True-Crime-Formate:Auf der Spur wahrer Verbrechen

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True-Crime-Formate liegen im Trend. Illustration: SZ (Foto: N/A)

Dokus und Podcasts wie "Surviving R. Kelly", "Making a Murderer" oder "Serial" rollen alte Fälle neu auf - oft mit ernsten Folgen für die Beschuldigten. Eine Sammlung an True-Crime-Formaten.

Von SZ-Autoren

Eine "Bombe" sei das - so martialisch beschrieben amerikanische Medien diese Woche die Dokumentation Leaving Neverland über den mutmaßlichen Kindesmissbrauch durch Popstar Michael Jackson. Genau wie bei der folgenreichen Doku-Serie Surviving R. Kelly werden dabei alte Vorwürfe gegen einen Prominenten neu aufgegriffen und auf eine Weise erzählt, die eine enorme öffentliche Wirkung erzeugt. Solche Formate sind der Unterhaltung näher als dem Journalismus, ganz sicher näher als einer juristischen Aufarbeitung, sie dürfen einseitig, plakativ und zuspitzend sein. Diese Dokus besetzen dennoch - oder gerade deswegen - nicht selten eine Art öffentliches Tribunal über einen mutmaßlichen Täter in Gang, sie sind oft anklagend, ohne dass eine Stimme der Verteidigung zu hören ist.

Der Trend, alte Fälle aufzurollen und mit erzählerischen Mitteln zu dokumentieren, hält seit dem Überraschungserfolg des Podcasts Serial an (mehr als 175 Millionen Abrufe seit 2014). Kritik gab es damals schon: Der Podcast sei voyeuristisch, ignoriere das Leid der Opferfamilie. Andererseits haben zahlreiche so genannte True-Crime-Produktionen handfeste Resultate erzielt. Sie deckten Behördenversagen auf, fanden neue Beweise oder Zeugen.

Surviving R. Kelly

Der Fall: Der Musiker Robert Sylvester Kelly, bekannt unter dem Namen R. Kelly, soll jahrelang Frauen in seine Villa gelockt, gequält und missbraucht haben. Er soll Kinderpornografie nicht nur besessen, sondern auch produziert haben. Er soll sich beim Sex mit Minderjährigen gefilmt haben. 2010 war er allerdings vom Vorwurf der Herstellung von Kinderpornografie freigesprochen worden.

Die Kernfrage: Stimmt das alles, was ihm vorgeworfen wird? Und hat er sich nur aufgrund seines Reichtums, seiner Bekanntheit und seines Einflusses von den Vorwürfen befreien können?

Was zeichnet die Doku aus? Die vielen Frauen, die zu Wort kommen - darunter Kellys Ex-Frau Andrea, die über häusliche Gewalt spricht. Wichtig auch: Es sind viele afroamerikanische Frauen, die eine Stimme bekommen - bisher sind ihre Fälle nach vielfacher Meinung im Zuge der Missbrauchsfälle in der Unterhaltungsbranche und der daraus resultierenden #metoo-Debatte nicht genügend gewürdigt worden. Zu sehen bei A&E.

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Was ist danach passiert? Die Staatsanwaltschaft von Illinois nahm die Ermittlungen wieder auf, sie bekam zudem ein Video zugespielt, das Kelly beim Missbrauch eines minderjährigen Mädchens zeigen soll. Bei einer Verurteilung könnte er den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen müssen. Nach der Verhaftung sagte Kelly dem Sender CNN: "Ich kämpfe hier um mein Leben."

Jürgen Schmieder

Making a Murderer

Der Fall: 2005 wird in Manitowoc County, Wisconsin, die Fotografin Teresa Halbach ermordet. Dafür verurteilt man den Schrotthändler Steven Avery und seinen Neffen Brendan Dassey. Erst kurz vor dem Mord hatte Avery die Polizei von Manitowoc County verklagt. Er machte sie mitverantwortlich dafür, dass er 1985 fälschlicherweise für eine Vergewaltigung verurteilt worden war und 18 Jahre unschuldig im Gefängnis saß.

