"Vigil" auf Arte:Auf Heroin am Meeresgrund

Lesezeit: 3 min

Wer hat auf dem U-Boot jetzt das Sagen? Kapitän Newsome (Paterson Joseph) oder das Gesetz, vertreten durch die Polizistin Amy Silva (Suranne Jones)? (Foto: World Productions/BBC/Arte)

Drogen, Morde, Affären: Ein U-Boot-Thriller der BBC greift gleich eine ganze Reihe Skandale der britischen Marine auf. Manchem Zuschauer ist das zu realistisch.

Von Nicolas Freund

Das Erfolgsgeheimnis des Genres U-Boot-Film sind vielleicht einfach die eingeschränkten Möglichkeiten. Kriegs- und Spionagegeschichten in engen Räumen und Gängen mit wenigen, stets gestressten Figuren, die oft unsichtbaren Gefahren ausgesetzt sind: Das ist einerseits die absolute Selbstmarter für Filmemacher und hat andererseits schon manchen Regisseur und Kameramann erst richtig auf Kurs gebracht. Wolfgang Petersens "Das Boot" zum Beispiel hat ja nicht nur was den Einsatz der Kamera angeht Standards gesetzt, sondern noch viel mehr als nur eine Kriegsgeschichte in das enge Tauchboot gepackt.

Bei der BBC müssen sie nun gedacht haben, dieser Crashkurs in streng eingeschränktem Erzählen würde dem Drehbuchautor Tom Edge ganz guttun und bestellten bei ihm eine U-Boot-Serie. Edge ist bekannt geworden mit der Sitcom Lovesick und dem Biopic Judy über die Schauspielerin Judy Garland. Eine interessante Wahl also für einen U-Boot-Thriller. Edge jedenfalls tauchte tief in das Thema ab und mit der sechsteiligen Mini-Serie Vigil wieder auf, die in Großbritannien schon im Sommer lief und dort eine kleine politische Diskussion entfachte. Denn ein paar untergegangene Skandale waren quasi als blinde Passagiere mit an Bord gekommen.

Es geht um ein Fischerboot, das aus ungeklärten Gründen samt Besatzung in die Tiefe gezogen wird, und um einen Matrosen, der tot in seiner Koje auf dem fiktiven britischen Atom-U-Boot Vigil liegt. Wohl eine Überdosis Heroin. Ein Mord ist schon schlecht fürs Image, aber Drogen? Auf einem Atom-U-Boot? Disziplin ist auf so einem schwimmenden Waffenarsenal alles. Denn die Vigil ist Teil des "Trident"-Programms, der britischen Strategie zur Abschreckung von Angriffen mit Atomwaffen. Immer mindestens eines von vier solchen atomar bewaffneten Booten ist irgendwo unter der Meeresoberfläche unterwegs, denn falls jemand (also die Russen) auf die Idee kommen sollte, Nuklearwaffen auf die britischen Inseln abzufeuern, möchte man in der Royal Navy zumindest noch in der Lage sein, angemessen zu antworten. Die martialische Variante der britischen Höflichkeit. Viele Grüße nach Moskau.

Weil sich die Marine bei dieser Strategie natürlich keine Blöße leisten kann, müssen die Ermittlungen im Falle des toten Seemanns sozusagen bei laufendem Betrieb stattfinden. Polizistin Amy Silva (Suranne Jones) wird deshalb auf das geheime U-Boot ausgeflogen und muss unter Wasser und ohne Kontakt zur Außenwelt ermitteln. An Land geht inzwischen ihre Kollegin Kirsten Longacre (Rose Leslie, bekannt aus Game of Thrones und Downton Abbey) den Spuren nach, die zu den Demonstranten führen, die vor dem U-Boot-Hafen im schottischen Faslane gegen die atomare Abschreckungsstrategie der Regierung protestieren.

