"Tatort":Du kommst ja doch zurück

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Keine Trauer, es ist wohl noch nicht das Ende! (Foto: WDR/dpa; Illustration SZ-Grafik)

Vor einer Woche machte unser Autor Gerhard Matzig in einem Artikel Schluss mit seiner alten Liebe, dem "Tatort". Der Koordinator der ARD-Krimireihe will das nicht einfach hinnehmen.

Gastbeitrag von Gebhard Henke

Werter Gerhard Matzig,

es tut weh, dass Sie Schluss gemacht haben. Immerhin nicht per SMS, sondern in wohlgesetzten Worten. Schmerzt es weniger, wenn begründet wird, weshalb die ehemals große Liebe erkaltet ist? Nein.

Sie erwarten in Ihrem Abschiedsbrief, dass der Tatort angesichts Ihrer Aufkündigung zuckt, eine Regung des Gemütes zeigt, wenn Sie sich nach 43-jähriger Ehe verabschieden. Sie wollen "Drama" zum Abschied erleben. Bei Ihrem Auszug zur Geliebten soll die Ehefrau auch noch theatralisch die Koffer packen. Die verlorene Liebe soll Ihnen also auch noch den Abschied schön machen, nachdem Sie mehrere Jahrzehnte die Ehe genossen haben. Das geht zu weit. Trollen Sie sich, aber treten Sie nicht nach.

Sie schreiben, dass Sie sich Dialoge wünschen wie in Spiel mir das Lied vom Tod. Warum bemühen Sie Claudia Cardinale und Charles Bronson als mögliche mediale Begleiter auf Ihrer Augenhöhe für die dramatische Abschiedsgeste vom Tatort? Sie beklagen, dass Freddy Schenk aus dem Kölner Tatort Sie in die Niederungen deutscher Fernsehfilmkunst zerrt. Die ersehnte Dramatik Ihrer Scheidung ist doch eine Projektion, mit der Sie ihre einstige Liebe zum Tatort überstrapazieren.

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Ich weiß, wenn man verlassen wird, ist es lächerlich, dagegen zu argumentieren. Die erkaltete Liebe wird man kaum durch das Aufdecken von Widersprüchen wiederbeleben können. Ich buhle dennoch um Zuwendung und um einen liebevollen Rückblick auf die Beziehung. Der Tatort war und ist ein deutsches Phänomen. Deutscher geht's nimmer. Wenn man das hasst, hat es auch immer etwas von kollektivem Selbsthass: Haben wir nicht eigentlich französische, britische Filme oder - neuerdings - Netflix-Serien verdient und was bekommen wir? Deutschen Eintopf?

Es tut mir natürlich doppelt weh, dass Sie ausgerechnet unseren letzten Kölner Tatort als Auslöser für den Abschied nennen. Einen Film, der von den Zuschauern mit einer Rekordquote von mehr als elf Millionen Zuschauern bedacht, aber von vielen Kritikern als unfreiwillige Reminiszenz an die 80er-Jahre verspottet wurde.

"Sie klammern am Tradierten, wollen Ihrer Ex keine Entwicklung zugestehen!"

(Foto: WDR/Herby Sachs)

Da Sie doch der guten alten Zeit beim Tatort nachtrauern und damals mit ihm "verheiratet" waren, kann ich Ihnen darin nicht folgen. Sie müssten doch eigentlich diesen Old-School-Film lieben, da - so Ihre These - "die Drehbücher weniger rätselhaft als die eigene Existenz" waren. Also beruhigend unterkomplex.

Natürlich gibt es in einer langen Beziehung Abnutzungserscheinungen, nachlassendes sexuelles Interesse, und die Phase des jungen Verliebtseins wird nachträglich verklärt. Der Tatort war früher nicht besser, er war anders, was seine Geschichten, Täter, Morde, formalen Vorstellungen anbelangt, aber er war immer ein Spiegel seiner Zeit.

Die ehemals geliebte Partnerin hat sich im Laufe der Ehe weiterentwickelt, sich ihre Freiräume gesucht ( Tatort-Experimente), andere Freunde kennengelernt. Und Sie klammern am Tradierten, Sie wollen Ihrer Ex keine Entwicklung zugestehen und wenden sich beleidigt ab! Charles Aznavour klagte über eine entfremdete Liebe: "Du bist so komisch anzusehen./Denkst du vielleicht, das find ich schön?/... /Früher warst du lieb und schön/du lässt dich gehen, du lässt dich gehen."

Und dann bemühen Sie tatsächlich noch ein Argument, das ich als eine im Feuilleton verpönte Maßeinheit wähnte: die TV-Quote! Unter Eheleuten ein Tritt unter die Gürtellinie. Der Quotendurchschnitt im Jahr 2017 sei schlecht gewesen. Aber doch nur, weil in den Jahren vorher etwas passiert ist, was in der sich diversifizierenden Medienlandschaft einzigartig ist. Alle großen Player verlieren. Aber der Tatort hat in der jüngeren Vergangenheit sogar noch zugelegt - und nun mal 2016 und 2017 ein wenig geschwächelt. So what. Es ist eben schwer, es vielen, wenn nicht sogar allen recht zu machen. Ist es der Liebe abträglich, wenn Tatort-Kreative auch etwas Verwegenes ausprobieren, was nicht den Geschmacksnerv aller trifft? Die sogenannten Tatort-Experimente, die inhaltlich wie formal vom Mainstream-Wohlfühl-Krimi abweichen, haben es beim großen Publikum oft schwerer (moderne Architektur übrigens auch).

Sie beklagen eine große Unübersichtlichkeit. Sollen Ihres Erachtens wirklich die Tatort-Redaktionen über Jahrzehnte hinweg mit denselben Tatort-Teams in zwanghaften Ritualen der unübersichtlich und rätselhaft gewordenen Welt entgegentreten? Öde Vorstellung. Würden Sie dann die Aufkündigung der Ehe nicht ausgesprochen haben? Wäre die ehemalige Geliebte nicht auf diese Weise würdelos gealtert?

Die erzählerische Lust der Filmemacher, der (auch von dieser Zeitung) angeblich vermisste Mut der Redaktionen hat zu der großen Vielfalt der Tatorte geführt. Ohne Wagemut und Experiment keine Innovation. Ohne Innovation kein Erfolg in der Zukunft. Es besteht ein Trend unter älteren Etablierten, sich vom Fernsehen und auch von digitalen Kommunikationsformen abzuwenden. Aber wollen Sie sich wirklich mit ollen Maigrets und alten Tatort-Drehbüchern am Sonntag vergnügen oder handelt es sich um eine Form von Autoaggression?

Ich wage die Prognose, und das stimmt mich letztlich froh, dass diese harte Schule der Selbstkasteiung Sie in die Arme der verlorenen Liebe Tatort zurücktreiben wird.

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© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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