Als ein Mob von Trump-Anhängern am 6. Januar 2021 zum Kapitol in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten zog, versuchten die Reporterinnen und Reporter der Washington Post verzweifelt, ihre Zentrale zu erreichen. Das Mobilfunknetz brach zusammen, die Demonstranten waren zu zahlreich. Kurz nach 13 Uhr gelang es Reporterin Rebecca Tan doch, ihre Eilmeldung zu übermitteln: Die Demonstranten waren in das Kapitol eingedrungen. Schon kurz danach war klar, wie die Post das Geschehen einstufte: "ein versuchter Coup".
Minutiös hat die Zeitung seither das nationale Trauma aufgearbeitet. Sie leuchtete das Versagen der Capitol Police aus, berichtete über die fünf im Umfeld der Demonstration Verstorbenen, deckte Putschvorbereitungen von Donald Trump auf. An dem Thema arbeiteten mehr als 100 Journalisten. "Zusammen haben wir die wichtigste Geschichte des vergangenen Jahres der Welt erklärt", sagte Chefredakteurin Sally Buzbee.
Dafür hat die Post den prestigeträchtigen Pulitzer Price for Public Service erhalten, der besondere Beiträge im Dienst an der Öffentlichkeit auszeichnet. Für die Post ist es die sechste dieser begehrten Medaillen.
Die Post hat zwar seit dem Ende der Trump-Präsidentschaft etwa ein Viertel der Leserschaft eingebüßt, so viele wie kein anderer Titel. Doch hat sie es geschafft, die Sicht auf den 6. Januar zu prägen - wenigstens in der Medienwelt und einem Teil der Bevölkerung.
"New York Times" wird von der Vergangenheit eingeholt
Wie intensiv der Sturm auf das Kapitol die USA auch mehr als ein Jahr später beschäftigt, spiegelt sich in weiteren Preisen, die nun bei der bereits 106. Pulitzer-Verleihung vergeben wurden: Fünf Fotografen der Agentur Getty Images etwa wurden ausgezeichnet für ihre Bilder von jenem Abend, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben.
Auch die New York Times, die seit 1917 am meisten Pulitzer-Preise eingeheimst hat, bekam in diesem Jahr drei weitere Titel. Diese gingen jedoch in einer Kontroverse unter. Angesichts des Kriegs in der Ukraine ist die Forderung neu erhoben worden, die Times solle jenen Preis zurückgeben, den ihr Moskau-Korrespondent Walter Duranty 1932 erhalten hatte. Alle ausländischen Journalisten wurden von den Sowjets zensiert, doch Duranty berichtete damals besonders wohlwollend über die Kollektivierungspläne von Josef Stalin. Als andere Reporter berichteten, Stalin lasse in der Ukraine Millionen verhungern, beschönigte Duranty und verteidigte den Diktator. Laut der Historikerin Anne Applebaum, die die Geschichte aufgearbeitet hat, war Duranty kein Kommunist - sondern wollte privilegierten Zugang zu Stalin erhalten und seine Karriere befördern.
Der Streit flackert alle paar Jahrzehnte auf. Das Preiskomitee stellt sich auf den Standpunkt, es habe noch nie eine Auszeichnung zurückgezogen, das wäre Geschichtsklitterung. Wenn schon, müsse die Times sie retournieren. Die NYT hingegen beharrt bisher darauf, die Jury sei zuständig. Die hat immerhin den heutigen ukrainischen Journalisten einen Anerkennungspreis zugesprochen - "für ihren Mut, ihre Ausdauer und ihrem Bekenntnis zu wahrheitsgetreuer Berichterstattung".