"Meine geniale Freundin" bei Magenta-TV:Nur raus hier

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Gaia Girace (links) und Margherita Mazzucco (rechts) als Lila und Elena in der zweiten Staffel von "Meine geniale Freundin" (Foto: Eduardo Castaldo/WILDSIDE Srl/MO)

In der zweiten Staffel von Elena Ferrantes Bestseller-Verfilmung geht es ums Eingesperrtsein und die Sehnsucht nach dem prallen Leben. Eine Serie also, wie gemacht für unsere Zeit.

Von Christiane Lutz

Eine Villa hoch über dem Meer, ein Sommerabend, lachende junge Menschen in schönen Kleidern, die tanzen und sich über Politik unterhalten. Sie sind noch so jung, 16, 17 vielleicht, dass Ausgelassenheit nur verklemmt möglich ist, jeder Tanzschritt ist kontrolliert. Die beste Zeit der Jugend, alles ist neu. Eine von ihnen, Elena, versucht das Kunststück der Anpassung, ruckelt mit den Hüften zur Musik. Ihre Freundin Lila sieht erstarrt zu. Dabei wollte sie unbedingt mitkommen zur Party der Professoressa Galiani, Elenas Lehrerin. "Bist du verheiratet?", fragt die Gastgeberin, als sie den Ring an Lilas Finger sieht. Da ist Lila klar: Sie ist raus. Sie wird nie Zutritt zu dieser Welt der schlauen Menschen haben. Jene, die auf ferne Universitäten gehen werden. Menschen wie Elena. "Solche Snobs", spottet Lila auf der Heimfahrt. Elena schweigt.

Es ist dieses überwältigende Gefühl des Fehl-am-Platz-Seins und das Ringen um eine eigene Position in der Welt, das den zweiten Teil von Elena Ferrantes Meine geniale Freundin bestimmt. Die Roman-Tetralogie, die sich weltweit millionenfach verkauft hat. Ferrante begleitet das Leben der Freundinnen - genial ist auf ihre Weise jede - von ihrer Kindheit in den Fünfzigerjahren im ärmlichen Rione in Neapel bis in die Gegenwart.

Vergangenes Jahr lief die erste Staffel der Serienverfilmung, nun startet in Deutschland die zweite, Die Geschichte eines neuen Namens (Magenta TV). Eine Koproduktion von Rai und dem amerikanischen Riesen HBO, dessen erstes nicht englischsprachiges Projekt das ist. Die erste Staffel war in vielen Ländern ein Erfolg, vor allem in Nord- und Südamerika und in Italien. In Deutschland lief sie etwas unterm Radar - zu Unrecht.

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Mitten in den Corona-Lockdown sendete Rai nun im März die neuen Folgen hinein. Möglich, dass dieser Zustand die Sicht auf die Serie veränderte, jedenfalls wirkt sie wie gemacht für diese Wochen. Die Geschichte berührt einen gerade ohnehin empfindsamen Punkt: rauswollen und nicht dürfen. Fremdbestimmung, Sehnsucht nach dem prallen Leben, und, klar, ein bisschen Eskapismus ist auch dabei.

Die zweite Staffel erzählt die "Coming of Age"-Jahre der Freundinnen. Lila ist inzwischen "Signora Carracci" und wohnt - unglücklich - in einem schicken Neubau. Elena geht aufs Gymnasium und hat kurz einen Freund, halbherzig, aber immerhin. Jede versucht auf ihre Weise, Kontrolle über das Leben zu erlangen. Es sind die Sechzigerjahre, die Welt öffnet sich gerade, die Studenten- und Frauenbewegung nehmen Fahrt auf. Die Wege der Freundinnen trennen sich, als Elena nach Pisa auf die Universität geht. Doch die gesellschaftlichen Konventionen sind noch immer enorm, vor allem für Frauen aus armen Verhältnissen. Elena beneidet Lila um ihr Charisma und ihre Intelligenz, Lila Elena um die Möglichkeit zu studieren. Jede hat das Gefühl, nie ganz am richtigen Ort zu sein, immer an Grenzen zu stoßen.

