"Tatort" aus Bremen:Jeder kann ein Mörder sein

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Nach dem Tod eines Arztes im Hafen ermitteln Linda Selb (Luise Wolfram) und Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer, r.). (Foto: Michael Ihle/Radio Bremen)

Im zweiten Fall des neuen Bremer Teams sind viele Verdächtige bis zum Schluss im Spiel, und als Zuschauer kriegt man Synapsenbrand.

Von Claudia Fromme

Wenn zu viele am Tatort herumspringen, kann es unübersichtlich werden. Einsam löst nur noch Murot in Wiesbaden Fälle, in Dortmund stehen vier Ermittler an den Leichen herum, in Bremen sind es neuerdings drei. Jeder Kommissar, jede Ermittlerin hat ein Päckchen zu tragen, alte Fälle verfolgen den einen, die Herkunft oder ein verkorktes Privatleben die andere, und alles kommt irgendwann zur Sprache. In dieser Hinsicht war der Tatort schon lange nicht mehr unterkomplex.

In Bremen ermitteln zum zweiten Mal Mads Andersen (Dar Salim), Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram). Das Debüt war stark, die Story um den geheimnisvollen Kopenhagener Ermittler Andersen, der in Bremen aushilft, ein neuer Twist im etwas gemütlich gewordenen Tatort von der Weser. Im Krimi "Und immer gewinnt die Nacht" wird ein Arzt, der auch Obdachlose und Illegale versorgt, im Hafen von einem Auto überrollt und dazu mit einer Eisenstange so traktiert, dass von seinem Gesicht nicht viel übrig bleibt.

Die mysteriöse Vergangenheit des Kollegen aus Kopenhagen hat jetzt ernste Folgen

Die Ermittler begeben sich auf die Suche, die Zuschauer bekommen Synapsenbrand. Im Schnelldurchlauf werden als Verdächtige eingeführt: die nette, aber raffgierige Sprechstundenhilfe. Eine höhere Tochter und ihre Freundin mit Knasterfahrung, deren behinderter Bruder von der Arzthelferin abgewiesen wird und nun im Koma liegt. Die raubeinige Besatzung des Schiffes Always Lucky, das gegenüber der Leiche ankert. Oder waren es die Obdachlosen? Steckt eine Frau dahinter?

Parallel dazu wird von Christian Jeltsch (Drehbuch) und Oliver Hirschbiegel (Regie) Andersens mysteriöse Vergangenheit näher beleuchtet. Der Kommissar hat demnach in Kopenhagen einen kriminellen Clan auffliegen lassen, dessen Angehörige ihm bis heute zürnen. Er soll darum in den Innendienst befördert werden. Das ist ihm zu langweilig, also springt er in Bremen ein, da darf er dann auch in Jean-Claude-Van-Damme-Manier Leute mit viel "Uh!" und "Ah!" verprügeln.

Viele Themen werden angerissen, viele Verdächtige sind bis zum Schluss im Spiel. Das macht den Krimi spannend, aber auch atemlos. Am Ende verweben sich die vielen Handlungsstränge ein wenig sehr konstruiert zu einer Geschichte. Und die menschliche Seite der Ermittler muss ja auch noch rein in den proppenvollen Film. Da geht es viel um Herkunft und Status in der Gesellschaft. Moormann verteidigt ihren Straßengeruch, Andersen begleicht Rechnungen aus seiner Zeit als Undercover-Agent, und Selb zitiert mit Hanseatenblässe Goethe. Der soll gesagt haben: "Ich kann mir kein Verbrechen vorstellen, das nicht auch ich hätte begehen können." Jeder Mensch kann also ein Mörder sein. Als Gedankenspiel interessant, als roter Faden für einen Krimi ziemlich anstrengend.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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