Die Kernfrage: Wurde Steven Avery der Mord untergeschoben, um von Ermittlungsfehlern im Vergewaltigungs-Fall abzulenken?

True-Crime-Serie "Making a Murderer"
:Steven Averys Fall muss neu geprüft werden

Der US-Amerikaner, der durch eine Netflix-Dokumentation berühmt geworden ist, kann nach Jahren im Gefängnis einen Erfolg für sich verbuchen. Grund dafür sind ein paar Knochen.

Was zeichnet die Doku aus? Making a Murderer gibt sich nüchtern, doch die Macherinnen Laura Ricciardi und Moira Demos sind spürbar auf Averys Seite. Sie inszenieren ihn als Underdog, der gegen das US-Justizsystem keine Chance hat. Der Vorwurf der Einseitigkeit folgte auf dem Fuß. Wen das nicht abschreckt, der bekommt mit Staffel eins eine riesige Materialfülle, irre Plot-Twists und ein einfühlsames Porträt der amerikanischen weißen Unterschicht geboten. Läuft bei Netflix.

Was ist danach passiert? Aufmerksam geworden durch die Doku, nahm sich die Anwältin Kathleen Zellner Averys an - und wurde Protagonistin von Staffel zwei. Im Februar entschied ein Gericht, dass der Fall neu geprüft wird.

Luise Checchin

Serial

Der Fall: 1999 verschwindet in Maryland eine 18-jährige Schülerin nach dem Unterricht. Einen Monat später wird Hae Min Lee tot in einem Stadtpark aufgefunden. Schnell gerät ihr 17-jähriger Ex-Freund Adnan Syed ins Visier der Ermittler, ein Freund sagt gegen ihn aus. Innerhalb eines Jahres wird Syed zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Bei Ausstrahlung des Podcasts 2014 ist er seit 15 Jahren im Gefängnis. Seine Schuld bestreitet er stets, kann aber auch kein Alibi vorweisen.

Die Kernfrage: Wo war Adnan Syed in den entscheidenden 21 Minuten an diesem einen Nachmittag nach der Schule im Januar 1999? Und spielten rassistische Ressentiments eine Rolle in der schnellen Verurteilung des muslimischen Schülers?

Podcast "Serial"
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Was zeichnet den Podcast aus? Die erste Staffel von Serial ist der wohl erfolgreichste Podcast aller Zeiten. Die Journalistin Sarah Koenig führt Schritt für Schritt durch ihre Recherche, rekonstruiert den Tag von Hae Min Lees Verschwinden. In zwölf Episoden hört man sie achteinhalb Stunden lang mit allen möglichen Beteiligten reden, angenehm ernsthaft. Meistens sprechen die Dinge gegen die Schuld von Adnan Syed, zumindest aber gegen das Gerichtsverfahren, das zu seiner Verurteilung führte. Trotzdem zweifelt Koenig auch an dem, was Adnan Syed ihr in Telefonaten erzählt. Am Ende ist nichts geklärt. Produziert von WBEZ Chicago. Zu hören unter serialpodcast.org.

Was ist danach passiert? In Serial kommt eine Zeugin zu Wort, die Adnan Syed zur Tatzeit in einer Bibliothek gesehen haben will. Außerdem verdeutlicht der Podcast, dass die Ortung von Handys mittels Mobilfunknetzdaten ungenau ist. Dass der Fall vor Gericht nun neu aufgerollt werden soll, geht auch auf diese Erkenntnis zurück. Der Staat Maryland ist allerdings gegen ein neues Verfahren in Berufung gegangen, die Entscheidung soll bis August fallen. Der US-Pay-Sender HBO zeigt ab 10. März die Doku The Case against Adnan Syed.

Aurelie von Blazekovic

Trace

Der Fall: Im Juni 1980 wird die zweifache Mutter Maria James mit 68 Messerstichen ermordet in ihrem Buchladen in einem Vorort von Melbourne gefunden. Der Täter ist bis heute nicht gefasst. Kurz vor ihrer Ermordung hatte sie ihren Sohn gebeten, sich um den jüngeren Bruder zu kümmern, falls ihr etwas zustoßen sollte.

