Serie nach Stephen King:Die Seuche böser Taten

Lesezeit: 3 min

Die grandiose Serie "The Outsider" beginnt als Whodunit-Thriller, aber mutiert mehr und mehr zur Mystery. Und das ist absolut sehenswert.

Von Jakob Biazza

Von oben ist viel Ordentlichkeit zu sehen während dieses ersten Kameraflugs über die Kleinstadt Flint City: niedrige, akkurat ausgerichtete Häuser, manikürte Rasenflächen, Menschen, die Hunde ausführen, Fahrradfahrer, die ihre ruhigen Bahnen ziehen. Alles so geordnet, dass man freilich schon ahnen muss, dass die Hölle sich gleich in dieses Kleinod fressen wird. Und da ist ja auch schon der weiße Van, die Kamera zoomt ihn heran und schwenkt dann weiter zu einem der Hundeausführer. Ein älterer Mann, dem das Vieh ausbüxt, weil es etwas gewittert hat.

Und dann ist es auch schon vorbei mit der Normalität.

Es hat schließlich einen bestialischen Mord gegeben. Stephen King beschreibt in seiner Buchvorlage sehr detailgetreu, was dem elfjährigen Frankie Peterson alles angetan wurde, und es ist die erste große Leistung von vielen weiteren, wie The Outsider, die HBO-Serienadaption seines gleichnamigen Romans, dieses Grauen präsentiert. Natürlich blitzen auch hier kurze Bildfetzen vom Tatort auf. Viel Blut ist zu erahnen und rasende Gewalt. Aber Produzent und Regisseur Jason Bateman lässt das richtige Schaudern leise einsickern. Er braucht nur zwei Wörter, brüchig hingestottert vom Hundehalter, der den Jungen gefunden hat, damit man das alles vor sich sieht.

Der Anteil an Mystery verdrängt nach und den Whodunit-Thriller

Ermittler: "Haben Sie ihn aus irgendeinem Grund angefasst? Vielleicht um zu sehen, ob er noch am Leben ist?"

Hundehalter: "Am Leben ...?!"

So geht das immer wieder in dieser fantastischen Serie, die Kings millimeterfeines Gespür für Dialoge und Nicht-Gesagtes so minutiös bewahrt. Und seine Fähigkeit, idealtypische Alltäglichkeit aufzubauen, um sie anschließend - oberflächlich erst, aber dann immer tiefer - einreißen zu lassen. Freizulegen, was darunter alles gärt. "Erzählen Sie mir einfach, was sie gesehen haben", fordert der Ermittler Ralph Anderson (Ben Mendelsohn) immer wieder. Ein Satz, der sich aus seinem graumüden Gesicht immer schwerer herausquält.

Eine Ermittlerin, die ein paar Zentimeter neben der Realität steht: Cynthia Erivo als Holly Gibney. (Foto: Bob Mahoney/HBO)

Was alle gesehen haben, ist nämlich der beliebte Englischlehrer Terry Maitland (Bateman spielt ihn selbst): Maitland, wie er blutüberströmt aus einem Gebüsch kommt. Maitland, wie er mit dem weißen Van wegfährt. Wie er in den schäbigen Stripclub des Städtchens hineingeht, um sich umzuziehen. Von quasi jedem Schritt gibt es Videoaufnahmen. Ein klarer Fall also. Realität ist schließlich das, was man sehen kann. Oder?

Ist es hier natürlich nicht - ist es ja quasi nie bei King. Deshalb sieht man Maitland kurz drauf auf einem anderen Video, aufgenommen von einem Fernsehteam während einer Lehrer-Konferenz, ungefähr 70 Meilen entfernt, ungefähr zur Tatzeit. Das Bild ist wirklich sehr klar. Und damit nichts sonst mehr.

Das ist der Mystery-Anteil, der in den zehn einstündigen Folgen nach und nach den Whodunit-Thriller verdrängt: Wie kann ein Mensch an zwei Orten zur selben Zeit sein? Und was hat es mit dem wie geschmolzen aussehenden Gesicht auf sich, das immer mehr Menschen in ihren Träumen sehen und manche auch wach.

Die Ermittlerin Holly Gibney (Cynthia Erivo) ist für dieses Außeralltägliche besonders empfänglich - wie es Menschen ja manchmal sind, die selbst ein paar Zentimeter neben der Realität stehen.

Gibney wird angestellt, um die Spur des vor Wochen gestohlenen Vans zu verfolgen. Das tut sie, bringt dabei aber auch allerhand Theorien über Formwandler und die hispanische Version des Bogeyman mit. Nicht viele werden ihr glauben.

Dafür drehen immer mehr durch. Ein versoffener Polizist zum Beispiel. Es gibt weitere Morde und Selbstmorde - und immer wieder Vergeltungsaktionen. Die einen ziehen los und ballern Menschen als verquere Rache in den Kopf. Die anderen verspeicheln ihre Säure vorerst noch verbal in teuren Restaurants. Was dann wohl auch das eigentliche Grauen ist: die Seuche böser Taten, die sich weiter und weiter überträgt. Ein Hoch auf die Zivilisation. Bis sie doch zusammenstürzt.

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© SZ vom 13.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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