TV-Kritik: "Hart aber fair":Mutti Merkel und ihre unerzogenen Jungs

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Die Regierungs-Sitcom nähert sich neuen Höhepunkten. CSU-Chef Seehofer lästert über "Freund Guido" und sagt "Och ... ja!"

Hans-Jürgen Jakobs

Die schwarz-gelbe Koalition erinnert derzeit, in ihren besten Momenten, an eine amerikanische Sitcom. Die Charaktere sind hinreichend ausdrucksstark, die Pointen kommen wellenartig daher, das Publikum wiehert oder wundert sich. Da ist zum Beispiel Angela Merkel, die "Mutti", die ihre unerzogenen Jungs mal wieder in den Griff kriegen muss, wie der Publizist Michael Spreng findet. Und da ist der running gag "Horst und Guido", das ewige Kräftemessen der Parteichefs von CSU und FDP.

Immer wieder kann in der Berliner Regierungs-Sitcom jene Szene nach dem Aushandeln des Koalitionsvertrags vorgespielt werden, als Guido Westerwelle auf der offiziellen Pressekonferenz vor Journalisten erzählt, wie er seinen bayerischem Kumpel nachts das "Du" angeboten hat und ihm dabei den Rücken klopft. "Der Beginn einer großen Freundschaft!", schauspielerte der Liberale damals im Oktober 2009 und sein Duzfreund meinte: "Erst die Arbeit, dann das Spiel!"

Jetzt also saß Horst Seehofer in einer der täglichen Hartz-IV-Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, das - wenn es so weitergeht - diesem Sujet am Ende noch mal einen eigenen Digitalkanal widmen wird. Flankiert von Spreng, der einst den CSU-Vorturner Edmund Stoiber zum Kanzler drillen wollte, machte der amtierende bayerische Parteichef und Ministerpräsident beim Kerner der ARD, Frank Plasberg, gute Miene zum bösen Spiel.

Ayurveda und Yoga gleichzeitig

Der Mann aus Ingolstadt juxte und lächelte. Seehofer wirkte, als habe er eine Ayurveda-Kur und einen Yoga-Kurs gleichzeitig gebucht. Wie zufrieden er denn mit Schwarz-Gelb sei, wie sich das entwickle? "Och ... ja", drang es aus Seehofer, nach Sekundenschweigen gefolgt von "Ja ... doch!"

Süffisant sprach er von seinem "Freund Guido", wo doch jeder weiß, dass er dem Liberalen bei den Themen Steuersenkung und Kopfpauschale mit dem Hintern ins Gesicht springen könnte. "Wegen der Kopfpauschale bin ich schon einmal zurückgetreten", erinnerte Seehofer daran, warum er 2004 sein Amt als stellvertretender Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion niederlegte.

Plasberg spielte die üblichen Passanten-Befragungsszenen ein, bei denen sich viele über das Horst-Guido-Streithammelverhältnis mokierten. Seehofer lächelte einfach. Ja, klar, Westerwelle denke an die FDP und er an die CSU. Im Prinzip aber sei alles besprochen, "es muss nur noch realisiert werden". Die Arbeit sei bisher "nicht erstklassig", seehoferte es, es sei "alles ein bisschen holprig" beim Start der Koalition gewesen.

Aber nach dem nächsten Sonntag werde alles anders, orakelte der CSU-Mann, dann treffe er sich wieder mit Angela Merkel und seinem Freund Guido. Dann wird alles gut.

So ist es in einer guten Sitcom: "Mutti" macht immer weiter, die ungezogenen Jungs werden es schon lernen. Angesichts solcher Sicherheiten ließ sich Seehofer bei Plasbergs Hart aber fair auch nicht die Provokationen des schleswig-holsteinischen FDP-Politikers Wolfgang Kubicki anmerken, der den Widerstand des CSU-Chefs gegen die Kopfpauschale in irgendeinen sinnfreien Zusammenhang mit Seehofers Familienverhältnissen gebracht und "Feuer frei!" auf CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt angeordert hatte. Sein Wirtschaftsminister, der auch von der FDP ist, habe ihn sofort angerufen, erzählte Seehofer und sich für Kubickis Äußerungen entschuldigt: "Damit ist das erledigt."