Die Kernfrage: Steckt ein pädophiler Geistlicher hinter der Tat? Der Podcast verfolgt eine völlig neue Spur, der nie nachgegangen wurde. Maria James hatte vor ihrer Ermordung erfahren, dass ein Priester im Ort ihren Sohn Adam sexuell misshandelt haben soll. Am Tag ihres Todes wollte sie den Mann damit konfrontieren. Trace macht einen Zeugen ausfindig, der am Tattag den Priester blutverschmiert in der Nähe des Tatorts gesehen haben will.

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Was zeichnet den Podcast aus? Die Journalistin Rachael Brown arbeitet eng mit den Söhnen des Mordopfers zusammen - sie geht dem Fall forensisch und einfühlsam nach. Zu hören bei abc.net.au/radio/programs/trace.

Was ist danach passiert? Wegen der neuen Erkenntnisse aus Trace wurden die Ermittlungen im Dezember 2018 offiziell wieder aufgenommen.

Benjamin Emonts

Up and Vanished

Der Fall: 2005 verschwindet die Lehrerin und ehemalige Schönheitskönigin Tara Grinstead. Ihr Haus in einer Kleinstadt in Georgia ist abgesperrt, nur Geldbeutel und Schlüssel fehlen. Im Schlafzimmer liegen Lampenscherben, im Vorgarten ein Latex-Handschuh. Nach erfolglosen Suchaktionen wird Grinstead 2010 von einem Richter für tot erklärt.

Die Kernfrage: Wohin ist Grinstead verschwunden und was ist ihr passiert?

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Was zeichnet den Podcast aus? Payne Lindsey, Filmregisseur und Podcast Host, hat sich acht Monate durch ein Konvolut an Aufnahmen und Polizeiakten gearbeitet, alte und vor allem neue Zeugen befragt. Der Podcast setzt sich aus Lindseys Befragungen und Erkenntnissen zusammen. Dabei erfuhr er unter anderem, dass eine Freundin von Lindseys Großmutter Grinstead in der Nacht vor ihrem Verschwinden noch auf einen Schönheitswettbewerb gesehen hatte. Zu hören auf season1.upandvanished.com.

Was ist danach passiert? Je größer die öffentliche Aufmerksamkeit durch den Podcast wurde, desto bereitwilliger erzählten die Zeugen. Sechs Monate nach Ausstrahlung wurden zwei Männer festgenommen, allerdings aufgrund einer anonymen Quelle. Beide sagen, sie seien unschuldig.

Michael Kohl

Countdown to Capture

Der Fall: Polizei und Justiz suchen nach dem dringend mordverdächtigen Millionär Peter Chadwick. Die Behörden gehen davon aus, dass er im Oktober 2012 seine Frau zu Hause ertränkt und dann in einem Müllcontainer hat verschwinden lassen. Nach seiner vorläufigen Festnahme wird Chadwick gegen eine Kaution von einer Million Dollar wieder auf freien Fuß gelangt und flieht.

Die Kernfrage: Wo ist Peter Chadwick und was hat ihn dazu veranlasst, seine scheinbar heile Familie zu zerstören?

Was zeichnet den Podcast aus: Countdown to Capture wurde vom zuständigen Newport Beach Police Department selbst produziert, um Chadwick zu finden. Sie nutzt das Medium Podcast, um öffentlich auf Verbrecherjagd zu gehen, das unterscheidet den Podcast deutlich von anderen Formaten. Von den Zuhörern erhofft man sich Hinweise über den Aufenthaltsort Chadwicks. Es fällt außerdem auf, dass Chadwick in dem Podcast bereits eindeutig zum Mörder erklärt wird, ohne dass jemals ein Prozess stattgefunden hat - er wird vorverurteilt. Zu finden bei countdowntocapture.com.

Was ist danach passiert? Chadwick ist noch auf der Flucht.

Benjamin Emonts

© SZ vom 09.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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