ARD:Die Zeit ist an der "Lindenstraße" vorbeigezogen

Lindenstraße, Folge 1; Lindenstraße Familie Beimer

Alles begann am 8. Dezember 1985 mit einem strunzbiederen Hausmusikabend bei Familie Beimer.

(Foto: WDR/Engelmeier)
  • Im März 2020 ist Sendeschluss bei der "Lindenstraße".
  • Die Serie hat mit nachlassenden Einschaltzahlen, einer kargeren Finanzausstattung und mangelnder ARD-internen Wertschätzung zu kämpfen.
  • Die Versuche, der Serie in den vergangenen Jahren frischen Geist einzuhauchen, sind außerdem höchstens mittelgut gelungen.

Von Hans Hoff

Was ist nur mit diesem Land los? Erst sagt Angela Merkel, dass sie nicht mehr will, und jetzt trifft es auch noch die Lindenstraße . Im März 2020 ist Sendeschluss bei der sonntäglichen Seifenoper. Bleiben also nicht einmal mehr 60 Folgen, um mit Würde zu Ende zu bringen, was in der ersten Folge am 8. Dezember 1985 mit einem strunzbiederen Hausmusikabend bei Familie Beimer begann.

Den Anfang vom Ende läutete die jüngste Fernsehprogrammkonferenz der ARD ein, auf der deutlich wurde, dass es innerhalb des Senderverbunds keine Mehrheit mehr für die Verlängerung des Produktionsvertrages mit der Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion geben wird. "Das Zuschauerinteresse und unsere unvermeidbaren Sparzwänge sind nicht vereinbar mit den Produktionskosten für eine solch hochwertige Serie", ließ ARD-Programmdirektor Volker Herres verlauten und hob damit vor allem ab auf die in den vergangenen Jahren stetig abflauende Begeisterung der Zuschauer. Die nachlassenden Einschaltzahlen korrelierten deutlich mit einer kargeren Finanzausstattung der Serie und mangelnder ARD-interner Wertschätzung. Dies drückte sich in immer häufigeren Abschiebungen in die Digitalwelt aus, und im vergangenen Jahr gab es gar erstmals eine Sommerpause für die Lindenstraße. Zudem sank die Zahl der Folgen pro Jahr, die früher konstant über 50 gelegen hatte, erstmals auf 45.

Als die Lindenstraße startete, war Helmut Kohl drei Jahre Bundeskanzler und Joschka Fischer gerade zum Umweltminister von Hessen ernannt worden. Helga Beimer (Marie-Luise Marjan) spielte damals beim Hausmusikabend Blockflöte, während ihr damaliger Gatte Hansemann (Joachim Luger) sich an der Gitarre versuchte. Erst kürzlich starb Hansemann den Serientod, den Erich Schiller (Bill Mockridge), sein Nachfolger-Gatte, schon vor ein paar Jahren erleiden durfte. Durfte muss man sagen, weil sich die Darsteller beinahe erfreut zeigten, aus dem sonntäglichen Serienkorsett ausbrechen zu können.

Es ist eben auch eine Herkulesaufgabe, jede Woche das ganze Elend der Bundesrepublik im gequetschten Kosmos einer Münchner Straße spiegeln zu müssen. Was immer die Nation plagt, es wird in der Lindenstraße verhandelt, und ganz früher war die Serie auch ein echter Aufreger. Als es dort im März 1990 den ersten schwulen Kuss in einer deutschen Serie gab, schlugen die Wellen der Empörung hoch, und auch bei anderen Themen war die Lindenstraße immer ein bisschen weiter als die gesellschaftliche Realität. Sie ging als Meinungsführer voran, sie provozierte, sie wühlte auf, sie ging durch Shitstorms, als diese noch nicht so hießen, aber irgendwann war sie nicht mehr ihrer Zeit voraus, sondern spiegelte nur noch, was war.

Schon früh in diesem Jahrtausend machte sich Hans W. Geißendörfer, Erfinder und Produzent der Lindenstraße, Sorgen wegen der nachlassenden Wirkung der Serie. Für ihn, den großen alten Linken des deutschen Films, war die Lindenstraße immer auch politisches Sprachrohr, gehörten die deutlichen Botschaften stets zu den Pflichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Vor drei Jahren hat Geißendörfer die Geschäfte übergeben an seine Tochter Hana, die gerade mal ein Jahr älter ist als die Serie.

Beide twitterten nun ihr "Unverständnis" für das Ende; "wir sind bestürzt". Die Lindenstraße stehe "für politisches und soziales Engagement, für Meinungsfreiheit, Demokratie, gleiche Rechte für alle und Integration, was in Zeiten von Rechtsruck und Ausländerfeindlichkeit wichtiger ist denn je".

Hana Geißendörfer wollte der Serie frischen Geist einhauchen, was ihr aber leider höchstens mittelgut gelungen ist. Die Umständlichkeit in der Inszenierung und dieses Schulmeisterliche im moralischen Anspruch sind einfach geblieben, und irgendwann ist dann wohl die Zeit an der Lindenstraße vorbeigezogen.

Die Ankündigung von Folge 1696, die an diesem Sonntag läuft, bebildert die Lindenstraße selbst mit Helga Beimer, die mit einem Blumenstrauß vor einem Grab steht. Wüsste man nicht, dass sie ihrem Hansemann nachweint, könnte man annehmen, sie trauere um die Lindenstraße selbst. Und wer könnte schließlich besser trauern als Mutter Beimer?

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