US-Serie "Veep":Bei so vielen Beleidigungen würde selbst Muhammad Ali neidisch

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Julia Louis-Dreyfus als US-Präsidentin Selina Meyer. (Foto: Sky/HBO)

"Veep" ist eine irrwitzige Persiflage auf den politischen Betrieb in Washington. Aber braucht es eine fiktive Serie mit bitterbösen Beleidigungen, wenn es einen realen Donald Trump gibt?

Setbesuch von Jürgen Schmieder

Bescheuertes Versuchskaninchen. Abgebrochene Abtreibung. Knalltüte mit der Persönlichkeit eines Chromosomendefekts. Zirkusaffe. Vollidiot. Das sind die Beleidigungen, die David Mandel gerne ausprobieren würde in dieser Szene - dazu überlegt er, was lustiger ist: Wenn der Wahlkampfleiter zu einem charmanten, aber inkompetenten Mitarbeiter sagt: "Ich könnte dich zum Präsidenten machen, wenn du zehn Prozent weniger schwarz wärest." Oder lieber: "Wenn du zehn Prozent weniger hässlich wärest."

So geht es zu bei den Dreharbeiten der HBO-Fernsehserie Veep, im April läuft die fünfte Staffel. In Deutschland werden zum Aufholen vom 22. Februar an alle Episoden auf Sky gezeigt.

So viele Beleidigungen, Muhammad Ali würde neidisch

Gewöhnlich sind Set-Besuche eine eher langweilige Angelegenheit, es wird andauernd auf-, ab- oder umgebaut, dann wird ein Teil einer Szene so lange wiederholt, bis alle zufrieden sind. Danach wird wieder auf-, ab- oder umgebaut, es folgt ein anderer Szenenteil. Dazwischen passiert schon mal sehr lange nichts.

Bei Veep ist das anders, der Dreh wirkt wie völlig außer Kontrolle geraten. Die irrwitzige Satire auf den politischen Betrieb in Washington ist das Gegenstück zum ernsten House of Cards. Es gibt derart viele Beleidigungen, dass selbst Muhammad Ali beim Betrachten der bislang 38 Folgen ein bisschen neidisch werden dürfte.

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Allerdings: Wer braucht so eine fiktive Satire mit bitterbösen Beleidigungen, wenn es in der wirklichen Welt Donald Trump gibt? Der schimpft Einwanderer aus Mexiko schon mal Vergewaltiger, die Drogen und Verbrechen ins Land bringen. Er behauptet, dass Faulheit in den Genen schwarzer Menschen liege. Er verkohlt einen behinderten Journalisten und behauptet, dass bei TV-Moderatorin Megyn Kelly "Blut aus den Ohren und wo auch sonst noch" herausgelaufen sei. Dazu hält er sich für von Gott höchstselbst geschickt, um als US-Präsident Arbeitsplätze zu schaffen.

Wer braucht da noch Veep? Selbst Hauptdarstellerin Julia Louis-Dreyfus sagte schon bei der Emmy-Verleihung im Herbst - die Serie war als beste Komödie, Louis-Dreyfus zum vierten Mal nacheinander als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet worden: "Was für eine großartige Ehre für euch, dass ihr mich heute Abend auszeichnen dürft!" Kurze Pause. "Moment, nein, nein, nein! Donald Trump hätte so was gesagt! Es wird kniffliger und kniffliger, dieses Zeug zu persiflieren."

"Italienische Tennisspielerinnen hören auch nach ihrem ersten Grand-Slam-Sieg auf"

Das ist jedoch nicht der Grund, warum Erfinder und Chefautor Armando Iannucci, der auch die britische Vorlage The Thick of It ersonnen hat, nun keine Lust mehr hat. Er hat sich, wenn man so möchte, selbst gefeuert. "Als Showrunner sucht man andauernd nach dem, der nicht alles gibt - das war in dem Fall ich", sagte er.

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Die Serie ist aufgrund von Steuererleichterungen von Baltimore nach Los Angeles umgezogen, der Schotte wollte sich die langen Flüge zu seiner Familie in England nicht mehr antun: "Italienische Tennisspielerinnen hören auch nach ihrem ersten Grand-Slam-Sieg auf, das sind doch gute Vorbilder. David Mandel kann nun die Suppe auslöffeln, die ich ihm eingebrockt habe."

Mandel ist ein herrlich unprätentiöser Mensch, er schlurft in kurzen Hosen und T-Shirt durch die Kulissen, in der Hand hält er einen Zettel, auf dem lediglich das Grundkonzept einer Folge vermerkt ist, dazu ein paar Beleidigungen und andere Ideen. Mehr braucht es nicht. Jeder Schauspieler darf Kalauer in den Ring werfen und gerne improvisieren, Tabus gibt es keine. Die Kamera läuft andauernd, könnte ja sein, dass noch was Lustiges passiert.

Mandel gibt den gut gelaunten Schiedsrichter, der erst im Schnitt gemeinsam mit Kollegen entscheidet, welche Idee die lustigste war: "Manchmal probieren wir etwas nur aus Spaß - und dann kommt es tatsächlich in die Serie. Wir kommen derart schnell mit den Dreharbeiten voran, dass wir uns am Ende noch ein paar völlig idiotische Einfälle leisten können. Bei Improvisation ist es manchmal wie mit explosivem Durchfall: Einer muss am Ende die kleinen Sachen herauspicken, die nicht so sehr stinken und tatsächlich verwertbar sind. Das bin in diesem Fall dann ich."

Mandel hat sein Handwerk bei Al Franken gelernt, einst Komiker bei Saturday Night Live, heute Mitglied des US-Senats. Er war Produzent von Curb Your Enthusiasm und Autor bei Seinfeld, er ist mit politischen Komödien und Improvisations-Serien vertraut. Nun sitzt er mit Louis-Dreyfus an einem Schreibtisch, deren Figur Selina Meyer ist mittlerweile, soviel darf verraten werden, Präsidentin der Vereinigten Staaten. Bei der Probe geht es wieder einmal um Beleidigungen, Meyer wurde in der Serie schon als Pissgesicht, die verrückte Hexe aus dem Weißen Haus oder als Gegenmittel zu Viagra bezeichnet.

Die Realität? Zu unrealistisch

"Natürlich beschäftigen wir uns mit den aktuellen Kampagnen, man kann sich dem gar nicht entziehen", sagt Mandel: "Würde ich jedoch die Sachen, die derzeit tatsächlich gesagt oder getan werden, als Ideen für Veep vorschlagen, würden sie als nicht realistisch abgelehnt werden." Darum werde es auch keinen Milliardär geben, der gegen Meyer antritt: "Wir sind kein Saturday Night Live-Sketch. Wir beschäftigen uns eher mit der Frage, wie es zu diesem Schlamassel gekommen ist. Woher kommt die Heuchelei, die Wut, die Lügen? Und dann müssen wir versuchen, noch einen Schritt weiter zu gehen als die Realität."

Einen Schritt weiter als eine Realität, in der Präsidentschaftskandidat Ted Cruz das seiner Meinung nach allzu gesunde Essen in amerikanischen Schulen kritisiert und über seine Frau sagt: "Wenn Heidi First Lady wird, dann kommen Pommes zurück an die Schulen." Noch weiter als das? Nun, wer einen Tag am Set von Veep verbracht hat, der weiß, dass das tatsächlich möglich ist.

© SZ vom 22.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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