Dass Kommissare im "Tatort" nicht nur ermitteln, sondern auch singen, kommt eher selten vor. In Erinnerung sind diesbezüglich am ehesten noch die Hamburger Veteranen Stoever und Brockmöller (Manfred Krug und Charles Brauer), die es mit der jazzig angehauchten Singerei am Ende aber fast schon wieder übertrieben haben. Alte Schwäche im "Tatort": Wenn was gut ankommt, wird es gleich überdosiert. Im Zürcher "Tatort" am Sonntag ("Züri brännt") trägt nun gegen Ende die Kommissarin Tessa Ott ein Lied des Schweizer Liedermachers Mani Matter vor, "I han es Zündhölzli azündt". Das Lied handelt im direkten und vor allem übertragenen Sinn von den Gefahren des Zündelns und der Flammenwerferei, und es ist auch ganz passend in die Handlung eingebaut. Dieser "Tatort" ist zwar im Ganzen nicht der beste "Tatort" aller Zeiten, aber man kann sagen: So schön gesungen hat noch kein Kommissar und keine Kommissarin.
Die Profilerin Tessa Ott wird gespielt von der aus Winterthur stammenden Carol Schuler, 33, die nicht nur wegen des Gesangs in Erinnerung bleiben wird. Dass sie zu den großen Schauspieltalenten der Schweiz gehört, spürt man: In ihrer Figur verbindet sich Empfindsamkeit mit Wettkampfhärte; Rebellentum mit Gerechtigkeitssinn - da ist sie vergleichbar mit der populären Ermittlerin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) aus dem Wiener "Tatort". Es gibt einige Szenen, die werden geprägt allein vom Ausdruck in Schulers Gesicht. Irgendwann bringt sie Beweismaterial an sich und lässt es in der Tasche verschwinden. Jemand stellt sie zur Rede, und wie sie es dann vollkommen beiläufig hinbekommt, komplett arglos auszusehen - das ist ein stiller Höhepunkt in diesem oft auch sehr verplauderten Film. Alte Schwäche im "Tatort": Das Offensichtliche wird auch noch benannt. Carol Schuler allerdings muss nichts sagen, um etwas zu sagen.
Schon 2002 hat sie den Schweizer Filmpreis bekommen, für die Hauptrolle im Fernsehfilm "Lieber Brad". Sie war am Schauspielhaus Zürich engagiert, seit 2017 gehört sie fest zum Ensemble der Schaubühne Berlin. Die Produzenten des etwas angestaubten Traditionsformats "Tatort" können sich natürlich ausrechnen, dass ihre neue Schweizer Hauptdarstellerin auch solche Zuseher anspricht, die mit dem Angebot des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sonst nichts mehr zu tun haben. Carol Schuler hat in der Serie "Homeland" mitgespielt und in der deutschen Serie "Skylines", der ersten Netflix-Produktion, die mit dem Grimme-Preis geadelt und veredelt worden ist.
Der "Tatort" wird weiblicher und jünger durch international gefragte Darstellerinnen wie Schuler oder auch Florence Kasumba, die seit Kurzem eine Kommissarin im NDR-"Tatort" spielt. Allerdings stellt sich immer die Frage, ob ein Netflix-Fan mit so einem betulichen "Tatort" etwas anfangen kann oder sich nach wenigen Minuten fragt, in welches Filmmuseum er da eigentlich reingeraten ist.
Der "Tatort", heißt es, sei das letzte Lagerfeuer im Fernsehen, an dem die Gemeinde sich sammelt und wärmt. Wenn man die Quoten anschaut, ist da immer noch was dran. Und wenn man dem schönen Lied hinterherhört, das Carol Schuler da am Ende singt, kann man es auch so verstehen, dass sie das Lagerfeuer mit frischer Energie versorgen will: "I han es Zündhölzli azündt."
Allerdings, auch das gehört zum ganzen Bild: Die Qualität der Geschichten kann oft nicht mithalten mit der Qualität der Schauspieler, auch deshalb quittieren Ermittler manchmal nach relativ kurzer Zeit ihren Dienst. Carol Schuler bereichert den "Tatort", aber sogar auf der "Tatort"-Webseite der ARD stellt sie klar, dass der Job keine Lebensaufgabe werden muss. Anders gesagt: Sie hat als Kind nicht in "Tatort"-Bettwäsche geschlafen. "Welche Krimis schauen Sie privat?", wird sie gefragt, und sie antwortet: "Die beste Krimiserie im deutschen Fernsehen ist für mich 'Der Tatortreiniger'."