Ein lebenslanger Lockdown sozusagen, aus dem sie kaum entkommen können. Juli 2019, Neapel. Auf Ferrante und L'amica geniale angesprochen, reagieren die Neapolitaner sofort. Ferrante, ja, die kenne er, sagt schon der Taxifahrer, das sei doch die von der guten Serie. Sie umarmen Ferrante und ihre Romane herzlich und freuen sich, dass sie ausgerechnet ihre Stadt erwählt hat. Die Piazza dei Martiri ist großflächig für die Dreharbeiten gesperrt, an den Geländern drängen sich Neugierige. Es ist schwül, aber es könnte heißer sein. Die Piazza spielt eine besondere Rolle, denn hier eröffnen Lila und ihr Mann Stefano ein Schuhgeschäft, in dem Lilas Modelle verkauft werden. Ihr erster und einziger künstlerischer Ausdruck. Bei der Planung der Serie war klar, dass tatsächlich hier gedreht werden sollte, in und um Neapel. Im nahegelegenen Caserta hat die Produktionsfirma den "Rione" so nachgebaut, wie das Stadtviertel Luzzatti, das Ferrante wohl zum Vorbild hatte, in den Sechzigerjahren aussah. Über die Piazza rauschen alte Busse, schlendern Frauen in Bleistiftröcken und Männer in schmalen Sakkos. Ein kleines Geschäft trägt den Namen "Calzaturificio Solara" in geschwungenen Buchstaben - Schuhhandwerk Solara. Solara, das ist der fiktive Name der lokalen Mafia-Familie, die das Geschäft erst ermöglichen, hinter Lilas Rücken.

In der zweiten Staffel wird ihr Einfluss sichtbarer. Einen Jungen aus dem Viertel befreien sie vom Militärdienst, wer etwas braucht, bittet die Solaras. Um die Camorra geht es dennoch nicht. Die Serie zeigt Neapel nicht als Stadt des organisierten Verbrechens, anders als etwa Claudio Giovannesis Clan der Kinder oder Roberto Savianos Serie Gomorrha. Neapel ist bei Ferrante, wie es in den Sechzigerjahren war. Sie erzählt, wie es auf ihre Figuren Lila und Elena gewirkt haben muss. Die Macht der Solaras ist für die Mädchen ein Fakt, nur ein weiterer Widerstand, den es zu überwinden gilt. Elena weicht stoisch aus, Lila versucht, die Strukturen für sich zu nutzen und sich trotzdem nicht zu verkaufen. Die Romane, sagt Regisseur Saverio Costanzo, sind nicht nur die Geschichte der Freundinnen, sondern auch eine Geschichte Italiens. Sicher auch ein Grund, warum Ferrante in Italien so verehrt wird.

Auch die zweite Staffel wird der vielstimmigen Romanvorlage gerecht und schafft doch etwas Eigenes. Costanzo sagt, er habe sich von der Nouvelle Vague inspirieren lassen, vom Wunsch, Traditionen zu brechen. Er habe sich vorgestellt, dass Lila und Elena die Welt wie ein Jean-Luc Godard sehen. Ganz so radikal ist er zwar nicht, aber er wagt, auf Schwere zu setzen. Viele Szenen in dunklen Räumen, über allem ein grauer Schleier. Lang und nah verweilt die Kamera auf den Gesichtern von Gaia Girace (Lila) und Margherita Mazzucco (Elena). Die übrigens sind erst 16 und 17 Jahre - und eine fantastische Besetzung. Wenig spielt sich auf ihren verschlossenen Mienen ab und doch alles. Sie ergänzen einander, genau dafür brauchen sie sich, genau darunter leiden sie. Ihre Freundschaft ist ein ständiges Wanken zwischen missgünstiger Konkurrenz und der Erkenntnis, dass es immer noch besser ist, wenn die andere bekommt, was man selbst nicht haben kann.

In Elena Ferrantes Bestseller-Verfilmung geht es um die Freundschaft von Lila (Gaia Girace, links) und Elena (Margherita Mazzucco). (Foto: Eduardo Castaldo/WILDSIDE Srl/MO)

Ein Wendepunkt in der Freundschaft und das Herz der Staffel sind die Folgen, die auf Ischia spielen. Bei diesen hat Alice Rohrwacher Regie geführt, eine der angesagtesten Regisseurinnen Italiens ( Glücklich wie Lazzaro). Elena begleitet Lila, die zu Kräften kommen soll, weil sie noch immer nicht schwanger ist. Weiter Himmel, Sonne, züchtige Badeanzüge und ein wenig Dolce Vita. Dann aber taucht der schlaue Nino Sarratore (Francesco Serpico) auf, den Elena glühend liebt. Nino bringt den "male gaze" mit an den Strand, den männlichen Blick. Und spätestens da wird klar: Jetzt wirkt noch eine neue explosive Kraft zwischen Lila und Elena.

Gerade hat HBO verkündet, dass es eine dritte Staffel geben wird. Im Herbst soll, sofern möglich, gedreht werden. Elena Ferrante sei weiter an dem Projekt beteiligt. Costanzo sagt, er kommuniziere per Mail mit ihr, aber bevor man frage, nein, er habe sie nie getroffen. Ferrante hat sich bis heute nicht öffentlich zu erkennen gegeben. Das aber scheint hinter ihrem Werk inzwischen angenehm unwichtig geworden zu sein.

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© SZ vom 09.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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