Neuer "Polizeiruf 110" aus Halle an der Saale:Choreografie einer Stadt

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Die neuen Kommissare in Halle: Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Michael Lehmann (Peter Schneider, r.) (Foto: Felix Abraham/MDR/filmpool fiction)

Ein neues Ermittlerteam aus Halle stellt sich im Sonntagskrimi vor - mit einer grandios inszenierten Erzählung. Ein großes Vergnügen.

Von Claudia Tieschky

Wer auf der Straße telefoniert, rennt leicht am Schicksal vorbei. Es ist also ein geschäftiger Abend in einer Nebenstraße mit großen, alten Häusern und Bäumen, Laternen streuen Licht auf Menschen, die irgendwohin unterwegs sind und in ihre Handys reden. Und je öfter die Kamera später immer wieder zurückkommt zu dieser Szene, desto mehr weiß man über die Passanten, desto vielstimmiger und kurioser, desto artifizieller und zugleich heimeliger wirkt dieses halblaute aneinander Vorbeireden am selben Ort zur selben Stunde in der Otto-Möhwald-Straße in Halle. Man hält es kurz für möglich, dass sie gleich, während sie durch ihr Schicksal rennen, singen und tanzen werden. Aber das hier ist kein Musical. Es ist der Polizeiruf 110 mit dem neuen Ermittlerteam aus Halle an der Saale.

Man muss vielleicht dazusagen: In Wirklichkeit gibt es in Halle keine Otto-Möhwald-Straße, obwohl von ihr in diesem Film ständig die Rede ist. Otto Möhwald war bildender Künstler, er starb 2016 in seiner Heimatstadt Halle, und er ist der Großvater des Schriftstellers Clemens Meyer, der mit Thomas Stuber das Drehbuch für den Polizeiruf schrieb. Meyer hat eine Hommage an seinen Großvater hineingeschrieben in die Choreografie einer Stadt, die dieser Polizeiruf in Wahrheit ist.

Der Kriminalfall in der Episode "An der Saale hellem Strande" (Regie Thomas Stuber) ist schnell berichtet: Während an jenem Abend in der Otto-Möhwald-Straße alle in ihre Telefone redeten, wurde ein Mann erstochen. Nun sind sie dank Funkzellenauswertung - die Leute sagen mit Unterton "Funkzellenüberwachung" - aufs Revier bestellt. Und was da aufgetischt wird, was der eigentliche Plot dieses Polizeirufs wird, sind Lebensgeschichten in allen möglichen Tonarten einer gebrochenen und pragmatisch wieder zusammengewachsenen Gegenwart, erzählt in Rückblenden, die so beiläufig, verspielt, tiefdunkel und gewitzt sind, dass man hinterher meint, nicht einen, sondern zehn Filme gesehen zu haben.

Es ist schon eine demonstrative Entscheidung, ein neues Team mit so einem grandios ins Erzählen verliebten Fall einzuführen. Man muss es gesehen haben, was Schauspieler wie Hermann Beyer, Cordelia Wege, Till Wonka oder Sebastian Weber aus diesen Geschichten machen. Der MDR hat mit dieser Auftaktfolge keine halbe Sache geliefert und mal locker einen Maßstab im Fernsehkrimi gesetzt.

Dieser Polizeiruf 110 feiert auch 50 Jahre des schon in der DDR berühmten Krimis. Ein Held von damals, Andreas Schmidt-Schaller, spielt auch mit. Am Jubiläum liegt es auch, dass zwischendurch Kapitelüberschriften eingeblendet werden, die alte Polizeiruf-Folgen zitieren. Dann vergisst der Film diesen Plan wieder für eine halbe Stunde, aber nicht mal dieser Quatsch richtet Schaden an.

Als neue Kommissare in Halle stellen sich Henry Koitzsch und Michael Lehmann vor, gespielt von Peter Kurth und Peter Schneider. Gute Polizisten, und weiter hinten in der Seele mit einer erst mal nur angedeuteten Geschichte. Der Mann hinter der Bar in ihrem Stammlokal ist übrigens Clemens Meyer in einem Cameo-Auftritt. Kommt bald die echte Otto-Möhwald-Straße in Halle? Die Erwartungen sind jetzt in jeder Hinsicht hoch.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr

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