Polizeiruf 110 vom RBB:Diesen Rock-Star muss man einfach liebhaben

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"Wir haben die Möglichkeit, mit zwei verschiedenen Männerbildern zu spielen: Vincent Ross (André Kaczmarczyk, links) und Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) bei ihrer ersten Begegnung. (Foto: Hans-Joachim Pfeiffer/rbb)

Er ist der Nachfolger von Maria Simon: Kriminalkommissaranwärter Vincent Ross ist im RBB-"Polizeiruf" der lang erwartete neue Mann.

Von Claudia Tieschky

Was über diesen Polizeiruf 110 vom RBB vor allem zu sagen wäre, ist schwierig - weil es ungerecht ist. Sagen wir es trotzdem: Die Wendungen des Falles, um den es im deutsch-polnischen Kommissariat in Słubice geht, hat man nach Filmende sehr schnell vergessen. Vielleicht abgesehen von dem Kunstblut, denn das ist wirklich viel. Ungerecht ist das, weil die Geschichte in "Hildes Erbe" durchaus fein erzählt ist: von Emma, die ihren Bruder, der ihr beim Lernen fürs Studium helfen soll, in seinem Blut findet. Porzellan-Nippes spielt dabei eine Rolle, und irgendwie auch die Oma, die viel Bargeld in ihrem Häuschen aufbewahrt und fies ist, aber nun mal die einzige Familie, die Brüderchen und Schwesterchen noch haben. Zumindest bevor der Vater wieder auftaucht, der von Oma gleich wieder Demütigung und Schläge kassiert, und man ahnt, wie so jemand zum Alkoholiker wurde. Alles schwer und schwer gut, Tatja Seibt als Oma Hilde Grutzke, Lars Rudolph als ihr schwacher Sohn, Ada Philine Stappenbeck als Enkelin Emma.

Was aber wirklich bleibt - buchstäblich, auch für die Zukunft, weil hier ja Maria Simon nach mehr als zehn Jahren als Ermittlerin Olga Lenski ersetzt wird - das ist ein Mann im Rock. Okay, seien wir ehrlich: im Schottenrock. Aber mit Khol um die Augen. Vincent Ross, so heißt der neue Rock-Star und Kriminalkommissaranwärter, hat stilistische Ahnen im Punk und steht mit beiden Füßen im Mitgefühl. André Kaczmarczyk spielt ihn mit verspieltem Ernst als eine Art woken R2-D2, fluide im Dienst des Guten und ungerührt von der Verwunderung um ihn herum, man muss ihn einfach liebhaben. Muss man? Nein. Einer hat gelegentlich das Bedürfnis, ihm zu zeigen, wo der Hammer hängt. Und das ist sein Chef.

Emma (Ada Philine Stappenbeck) ist vom Tod ihres Bruders verstört, ihr Vater Ulf (Lars Rudolph, l.) ist da keine große Hilfe. (Foto: Hans-Joachim Pfeiffer/rbb)

Der RBB- Polizeiruf wird sich in der neuen Besetzung, so viel sei prognostiziert, am Thema Männlichkeit abarbeiten. Es gibt Gründe, eine vakante Ermittlerstelle im Sonntagskrimi nicht mit einer Frau zu besetzen, aber es gibt nicht viele. Ein souveräner Mann im Rock ist vermutlich einer. Künstlerisch gesehen: André Kaczmarczyk als Vincent Ross ist auf jeden Fall einer. Maximales Kontrastprogramm zu seinem Vorgesetzten Adam Raczek (Lucas Gregorowicz), der in Leistungswahn, Trennungsdepression und vielleicht einfach, weil er langsam alt wird, lieber Tabletten vom Forensiker schnorrt, statt sich hinzusetzen und, nun ja, sich zu fühlen. Wenn er sich hinsetzt, dann lieber auf den Campingstuhl, um Rippchen auf den Grill zu werfen. Dazu lädt er auch andere ein, aber nur Vincent Ross kommt - und das ist eine wirklich schöne nächtliche Szene, der melancholische polnische Macho und der Neue, der ja nicht immer Rock trägt, aber trotzdem für Raczek ein fremdes Wesen ist. Immer, wenn sie sich am nächsten kommen, stoßen sie sich plötzlich ab, was, physikalisch, eigentlich dafür sprechen würde, dass sie ähnlich gepolt sind.

Das Drehbuch stammt von Anika Wangard und Eoin Moore, der auch Regie führte, die beiden haben gerade in Rostock den Ermittler Sascha Bukow (Charly Hübner) in einer fulminanten Folge verabschiedet, noch so ein Kerl vom alten Schlag. Mannomann.

Polizeiruf 110 - Hildes Erbe, Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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