Mythos vom kriminellen Schwarzen:Sklaven der US-Gefängnisindustrie

Lesezeit: 3 min

Schwarz und Weiß - Unterdrückter und Unterdrücker: Szene aus der Netflix-Serie "13th". (Foto: Netflix)

150 Jahre nachdem die USA die Sklaverei abgeschafft haben, werden Schwarze dort immer noch regelmäßig als Zwangsarbeiter ausgebeutet, wie die Netflix-Doku "13th" eindrucksvoll belegt.

Von Sofia Glasl

" Prisons are the new plantations!" ("Gefängnisse sind die neuen Plantagen!") Es ist ein schmissiger Slogan, den Ava DuVernay in dem Filmessay 13th propagiert.

Die afroamerikanische Regisseurin ist offensichtlich wütend. 2014 wurde die Aktivistin für die Rechte der schwarzen US-Bevölkerung mit dem Bürgerrechtsdrama Selma weltbekannt. Nun fächert sie in ihrem prägnanten Stück historisch, politisch und rhetorisch die Verknüpfung von Sklaverei, Kapitalismus, Politik und Gefängnisindustrie auf.

13th ist das Herzstück einer Reihe von Dokumentar- und Spielfilmen sowie Serien, die sich mehr als 50 Jahre nach der Aufhebung der Rassentrennung mit der Situation der Afroamerikaner in den USA befassen und auch direkt auf deren Kriminalisierung hinweisen.

Nächster Halt: Fruitvale Station von Ryan C. Coogler ist an diesem Donnerstagabend auf 3sat zu sehen. Netflix zeigt aktuell die vierte Staffel von Orange is the New Black, die sich mit den Haftbedingungen in überfüllten Gefängnissen auseinandersetzt.

DuVernays Dokumentarfilm feierte kürzlich seine Weltpremiere auf dem New York Filmfestival. Es ist ein schlauer Zug von Netflix, ihn schnell zu veröffentlichen, denn die sonst übliche Frist zwischen Festivalpremiere und Kinostart hätte den Film einiges an Brisanz gekostet und eine spätere internationale Auswertung womöglich hinfällig gemacht.

Der Mythos des kriminellen Schwarzen wurde durch Politik und Medien befördert

Der Streamingdienst ermöglicht es Zuschauern nun weltweit, ganz nah dran zu sein an einer Großdebatte innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft.

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In 13th verdeutlicht DuVernay, wie die Abschaffung der Sklaverei im 13. Zusatzartikel der Verfassung 1865 den Grundstein für die systematische Kriminalisierung der Afroamerikaner legte und zugleich die Zwangsarbeit legalisierte. Denn der Zusatzartikel hat ein Schlupfloch: Als Strafe für ein Verbrechen sind "Sklaverei und Zwangsdienstbarkeit" erlaubt. Kostenlose Gefängnisarbeiter wurden fester Bestandteil eines ganzen Industriezweiges.

Der Mythos des kriminellen Schwarzen war geboren, er wurde durch Politik, Medien, Film und Fernsehen befördert. Angefangen bei D.W. Griffiths Film The Birth of a Nation aus dem Jahr 1915, der den Ku-Klux-Klan wiederbelebte, über die Kriminalisierung der Bürgerrechtsaktivisten bis hin zum "War on Drugs" in der Nixon-Ära, der die afroamerikanische Bevölkerung härter traf als die weiße, leitet DuVernay die Verschränkung von Rassismus und der aktuellen Gefängnissituation in den USA historisch ab.

Pointiert, doch nie simplifizierend, schreitet sie diese Zeitspanne von 150 Jahren ab. Sie montiert Interviews mit Historikern, Politikern und Aktivisten zu einem Stimmenchor, der Foto-, Film- und Tondokumente kommentiert und zu einem niederschmetternden Gesamtbild vernetzt.

In einer beeindruckenden Montage setzt sie etwa eine Hetzrede von Donald Trump gegen schwarze Demonstranten mit Bildern von den Rassenunruhen der 1960er-Jahre und aktuellstem Nachrichtenmaterial von Polizeigewalt miteinander in Dialog.

Ihre Wut bleibt spürbar, doch besticht DuVernay durch sorgfältig recherchierte und arrangierte Quellen.

Sie thematisiert zudem das Dilemma der Medien im Umgang mit Amateur- und Handyvideos, die Polizeigewalt zeigen. Zwar sind sie durchaus relevant, um das Ausmaß des Problems zu erfassen und den jeweiligen Tathergang nachzuvollziehen - die Festnahme von Rodney King 1991 in Kalifornien war einer der ersten mit Hilfe eines Videos rekonstruierten Fälle von Polizeigewalt.

Allerdings greift die Veröffentlichung in die Privatsphäre ein - auch wenn die Persönlichkeitsrechte in den USA lockerer gefasst sind als etwa in Deutschland. Man erinnere sich an das in diesem Sommer live auf Facebook gestreamte Video von Keith Lamont Scotts Frau, die entgeistert mitfilmte, wie ihr Mann von der Polizei angehalten und nach einer hitzigen Diskussion erschossen wurde. DuVernay löst ihr Publikations-Dilemma, indem sie nur Videos zeigt, zu deren Veröffentlichung die Betroffenen eingewilligt haben.

Amateurmaterial in Spielfilm

Auch Regisseur Coogler bedient sich in Nächster Halt: Fruitvale Station Amateurmaterials. Das Dokudrama aus dem Jahr 2013 zeigt den letzten Tag im Leben des Oscar Grant, der 2009 wegen einer Schlägerei verhaftet, misshandelt und erschossen wurde.

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Das Video ist Ausgangspunkt für eine Analyse der Todesumstände. Coogler blendet kurz vor dem Schuss ab, nur noch die Tonspur ist zu hören, was aber seine Wirkung nicht verfehlt.

Sowohl die Videos als auch die filmischen Reflexionen lösen Proteste aus. Die Aktivisten von "Black Lives Matter" kritisieren ungeahndete Verbrechen.

Seit dem 9. September streiken mehr als 24 000 Häftlinge für faire Bezahlung und bessere Haftbedingungen. Ava DuVernays 13th ist gerade deshalb eines der relevantesten und eindringlichsten Mediendokumente des Jahres.

13th , abrufbar bei Netflix. Nächster Halt: Fruitvale Station , 3sat, 22.25 Uhr.

© SZ vom 13.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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