Überhaupt: Man solle mal das ganze Kubicki-Interview in der Zeit lesen, das sei ein einziger Rundumschlag gegen alle. Also: Nicht so ernst nehmen. Wer ist schon Kubicki! Wo ich doch meinen Freund Guido habe! Und vor allem: Bitte lächeln, bitte recht freundlich!

Was Kubicki mit Küstennebel zu tun hat

Es gebe derzeit recht viele "Quartalsspinner" in der Koalition, ließ Publizist Spreng vernehmen und assoziierte seinerseits Kubicki mit "zu viel Küstennebel" - das waren ein paar mehr Promille Humor, als normalerweise in einer öffentlich-rechtlichen Talkshow erlaubt sind.

Gegen die Guido-Horst-Nummer hatte der eigentliche Star des Plasberg-Plauschs keine Chance: Olaf Scholz sollte die Verwandlungskünste seiner SPD erklären, die vor sieben Jahren unter Gerhard Schröder schließlich Hartz IV eingeführt hat und nun weitere Korrekturen vornehmen will, was das Hart-aber-fair-Team zur Alliteration "rote Rolle rückwärts" brachte.

Auch Scholz lächelte die schlimmsten Anwürfe gegen die allzu wendigen Genossen weg und sprach von Weiterentwicklung, wo vielleicht ein Fehlereingeständnis nötig gewesen wäre. Schröder schließlich würde seine Hartz-IV-Reformen nicht so "apodiktisch" sehen und sage: Mach mal!, verriet er über den Altkanzler.

Besonders der Volkswirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn leidet offenbar unter den weich werdenden Sozialdemokraten und flocht ein Lorbeerkränzchen für Schröder, der zwischen Wunsch und Wirklichkeit unterschieden hatte. Es gebe nicht so "viele schöne Jobs" bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro, rief der Chef des Münchner Ifo-Instituts gleich mehrmals in die Runde, mit einer solchen Maßnahme werde Arbeitslosigkeit geradezu produziert. Es seien aber gerade Schröders Reformen gewesen, die eine Kehrtwende am Arbeitsmarkt gebracht hätten. Im Übrigen bescheinigte Sinn noch der großen Koalition gute Arbeit.

Olaf Scholz - die Hauptfigur in der Nebenrolle

Von der amtierenden Regierung hält der Ökonom offenbar so wenig wie Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands: Der unkte, Union und FDP würden offenbar seit fünf Monaten ermitteln, was sie im Koalitionsvertrag beschlossen hätten. Er beschrieb die üble Realität der Hartz-IV-Empfänger und kontrastierte so die überwiegend akademische Betrachtung des Themas.

SPD-Kämpfer Scholz, der mal Generalsekretär und Arbeitsminister war, wusste freilich zum Schluss, dass die eigenen Rezepte so richtig nicht gefragt sein werden: Bei Schwarz-Gelb komme es nicht zum vorzeitigen Bruch, bedauerte er.

Aber jede Sitcom braucht nun einmal einen tragischen Helden - jemanden, der noch ein bisschen bereuen und Buße tun muss.

Seehofer kann da eine bessere Rolle spielen. Seine Partei regiert mit. Der Christsoziale hatte den leidenschaftlichsten Ausbruch des Abends - als er darauf verwies, dass schließlich das Bundesverfassungsgericht die Hartz-IV-Gesetze korrigieren musste, weil beispielsweise die Kinder zu schlecht wegkommen. Da rief der CSU-Chef: "In welchem Land leben wir eigentlich?"

Und das war wirklich eine gute Frage.

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