"Polizeiruf 110" aus Magdeburg:Macht und Spiele

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Franziska Hartmann als Inga Werner im neuen "Polizeiruf". (Foto: MDR/Felix Abraham)

Mit einem starken "Polizeiruf" endet die Sommerpause des ARD-Sonntagskrimis. In "Du gehörst mir" verschwindet ein Baby, und damit alle Gewissheiten, wer hier gut ist und wer böse.

Von Claudia Fromme

Ein Kind ist weg. Sieben Wochen alt. Da stand doch eben noch der rote Kinderwagen. Die Mutter Lana Stokowsky (Hannah Schiller) schreit sich die Seele aus dem Leib, aber das Leben um sie herum, in der Fußgängerzone in Magdeburg, walzt einfach über sie drüber, wie es schon immer über sie drüber gewalzt ist. Im Kommissariat sagt einer in der Lagebesprechung, dass die Frau "ganz schön lässig" mit ihrer Tochter umgegangen sei. Vielleicht habe sie einer entführt, weil sie "so eine miserable Mutter" sei. Hauptkommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) bescheidet ihm mit eisiger Stimme, dass er aufhören soll mit der "Scheiße". Und dann ist auch Schluss damit. Mit der Welt von Gut und Böse, von Schwarz und Weiß. Der Polizeiruf "Du gehörst mir", der erste Sonntagskrimi nach der Sommerpause, ist gerade deshalb großartig, weil er sich an die Nuancen zwischen den Polen der Gewissheiten heranarbeitet.

Die Fernsehzuschauer kennen die Entführerin von den ersten Minuten an. Sie wissen, dass es eine Frau ist, Inga Werner (großartig: Franziska Hartmann), die ihr Baby verloren hat und sich, als er da vor ihr steht, den Kinderwagen schnappt. Die Mutter schreit ihren Schmerz heraus, damit eine andere Trost findet, die mit einer Puppe in der Trage herumläuft, um sich und allen vorzutäuschen: alles fein.

Kriminalrat Lemp trägt der Nachbarin den Kinderwagen hoch, und schon ist er ihre Geisel

Wird das Verbrechen weniger schlimm, wenn sich die Täterin liebevoll um den Säugling kümmert, ihn stillt und liebkost? Wenn sie ihrem Nachbarn, dem Kriminalrat Uwe Lemp (Felix Vörtler) erst mit dem Hockeyschläger die Knochen bricht, ihm dann aber fürsorglich das Bein verbindet und Rotwein zum Abendmahl anbietet? Ist Christian Novak (Max Hemmersdorfer), der Ex-Freund von Lana Stokowsky, ein böser Mensch, weil er Macht über sie ausübt, oder hegt er ehrliche Gefühle, wenn er, allein zu Hause, unter Tränen zusammenbricht, wenn er an sie denkt?

Zufälle strukturieren den Polizeiruf von Autorin Khyana el Bitar und Regisseur Jens Wischnewski. Eigentlich war Lemp auf dem Weg nach Schottland, drei Monate Sabbatical, das Taxi zum Bahnhof kommt gleich. Aber weil Lemp so korrekt ist, trägt er vorher der Nachbarin noch ihren Kinderwagen hoch. Als er nebenbei fragt, wo denn die blonden Haare des Babys geblieben seien, ist er mittendrin in dem Fall, der nicht seiner ist, aber von da an schon, er ist nun ihre Geisel.

Wer gehört wem? Wer hat Macht über wen? Gehört das Baby zu Inga Werner, gehört nun auch Uwe Lemp zu ihr? Gehört die Mutter des entführten Babys ihrer alten Affäre Chris Novak, einem Narzissten, der sie stalkt? Spielt Ermittlerin Brasch ihre Macht aus, indem sie ihm durchweg ihre Antipathie zeigt und zu verstehen gibt, dass er so oder so kein Bein mehr auf den Boden bekommen wird, weil sie ihn in jedem Fall zu packen bekommt, wofür auch immer?

Zufälle strukturieren den Krimi, der keiner ist, sondern ein Drama, das von einer Folge von Psychoduellen lebt. Wohltuend ist, dass keine Deutungen mitgeliefert werden, wie das inzwischen so ist in den Sonntagskrimis, damit man im Weltbild gefestigt hernach gut schlafen kann. Hier sind die Grenzen zwischen Gut und Böse bis zum Schluss fließend. Wenn der Abspann läuft, rattert der Kopf weiter. Gut so.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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