Taliban stammen.

Pakistan, bis heute gegängelt vom Militär, ist nun instabil, geprägt von Islamismus, militanten Unabhängigkeitsbewegungen, ethnischen Konflikten, Drogen-Mafia und Korruption. Das hat, unabhängig von der schmutzigen Afghanistan-Politik Islamabads, auch mit dem Dauerkrieg im Nachbarland zu tun.

Iran, eine der Routen der Flüchtlinge auf dem Weg in die Türkei und nach Europa? Die Islamische Republik wird sich abschotten. Seit Jahren sind Millionen Flüchtlinge im Land. Das Teheraner Regime ist nicht stabil, die Wirtschaftslage schlecht. Die Islamische Republik Iran wird schiitisch regiert, die Mehrheit der Afghanen sind aber Sunniten. Die ethnische Zusammensetzung Irans ähnelt einem Flickenteppich. Die Grenzen nun also öffnen?

Auch die autoritären Führer der nördlichen Nachbarn, der Muslim-Staaten Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan - und mit ihnen ihre Vormacht Moskau -, werden Nein sagen. Ihre Gesellschaften sind ethnisch und religiös ebenso zerklüftet, werden schlecht regiert, von islamistischer Militanz geplagt. Bei den Taliban kämpfen auch usbekische und tadschikische Militante; sie könnten nach dem Kabuler Triumph versucht sein, die Fackel des Dschihad in die Heimatländer zu tragen.

Was die Afghanistan-Flüchtlingsfrage angeht, werden die USA und die EU sich mehr einfallen lassen müssen als dichtzumachen und gleichzeitig mit dem Scheckbuch zu wedeln. Man wird mit Moskau und Ankara reden müssen. Die Lösungen, die diese Regierungen anbieten, werden Europa aber nicht gefallen. Die Türkei etwa, Heimat schon von fast vier Millionen syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen, wird kaum ein Zufluchtsort für Afghanen werden wollen. Derzeit kippt sogar gerade die einst flüchtlingsfreundliche Stimmung im Land: wegen der Tausenden Afghanen, die in den letzten Monaten bereits über Iran ins Land gekommen sind.

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