Oliver Pocher bei RTL:Durch den Dreck

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Oliver Pocher wird für einen Schlag ins Gesicht entschädigt. (Foto: Stefan Gregorowius/picture alliance/dpa/TVNow)

RTL hat die Sendung "Pocher - Gefährlich ehrlich!" abgesetzt. Ist einer wie Oliver Pocher nicht brav genug für das neue Image des Senders?

Von Aurelie von Blazekovic

Irgendwann im ersten Lockdown hat Oliver Pocher so richtig losgelegt. Auf Instagram postete der Fernsehwitzler und ewige Zwanzigjährige, 43, für seine zwei Millionen Abonnenten plötzlich fast täglich ausschweifende Videobotschaften, in denen er sich über Influencerinnen lustig machte. Klar, die sagen und posten oft doofe Sachen oder bewerben bescheuerte Produkte. Aber dass nun ausgerechnet Pocher sich in Memes darüber amüsierte, dass Influencer auf die Frage nach ihrer offiziellen Berufsbezeichnung nur verzweifelt stammeln können? Pochers Beruf ist ja nicht unbedingt eindeutiger, er wäre wohl so zusammenzufassen: Moderator, Entertainer, Werbefigur - bei Wikipedia schreiben sie unverschämterweise sogar: Influencer. Man hasst ja oft am meisten, was einem in Wirklichkeit recht nahe ist.

Pocher jedenfalls bekam für seine Wutvideos auf Instagram eine eigene RTL-Show. In der Late-Night-Sendung Pocher - Gefährlich ehrlich! führte er seit Mai 2020 fort, was er auf Instagram ohnehin tat. Zusammen mit seiner Ehefrau Amira Pocher (laut RTL die "hübsche Gattin" und "sympathische Brünette") brachte er "sogar sein Handy mit vor die TV-Kamera", so der glühende Begleittext von RTL zur Sendung. Die Pochers präsentierten in der Live-Show 36 Mal "die lustigsten und skandalösesten Beiträge der Influencer-Kollegen" und zerrissen deren Beiträge auf Instagram, Tiktok oder Facebook.

Eine Fortsetzung für 2021 hatte Pocher in der letzten Sendung im Dezember eigentlich versprochen, doch nun ist klar, dass es dazu nicht kommen wird. RTL hat die Sendung abgesetzt, wie ein Sprecher der SZ bestätigt. "Wir hatten mit der Sendung viel Freude, werden jedoch mit dem Format Pocher - gefährlich ehrlich nicht weitermachen und befinden uns mit Oliver Pocher weiterhin im kreativen Austausch zu gemeinsamen Projekten."

Erst im April trennte sich RTL von einem anderen Krawall-Gesicht des Senders: Dieter Bohlen

Einen Hinweis darauf, warum sich der Sender nun so entschieden haben könnte, liefert wieder die RTL-Beschreibung des Formats aus dem vergangenen Jahr: Influencer und Blogger würden in der Sendung "ordentlich durch den Dreck gezogen, Unruhestifter Pocher kennt wie immer keine Zurückhaltung". Auch Amira "drückt von der Seite gern den ein oder anderen fiesen Spruch". Die Sendung sollte eben gefährlich ehrlich sein, typisch Pocher also, den der Sender bisher als einen feierte, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Doch was vor einem Jahr noch gut zum Sender passte, wirkt nun schon gründlich falsch.

Schließlich hat sich RTL unter seinem neuen Geschäftsführer Henning Tewes auf einen familienfreundlichen Kurs festgelegt. Tewes trennte sich in seinen Bemühungen, RTL seriöser zu machen, erst im April von einem anderen langjährigen Krawall-Gesicht des Senders: Dieter Bohlen.

Passt auch Pocher nicht mehr zu RTL? Tatsächlich zeigte er sich in der Sendung genauso spitz wie auf Instagram, der für RTL unbequeme Höhepunkt war wohl eine Sendung im Herbst 2020, in der der Manager von Michael Wendler saß. Der Schlagersänger, Influencerinnengatte und nun Telegram-Fanatiker, hatte sich erst kurz zuvor zu Corona-Verschwörungen bekannt, RTL attackiert und als Juror von Deutschland sucht den Superstar hingeschmissen, später wurde er auf kuriose Weise aus einer Folge von DSDS retuschiert. Pocher hatte eine Vorliebe für die Themen, die RTL heute eher unangenehm sind.

Als auch Dieter Bohlen als Juror von DSDS gehen musste, kommentierte dieser das in einem Instagram-Video so: "RTL will einfach einen neuen Weg gehen, familienfreundlicher - da hat so ein Revoluzzer, der immer ein bisschen auf die Kacke haut wie ich, eben nichts mehr zu suchen."

Die Tage der Möchtegernrevoluzzer sind bei RTL offensichtlich gezählt. Pocher ist vorerst nicht verbannt, er soll sich vermutlich einfach benehmen. Unter Aufsicht des so seriösen wie vorbildlich familienfreundlichen Günther Jauch darf er außerdem noch die Quizshow 5 gegen Jauch moderieren. Der Sender beweist damit vielleicht ein Herz für den treuen Mitarbeiter. Pocher ist eine RTL-Entdeckung, hatte 1998, gerade mal 20 Jahre alt, seinen ersten Fernsehauftritt in der Talkshow von Bärbel Schäfer. Er musste damals in eineinhalb Minuten beweisen, dass er witzig ist. Jetzt, scheint es, muss er für RTL so schnell wie möglich beweisen, dass er auch brav sein kann.

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