An Land führt die Spur Kirsten Longacre (Rose Leslie, rechts) in das Lager der Atomgegner. (Foto: World Productions/BBC/Arte)

Die Serie ist mit Zuschauerzahlen im zweistelligen Millionenbereich das erfolgreichste BBC-Drama der letzten Jahre, der Guardian wählte Vigil zu einer der besten Serien des Jahres 2021. In Großbritannien schlug sie ein wie ein Cruise-Missile, zumindest ein kleines. Denn die Skandale in dem U-Boot-Thriller - verschwundene Fischer, tote Seeleute, Matrosen auf Drogen - sind, man mag es kaum glauben, leider alle nicht ausgedacht: 1990 sank der Trawler Antares, weil sich sein Netz vor Schottland mit dem Atom-U-Boot HMS Trenchant verhedderte. 2017 wurden neun Seeleute aus der Navy entlassen, weil sie positiv auf Kokain getestet wurden. Und gerade wird auf der echten U-Boot-Basis Faslane wegen eines Todesfalls ermittelt. Man fragt sich doch, was das für Typen sind, die da mit einer vollen Ladung startbereiter Atomraketen durch die Weltmeere zuckeln. Manche Navy-Mitglieder, wie der pensionierte Commander Rob Forsyth in der Fachzeitschrift Warships, äußerten sich zur Authentizität der Serie, die natürlich sofort infrage gestellt wurde. Forsyth findet zwar das Verhalten der Offiziere unrealistisch und das Boot viel zu geräumig. Aber die Sache mit den Drogen, den Morden, dem Fischerboot und auch die noch gar nicht erwähnten Beinahe-Zusammenstöße mit Frachtern, die Affären zwischen Crewmitgliedern und der ausgefallene Atomreaktor - das sei alles wirklich schon vorgekommen.

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Doch so tief wollte Drehbuchautor Tom Edge in die Skandale der britischen Marine vielleicht gar nicht abtauchen. In einem Begleittext zur Serie betont er fast schon im Propagandaton, was für eine Heldentat die Arbeit auf einem solchen U-Boot sei. Trotzdem wurden in Großbritannien politische Motive hinter der Serie vermutet: Vigil solle die öffentliche Zustimmung für das Trident-Programm untergraben. Besonders in Schottland wird schließlich schon seit Jahrzehnten gegen die Atom-U-Boote demonstriert. Die Serie sei außerdem von dem zugezogenen U-Boot-Experten Feargal Dalton negativ beeinflusst worden. Denn dessen Frau, die Politikerin Carol Monaghan, setze sich seit der Fehlfunktion des Raketensystems auf einem der Trident-U-Boote für eine Untersuchung des Programms ein.

Unabhängig davon, ob die Serie politisch motiviert ist, was eher unwahrscheinlich ist, und abgesehen von den anscheinend doch teilweise gravierenden Missständen in der Royal Navy, auf die sie aufmerksam macht, soll noch unbedingt erwähnt sein, dass Vigil eine in jeder Hinsicht ganz hervorragende Thrillerserie ist. Anders als bei der Wiederauflage von "Das Boot" 2018 funktioniert der Wechsel zwischen den Szenen an Land und denen unter Wasser, schon alleine, weil hier die parallel laufenden Ermittlungen der Polizistinnen wegen der schwierigen Kommunikation zwischen den beiden sehr ungewöhnlich ineinandergreifen. Schauspiel, Ausstattung und Aufbau sind dazu durchweg top. Zu wissen, dass die Verbrechen in der Serie so ähnlich wirklich passiert sind, macht Vigil noch einmal spannender und gibt dem Ganzen einen fast dokumentarischen Zug. Nur der im englischen Original sehr starke schottische Akzent vieler Figuren verlangt nicht-muttersprachlichen Zuschauern einiges ab. Manchmal sind es ja gerade die Einschränkungen, die den entscheidenden Unterschied machen.

Vigil , sechs Folgen, in der Arte Mediathek

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