Dokumentarfilm "Wirecard - Die Milliarden-Lüge":Gezeichnet vom Skandal

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Der Münchner Blogger Jigajig hat Freunde verloren, die ihm seine Hartnäckigkeit als Spinnerei ausgelegt haben. (Foto: SFFP/Jo Molitoris/Sky/Sperl Film)

Der aufwendig recherchierte Film "Wirecard - Die Milliarden-Lüge" lässt die zu Wort kommen, die den Konzern demaskiert haben. Und zeigt neue Dimensionen des Falls.

Von Stefan Fischer

Es ist nicht so, dass niemand drauf gekommen wäre. Mindestens drei Menschen sind unabhängig voneinander zu der Erkenntnis gelangt, dass es sich bei Wirecard um eine große Lüge handelte: der Münchner Blogger Jigajig, der britische Börsenspekulant Matthew Earl und der Jurist Pav Gill aus Singapur. Um dieses Trio geht es im Dokumentarfilm Wirecard - Die Milliarden-Lüge, zu sehen bei Sky, produziert von Gabriela Sperl und inszeniert von Benji und Jono Bergmann. Es ist die zweite filmische Aufarbeitung des Wirtschaftsskandals um den insolventen Aschheimer Finanzdienstleister, nach dem umstrittenen RTL-Dokudrama Der große Fake.

Pav Gill war es letztlich, der als Whistleblower interne Informationen über Wirecard geleakt und so die Veröffentlichungen in der Financial Times auf den Weg gebracht hat. Erst vergangene Woche ging Gill im Zusammenhang mit dem Film-Start mit seinem Namen und seinem Gesicht in die Öffentlichkeit. Auch die SZ hatte schon lange vorher Kontakt zu ihm, kannte seinen Namen. Doch Gill wollte zunächst anonym bleiben.

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Ausgerechnet diejenigen, die den Betrug bei Wirecard jahrelang nicht entdeckten, könnten sich die Zahlen nun erneut vornehmen. Für den Insolvenzverwalter unvorstellbar.

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Als Jurist bei Wirecard in Singapur bekam Pav Gill mit, dass sein damaliger Arbeitgeber die Bilanzen im großen Stil fälscht, es war offenkundig auch nicht übermäßig schwer, die Beweise dafür zu sammeln. Etwas länger hat es gedauert, bis Gill klar geworden ist, dass die Konzernspitze hinter den kriminellen Machenschaften steckt.

Der Blogger Jigajig hatte schon viel früher zu recherchieren begonnen, nachdem sein minderjähriger Neffe einem Internetbetrug auf den Leim gegangen war. Und Matthew Earl verdient sein Geld damit, auf fallende Kurse von Börsenunternehmen zu setzen. Also untersucht er Bilanzen auf Schwachstellen. Bei Wirecard hat er keine Schwachstellen entdeckt, sondern ernst zu nehmende Hinweise auf Geldwäsche und Bilanzbetrug.

Zweiter Fokus des Films: der Blick auf die Verantwortlichkeiten, auch die der Bafin

Das Filmteam ist nach Singapur, Dubai und London gereist und hat in den ehemaligen Geschäftsräumen von Wirecard gedreht. Journalisten kommen zu Wort, die in dem Fall recherchiert haben. Die ausführlichen Gespräche mit Jigajig, Gill und Earl wurden überwiegend im privaten Umfeld dieser Männer geführt, ehemalige Wirecard-Mitarbeiter werden einmal an einem unbestimmten Ort, einmal in einem Kino interviewt. An diesen zumeist authentischen Orten wird die Wirecard-Geschichte in vielfacher Hinsicht konkret.

Nach Gesten des Triumphs sucht man bei Earl, Gill und Jigajig vergeblich. Sie sind eher gezeichnet von diesem Skandal: Jigajig hat Freunde verloren, weil sie ihm seine Hartnäckigkeit, mit der er dem Konzern hinterher recherchierte, als Spinnerei ausgelegt haben. Die Mutter von Pav Gill, die ihm eine Stütze war in dieser harten Zeit, hätte dem Druck, der auf ihr und ihrem Sohn lastete, gesundheitlich beinahe nicht standgehalten. Pav Gill selbst äußert in dem Fall sogar die Vermutung, dass sein Leben in Gefahr gewesen sein könnte. Matthew Earl wiederum ist erkennbar verstört darüber, dass man Kriminellen mehr glaubt als ihm und den übrigen Menschen, die dazu beigetragen haben, Wirecard zu demaskieren. Wirecards Erfolg war getragen von Tausenden und Abertausenden Anlegern, die der Aktie des Unternehmens vertrauten. Sich gegen diese Mehrheitsmeinung zu stellen, dennoch Zweifel zu äußern: Wie anstrengend das sein und wie einsam das machen kann, zeigt dieser Film.

Verstört darüber, warum man Kriminellen mehr glaubt als ihm: der britische Börsenspekulant Matthew Earl. (Foto: SFFP/Ness Whyte/Sky/Sperl Film)

Und er befasst sich mit der Frage der Verantwortung. Der ehemalige Wirecard-Vorstandsvorsitzende Markus Braun, der Ex-Vorstand Jan Marsalek und einige wenige Männer fürs Grobe sind als die mutmaßlich Bösen identifiziert. Aber noch nicht im Detail aufgeklärt ist, warum der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY jahrelang nicht aufgefallen ist, was Jigajig, Earl und Gill mehr oder weniger als Einzelkämpfer herausgefunden haben. Warum die Staatsanwaltschaft München allzu lange diejenigen nicht ins Visier genommen hat, denen Betrug vorgeworfen worden ist, sondern an den Informanten zweifelte. Und warum die Finanzaufsichtsbehörde Bafin ihren Job nicht gemacht hat. Zweimal, so erzählt Matthew Earl, habe er die Whistleblower-Hotline der Bafin angerufen. Beide Male hätten Mitarbeiter der Bafin, als Earl den Namen Wirecard erwähnt hat, aufgelegt - einmal mit dem Verweis auf angeblich zu schlechte Englischkenntnisse, einmal wortlos.

An die britische Journalistin Clare Brown wurden die internen Informationen über Wirecard geleakt. (Foto: SFFP/Ness Whyte/Sky/Sperl Film)

Vielleicht sei es Inkompetenz gewesen, sagt Earl in dem Dokumentarfilm. Oder, und das sei die finsterere Sicht: Die Bafin sei an entscheidenden Stellen korrupt. Spätestens hier macht Wirecard - Die Milliarden-Lüge klar, dass viele wesentliche Fragen in dieser Angelegenheit noch ungeklärt sind. Fragen, die sich ebenso an das Umfeld von Wirecard richten wie an den abgewickelten Konzern selbst.

Jedenfalls ist die Nüchternheit, mit der Wirecard - Die Milliarden-Lüge von all dem erzählt, die große Qualität des Films. Diese Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung hat in der Vergangenheit viel zu oft gefehlt.

Wirecard - Die Milliarden-Lüge, Sky.

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