TV-Kritik: Hart, aber fair:Wadenbeißerei und Staatsräson

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Besondere Zeiten, besondere Maßnahmen: Gleich sieben Gäste hatte Frank Plasberg zur Frage "Wo steht unser Land?" geladen. Die Frage des Abends blieb aber unbeantwortet.

Alexander Kissler

Die Brandenburger Deiche haben gehalten, doch in Berlin ist Land unter. Die Kanzlerin steht einer Regierung vor, die werkelt und streitet und strauchelt. Ihr Ansehen sinkt fast ebenso rapide wie der Euro. Die Probleme wachsen rascher als die Schulden. Und nun ging auch jener Mann freiwillig und durchaus zermürbt von Bord, der einmal Lotse sein sollte in eine freiere Zeit. Horst Köhler will nicht länger Bundespräsident sein. Die schwere Frage, mit der Frank Plasberg am Mittwochabend seine Hart, aber fair-Gesprächsrunde eröffnete, war tatsächlich am Platz: "Wo steht unser Land?"

Frank Plasbergs ambitionierte Frage am Mittwoch: "Wo steht unser Land?".  Statt aufschlussreicher Antworten gab es aber Wadenbeißerei. (Foto: dpa)

Beim ihm saßen Gesprächs- und Streitpartner, ausnahmsweise sieben an der Zahl, "eine kleine Bundesversammlung". Die einzige Frau wurde mit einem rätselhaften Zitat vorgestellt, das später weder aufgegriffen noch dementiert wurde: "Ein neuer Mensch bringt neuen Glanz." Dergleichen Poesiealbumweisheit war das Entree für die Unternehmensberaterin Gertrud Höhler. Sie hielt die tröstliche Gewissheit parat, dass auch in schwerer Not die Metaphern nicht knapp und die Gedankenblitze nicht rar sein müssen. Stirnrunzeln und Schweigen erntete sie, oft zu unrecht, von den männlichen Mitstreitern. Sie wiederum sonnte sich gern im Glanz der Ablehnung, die ihr entgegen schlug - ein Krisengewinn der lässlichen Sorte.

Vermutlich wäre Höhlers zentraler Satz gar nicht gefallen, wäre er nicht ein Echo gewesen auf einen jener Sätze, mit denen man Horst Köhler in Erinnerung behalten wird. Köhler hatte die Finanzmärkte vor gut zwei Jahren als Monster bezeichnet, das es in die Schranken zu weisen gelte. Das Wort machte schnell Karriere. Nun fiel es auf seinen Schöpfer zurück. Vom Monstrum zu Frankenstein ist es bekanntlich nur ein kurzer Weg. An den wahnsinnigen Menschenzüchter lässt Gertrud Höhlers Formulierung denken, der gewesene Präsident sei eine "Kreatur" gewesen, die Westerwelle und Merkel "sich ausdachten in ihrer Fantasie, als Beförderer eines Wechsels." Von Anfang an, noch bevor er solchermaßen gemacht war, stand darum Köhler unter Fabrikationsvorbehalt. Sein "wunderbares Amt" war laut Höhler entwertet, ehe er es antrat. Er war ein Geschöpf von fremder Hand.

Solche durchaus anregende Spekulation animierte Michael Spreng, einst Wahlkampfberater von Edmund Stoiber und nunmehr wieder politischer Journalist, zur gleichfalls monstermäßigen Rede: Sein Nachbar zur Rechten, Jürgen Trittin von den Bündnisgrünen, könne sich jetzt "den Skalp von Herrn Köhler an den Gürtel hängen." Trittin nämlich habe am deftigsten gegen den Präsidenten geledert. Das übliche Einspielfilmchen war hier endlich einmal erhellend und brachte Trittins Präsidentenschelte auf den Schirm: Köhler solle keine "Kanonenbootpolitik" betreiben, er sei geradezu eine "lose rhetorische Deckskanone" auf Heinrich Lübkes Pfaden. Auslöser für so viel Brachialpolemik war bekanntlich das Interview vom 22. Mai im Flugzeug über Afghanistan, als Köhler die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands und die Bundeswehreinsätze verknüpfte - in einem Satz, den Höhler "verquast, verkorkst" nennt, eine "verdrehte Versuchsnummer".

