Polizeiruf aus Brandenburg:Treffen sich zwei verschrumpelte Seelen

Lesezeit: 3 min

Vertraut in ihrer Verirrtheit: Maria Simon als Kommissarin Olga Lenski und Jürgen Vogel als weltabschwörender Lennard Kohlmorgen. (Foto: rbb/Christoph Assmann)

Als romantisches Kammerspiel würde der neue "Polizeiruf" gut funktionieren. Als Krimi verkommt er leider zur Western-Parodie.

Von Carolin Gasteiger

Die Erkenntnis:

Auch Kommissarinnen müssen mal ausbrechen. Wenn einem eh schon alles im Leben sinnlos vorkommt, kann es passieren, dass ein versponnener Eigenbrötler genau das ist, was man braucht. Würde es in "Demokratie stirbt in Finsternis" allein um die Krise von Kommissarin Olga Lenski (Maria Simon) gehen, wäre es ein feines, sogar romantisches Kammerspiel. Aber als Polizeiruf braucht der Film natürlich eine Leiche, einen zweiten Kommissar, der sich auffallend dusselig aufführt, und eine nachhaltige Botschaft an die Zuschauer. Wie schade.

Darum geht es:

Bei Olga Lenski wird eingebrochen, während sie und ihre Tochter schlafen. Die Tatsache, ihre Tochter in der eigenen Wohnung nicht schützen zu können, nimmt die Kommissarin sehr mit. In der brandenburgischen Provinz, auf dem einsamen Hof von Lennard Kohlmorgen (gespielt von Jürgen Vogel), will sie sich erholen. Der zweifache Familienvater war früher Arzt, ist jetzt aber Aussteiger und ernährt sich und seine beiden Kinder selbst. Kohlmorgen ist Anhänger der "Prepper Community", die davon ausgeht, dass die Welt bald untergeht und deswegen Vorräte in Bunkern anlegt. Die Familie gewinnt per Windrad ihren eigenen Strom, die Kinder werden vom Vater zu Hause unterrichtet. Kurz: Mit Lenski und Kohlmorgen prallen zwei völlig gegensätzliche Weltbilder aufeinander. Vielleicht genau deswegen fühlt sich die Kommissarin zu dem verschrobenen Typen mit seinen kapitalismuskritischen Ansichten hingezogen. Bis Kohlmorgens Frau, die vor kurzem ausgezogen ist, tot aufgefunden wird.

Bezeichnender Dialog:

Lenski bleibt auf dem Hof der Familie, nachdem die Leiche von Valeska Kohlmorgen gefunden wurde. Über den Tod seiner Frau will Lennard Kohlmorgen nicht sprechen. Stattdessen kommt er ins Philosophieren.

Kohlmorgen: Ich kann den Menschen nicht vertrauen, weil sie labil sind. Am Schluss rettet jeder sowieso nur seinen eigenen Arsch.

Lenski: Ich glaube nicht, dass die menschliche Seele von Natur aus so ist. Sie wird nur korrumpiert, Tag für Tag. Unter dem Druck der Welt verschrumpeln unsere Seelen.

Kohlmorgen: Ich brauche aber gerade jemanden, dem ich vertrauen kann.

Lenski: Versuch's doch mal. Mit mir.

Beste Szene:

Lennard Kohlmorgen nimmt Olga Lenski mit zum Fischen - mit bloßen Händen. Anfangs traut sich die Kommissarin nicht, zieht sich dann aber doch die Plastikhose über und watet in den Bach hinein, um selbst einen Fisch zu fangen. Klappt natürlich auf Anhieb. Die Szene mag kitschig, weltfremd, unrealistisch sein. Aber sie hat neben all der im Polizeiruf verhandelten abstrakten Gesellschaftskritik doch etwas Handfestes. Wenn wenigstens das Fischefangen klappt, ist die Welt noch halbwegs in Ordnung.

Top:

"Demokratie stirbt in Finsternis" ist ein angenehm ungewöhnlicher Krimi. Zum einen, weil er lange Zeit auf ein Mordopfer und die typischen darum herum konstruierten Kommissarsfragen verzichtet. Zum anderen, weil Maria Simon und Jürgen Vogel beeindruckend zwei Menschen spielen, die sich verloren fühlen in der Welt. Der eine im Großen, die andere im Kleinen. Wie diese beiden in Blicken und Berührungen langsam zueinander finden, wird wunderbar fein und behutsam gezeichnet.

Flop:

Allerdings driftet der Polizeiruf bald ins Surreale ab und man gewinnt den Eindruck, den Machern entgleiten die Fäden, die alles (logisch) zusammenhalten. Denn nicht nur die Prepper haben ein Problem mit der Gesellschaft. Auch eine Hackergruppe um einen Mann, der ausgerechnet Ulysses heißt und mit hochtrabenden philosophischen Sprüchen einen Anarchisten aus dem Klischeekatalog gibt. Seine Anhänger legen bundesweit das Stromnetz lahm. Zur Apokalypse im Kleinen (Lenski und Kohlmorgen) gesellt sich also noch die Apokalypse im Großen. Und dann - und hier wird es eindeutig zu viel der Rebellion - will eine Gang von Jugendlichen um Ulrike Kohlmorgen (die Tochter) auch noch ihren eigenen Krieg anzetteln. Sie zünden die Windmühle der Kohlmorgens an, vergiften das Trinkwasser mit Benzin und schießen mit Gewehren die Fensterscheiben ein. Wie die Jugendlichen mit höhnischem Gelächter auf dem Hof herumspringen und - ballern, wirkt arg gekünstelt und hat etwas von Wild-West-Parodie. Angesichts dieser völligen Überzeichnung wirken die sexistischen Sprüche von Kommissar Adam Raczek ("Eine Kollegin wird bedroht, ist wahrscheinlich immer noch in Gefahr und du kommst nicht aus deinem süßen Arsch", sagt er etwa zu einer Kollegin im Präsidium) fast schon angenehm realistisch.

Schlusspointe:

Und es war doch Lennard Kohlmorgen, der seine Frau erschossen hat. Ihrem Kollegen Raczek erklärt Lenski, Valeska Kohlmorgen sei nicht depressiv, sondern "zu sensibel für diese verrückte Welt" gewesen. Spätestens hier ist man froh, dass die neunzig Minuten rum sind. Denn dass die Welt so verrückt ist, diese Aussage hat man in diesem Polizeiruf wirklich oft genug gehört.

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