"Last Night of the Proms":Britische Empörung

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So sah "The Last Night of the Proms" in Zeiten vor Corona aus. (Foto: Carl Court/AFP)

Normalerweise werden bei der "Last Night of the Proms" zwei patriotische Lieder gesungen. Nun will der Veranstalter BBC nur die Orchesterversion bringen - und wird dafür von Konservativen scharf angegangen.

Von Alexander Mühlauer

Wenn am 12. September die letzte Nacht der Promenadenkonzerte in der Royal Albert Hall, die "Last Night of the Proms", anbricht, wird es dort keine Bilder von Zuschauern geben, die ausgelassen ihre Union-Jack-Fähnchen schwenken. Die Proms, die seit Ende des 19. Jahrhunderts Menschen über Großbritannien hinaus begeistern, werden in diesem Jahr nur im Rundfunk übertragen. Wegen der Corona-Pandemie sind keine Großveranstaltungen erlaubt, schon gar keine vollen Zuschauerränge. Soweit, so klar. Doch nun ist rund um das Londoner Spektakel auch noch ein Streit entbrannt, bei dem es um nicht weniger geht als die britische Identität.

Im Mittelpunkt steht die Frage, ob zwei patriotische Lieder, die traditionell bei den Proms gesungen werden, angesichts der Debatte über die britische Kolonialvergangenheit noch zeitgemäß sind. "Rule, Britannia" stammt aus dem Jahr 1740 und ist für viele Briten so etwas wie die heimliche Nationalhymne. Darin heißt es: "Herrsche Britannia ... Briten werden niemals Sklaven sein." Normalerweise markiert das Lied das Finale der Proms. Doch im Zuge der "Black Lives Matter"-Bewegung hatten Kritiker gefordert, das Stück aus dem Programm zu streichen; ebenso das Lied "Land of Hope and Glory" ("Land der Hoffnung und des Ruhms"), das stets zum Abschluss der Veranstaltung gespielt wird.

Die Aufregung erreichte am Wochenende ihren vorläufigen Höhepunkt - sogar Boris Johnson mischte sich ein. Über einen Sprecher ließ der Premierminister ausrichten, dass er sich für die Beibehaltung der beiden Stücke ausspreche. Der Premier glaube daran, die "Inhalte" und nicht die "Symbole von Problemen" anzugehen, hieß es. Zuvor hatte Kulturminister Oliver Dowden getwittert: "Selbstbewusste, nach vorne schauende Nationen löschen ihre Vergangenheit nicht aus - sie fügen ihr etwas hinzu." Am Montagabend teilte die BBC als Veranstalter schließlich mit: Beide Lieder werden in Orchesterversionen - also ohne Gesang - zu hören sein.

Diese Entscheidung sorgte am Dienstag wiederum für den nächsten Aufschrei. "Surrender!" titelte etwa die Daily Mail in Großbuchstaben. Auch die Sun kritisierte, dass die Texte der Lieder nicht gesungen werden sollen. Die Boulevardzeitungen zitierten mehrere Abgeordnete aus Johnsons Konservativer Partei, die mit der Entscheidung der BBC ganz und gar nicht einverstanden sind. Aus den Reihen der Tories hieß es, dass die Verantwortlichen nicht verstehen würden, dass sie damit die Mehrheit der Briten vor den Kopf stießen. Die Times zitierte eine nicht namentlich genannte Quelle aus der BBC, die von "weißen Leuten in Panik" sprach, die mit ihrer Entscheidung die "Black Lives Matter"-Bewegung beruhigen wolle.

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Schon jetzt ist absehbar, dass die Tories die Aufregung um "Rule, Britannia" in den Verhandlungen über die Rundfunkgebühr für ihre Zwecke nutzen werden. Downing Street stellt die bisherige Finanzierung infrage. Zur Proms-Entscheidung der BBC sagte Johnson am Dienstag nur noch so viel: "Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir aufhören, uns für unsere Geschichte, unsere Traditionen und unsere Kultur zu schämen."

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