Ein Großteil dieser Hart, aber fair-Sendung war dem Versuch gewidmet, Jürgen Trittin eine Entschuldigung für seinen Lübke-Vergleich zu entlocken. Es misslang. Immerhin sagte der Politprofi, der gekonnt Flegelei als Aufmüpfigkeit verkaufte, gleich dreimal und wie auswendig gelernt: "Den Satz würde ich in dieser Form nicht wiederholen." Er habe nicht gewusst, dass Lübkes komisch wirkende Aussetzer auf eine demenzielle Erkrankung zurückzuführen waren. Damit aber machte er in Sprengs Augen die Sache nur noch schlimmer: Es gehöre zur "Allgemeinbildung politisch interessierter Menschen", von Bundespräsident Lübke und dessen Erkrankung zu wissen. Ansonsten solle man sich mit Vergleichen dieser Art zurückhalten - 1:0 für Spreng.

Während Trittin sich durch die verschiedenen Krisenfelder näselte und Köhlers Abgang auf den fehlenden Rückhalt in der schwarz-gelben Koalition zurückführte, gab der eigentliche Antipode ein weiteres Beispiel seiner wundersamen Selbstverpuppung. Markus Söder, ehemals CSU-Generalsekretär, war wieder als Staatsmann angereist. Er beschwor "in diesen schweren Schicksalstagen" die "staatsnotarielle Funktion" eines neuen Bundespräsidenten. Jemand, der sich auf Staatskunst im umfassenden Sinne versteht, müsse es werden. Das meinte aber dann überraschend schlicht: Nach dem Exot und Quereinsteiger Köhler heißt die Devise: "keine Experimente". Ein Politprofi aus den Reihen der Union soll es richten. Namentlich Ursula von der Leyen sei eine "mehr als respektable Kandidatin".

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, verbat es sich derweil energisch, einen "Parteisoldaten" an die "Front" zu schicken. Ansonsten verdiente sich Oppermann trotz starker Konkurrenz den Titel des Platitudenkönigs. "Wir leben doch nicht in irgendeiner Zeit", brach es aus ihm hervor. Jetzt bräuchte man "Integration an der Spitze des Staates". Köhler habe "wirklich gute Arbeit gemacht", etwa bei seinem Engagement für Afrika und bei der Finanzmarktkritik. Dieses Lob trug ihm jedoch den Vorwurf ein, der frisch gemeuchelten Leiche schöne Worte hinterzuwerfen. Söder und, nicht minder heftig, Jürgen Koppelin von der FDP kam solches Schmeicheln heuchlerisch vor. Oppermann habe doch wochenlang den Präsidenten übel gemaßregelt, "und jetzt schlagen sie sich in die Büsche!" Koppelin war sehr empört.

So wurde aus der sehr spannend begonnenen Talkshow leider eine Achterbahnfahrt aus den Tiefen des politischen Wadenbeißertums zu den Höhen der Staatsräson und wieder retour. Vermutlich sieht der Berliner Alltag genau so aus, Pragmatik trifft auf Prinzip, Hinterlist auf Utopie. Diese Mischung aber ließ die Debatte allmählich zerfasern. Welche Stimme Horst Köhler den Rücktritt eingab und ob überhaupt ein Kandidat oder eine Kandidatin für die Nachfolge in Sicht ist, die mehr wäre als ein Notnagel, wissen wir noch immer nicht. Auch das Rätsel um den neuen Glanz, den neue Menschen verströmen sollen, blieb ungelöst. Gertrud Höhler entließ das Publikum mit dem Satz in die Nacht, Angela Merkel und Horst Köhler seinen gar nicht miteinander zu vergleichen. Hierzu gewiss bald mehr.

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