Pressefreiheit:Rechtliche Grauzonen

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Die "New York Times" ist der Ansicht, sie dürfe das strittige Material gegen Project Veritas verwenden. (Foto: Mark Lennihan/AP)

Die "New York Times" verliert einen Prozess gegen die rechte Webseite "Project Veritas", weil Anwaltsschreiben geheim sind. Ist das ein Urteil gegen die Pressefreiheit?

Von Christian Zaschke

Geschlagen geben will sich die New York Times nicht in ihrem Gerichtsprozess gegen die konservative Enthüllungsplattform Project Veritas, doch nun hat sie bereits die zweite Niederlage erlitten. Ein Richter am Verfassungsgericht des Bundesstaates New York hat soeben nicht nur ein Urteil vom November bestätigt, demzufolge die Times bestimmte Dokumente über die Plattform nicht als Grundlage ihrer Berichterstattung nutzen darf, sondern zusätzlich verfügt, dass das Blatt diese Dokumente aushändigen und sämtliche elektronische Kopien löschen müsse. Times-Herausgeber Arthur Gregg Sulzberger hat angekündigt, dass man umgehend in Berufung gehen werde.

Beim Project Veritas, gegründet vom konservativen Aktivisten James O'Keefe, handelt es sich um eine Gruppe, die versucht, Mainstream-Medien und liberalen Gruppen Fehlverhalten oder Voreingenommenheit nachzuweisen. Mitglieder der Gruppe treten dabei oft unter falscher Identität auf und filmen ihre Begegnungen etwa mit Journalisten oder liberalen Aktivisten mit versteckter Kamera. Rechtlich bewegen sie sich dabei in einer Grauzone.

Die Times hatte aus Unterlagen eines Anwalts der Gruppe zitiert, in denen dieser Ratschläge dazu gibt, wie das Vorgehen mit versteckter Kamera sich im legalen Rahmen bewegen könnte. Die Zeitung argumentiert, sie habe die Unterlagen auf rechtlich einwandfreiem Wege erhalten, deshalb stehe es ihr frei, daraus zu zitieren. Die Anwälte von Project Veritas vertreten hingegen die Ansicht, die Times habe das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Klient missachtet. Eine Sichtweise, der sich Richter Charles Wood nun zum zweiten Mal angeschlossen hat.

Das Urteil gilt als überraschend, weil Pressefreiheit in den USA normalerweise großzügig interpretiert wird

Sulzberger kritisierte die Entscheidung in deutlichen Worten. Er halte sie für eine Einschränkung der Pressefreiheit, sagte er, und für einen Verstoß gegen den Präzedenzfall der Pentagon Papers von 1971. Damals hatte der Supreme Court der USA zugunsten der Times und der Washington Post geurteilt, als es darum ging, dass die Regierung von Präsident Richard Nixon die Berichterstattung über den Vietnam-Krieg auf Grundlage von geheimen Dokumenten verhindern wollte.

Eine Anwältin von Project Veritas begrüßte das Urteil als Sieg für den ersten Verfassungszusatz, der das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiert. Die Times argumentiert, es sei exakt das Gegenteil der Fall. James O'Keefe, der Gründer der Gruppe, teilte in einem Statement mit: "Die Times ist so geblendet von ihrem Hass auf Project Veritas, dass alles, was sie tut, in einer selbst zugefügten Wunde endet."

In Medienzirkeln erregte die Urteilsbegründung von Richter Wood Aufmerksamkeit. Er schrieb: "Zweifelsohne glaubt jedes Medienunternehmen, dass alles, was es publiziert, von öffentlichem Interesse ist." Das sei jedoch nicht immer der Fall. "Unsere Handys piepen und brummen den ganzen Tag mit Nachrichten, die angeblich unsere Interessen reflektieren. Aber manche Dinge sind kein Futter zum Konsum durch die Öffentlichkeit", schrieb der Richter.

Sieht sich als Ziel eine Kampagne der "Times": James O'Keefe, Gründer der Webseite Project Veritas. (Foto: Pablo Martinez Monsivais/AP)

Wie die Times in den Besitz der von Anwalt Benjamin Barr für Project Veritas erstellten Unterlagen kam, ist nicht ganz klar. Die Zeitung selbst gibt an: durch klassische Reporterarbeit. Project Veritas hingegen vertritt die Ansicht, die Times habe sich außerhalb der Gesetze bewegt.

Das Urteil gilt als überraschend, weil die Pressefreiheit in den USA normalerweise äußerst großzügig interpretiert wird. Die Nachrichtenagentur Associated Press und die Washington Post haben sich solidarisch mit der Times erklärt. Das "Reporters Committee for the Freedom of the Press", eine Presserechtsorganisation, bezeichnete die Entscheidung als eine der "ernsthaftesten Bedrohungen der Pressefreiheit". Erik Wemple, Medienkritiker der Washington Post, äußerte auf Twitter Sorge um den ersten Verfassungszusatz.

Times-Chefredakteur Dean Baquet hatte sich bereits nach dem ersten Urteil im November entsprechend geäußert. Das Urteil sei verfassungswidrig, beschied er. "Wenn ein Gericht den Journalismus zum Schweigen bringt, lässt es die Bürger im Stich und untergräbt deren Recht auf Wissen", sagte er.

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Richter Wood sieht das anders. Er schrieb: "Es steht der Times vollkommen frei, bezüglich aller Aspekte von Project Veritas zu ermitteln, zu enthüllen, Interviews zu führen, zu fotografieren, aufzunehmen, zu berichten, zu veröffentlichen, zu bemeinen, aufzudecken oder auch, diese Aspekte zu ignorieren, ganz gemäß ihrer eigenen Vorgabe davon, was sie für berichtenswert hält." Nur eben nicht, schrieb er, mit Bezug auf die Kommunikation zwischen Anwalt und Klient.

Unabhängig von dem Rechtsstreit mit der Times ermittelt das US-Justizministerium derzeit bezüglich Project Veritas. Der Gruppe wird vorgeworfen, ein Tagebuch von Ashley Biden gestohlen zu haben, der Tochter von US-Präsident Joe Biden. Diese Ermittlung spielte jedoch im Verfahren gegen die Times keine Rolle.

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