Rassismus und Film: "Gruppen können schnell etwas Bedrohliches haben"

Szene aus dem Film "Exil" von Visar Morina.

Szene aus "Exil". Ist es Mobbing oder Fremdenfeinlichkeit? Xhaver (Misel Maticevic, dritter von links) fühlt sich unter den Kollegen nicht mehr wohl.

(Foto: Alamode Film)

In Visar Morinas Filmdrama "Exil" gleitet ein deutscher, aus dem Kosovo stammender Familienvater in eine Paranoia ab. Ein Gespräch über westliche Überheblichkeit und den verdeckten Rassismus der liberalen Gesellschaft.

Interview von Paul Katzenberger

Filmregisseur Visar Morina (40) wurde im Kosovo geboren und lebt seit seinem 15. Lebensjahr in Deutschland. In seinem neuen Filmdrama "Exil" erzählt er die Geschichte des Pharmaingenieurs Xhafer (Mišel Matičević), der aus dem Kosovo stammt und mit seiner deutschen Frau Nora (Sandra Hüller) und den drei Kindern schon seit Jahren ein bürgerliches Leben in Deutschland führt. Doch dann stimmt irgendetwas am Arbeitsplatz nicht mehr. Er hat das Gefühl, dass er dort diskriminiert und schikaniert wird, ohne dass er handfeste Belege für diese Ahnung finden kann. Und so steigt in ihm eine Paranoia auf, in der er jedes Vorkommnis, jede Aussage und jede Geste seiner Kollegen als gegen sich gerichtet interpretiert, weil er Ausländer ist.

SZ: Die Hauptfigur Ihres Films macht sehr deutlich, was bereits der Filmtitel ausdrückt: Xhaver empfindet sich in Deutschland als unerwünscht, was ihn sichtlich bedrückt. Aber eine eindeutige Antwort, warum das so ist, gibt "Exil" nicht. Warum?

Visar Morina: Als Filmemacher denke ich, dass ich prinzipiell nur subjektiv erzählen kann. Davon abgesehen war die subjektive Wahrnehmung ein wesentlicher Teil dessen, was im Film behandelt wird. Wenn ich als Mensch Unsicherheiten erlebe, die nicht aufgelöst werden, wenn ich also keine Antwort finde, bleibt mir nur der Raum der Mutmaßung.

Aber das ist im Leben ja nicht immer so, auch wenn in persönlichen Beziehungen sicher häufig wichtige Fragen offenbleiben, so wie es Xhaver im Film erlebt: Warum scheint ihn der Kollege Urs nicht zu mögen? Warum wird er offensichtlich geschnitten? Andererseits lassen sich Straftaten wie etwa das Inbrandsetzen des vor seinem Haus stehenden Kinderwagens ja auch mitunter aufklären.

Natürlich. Aber darum ging es mir in dem Film nicht. Der Auftrag, den ich mir gestellt habe, bestand darin, einen Menschen zu zeigen, der sich seines Platzes unsicher wird, sich vergewissern will und bei dem Versuch, Klarheit zu erlangen, sich immer mehr verliert. Nach und nach stellt er sich in seinem gesamten Alltag so sehr in Frage, dass es in eine Paranoia mündet. Um es auf einen Nenner zu bringen: Es ging mir um die Auflösung einer Persönlichkeit.

Der Xhaver, der sich da auflöst, hat einen albanischen Migrationshintergrund, genau wie Sie. Sprechen Sie im Film von eigenen Erfahrungen?

Den emotionalen Kontext kenne ich gut, aber als autobiografisch würde ich den Film nur als sehr eingeschränkt bezeichnen. Denn mein Leben verläuft doch ganz anders, als das von Xhafer. Beim Schreiben des Drehbuchs hat es aber schon eine Rolle für mich gespielt, welche Erfahrungen ich hier im deutschen Alltag mit meinen Eltern gemacht habe. Sie wohnen in der Nähe von Stuttgart. Wenn ich dort mit ihnen unterwegs war, und ich jemandem Unfreundlichen begegnet bin, habe ich mich dabei erwischt, dass sich mir Fragen aufgedrängt haben, die mir sonst, wenn ich in Köln, Berlin oder sonst wo mit Freunden ausgehe, gar nicht in den Sinn kämen. Ich muss dazu sagen, dass meine Eltern vom Äußeren her als Ausländer identifiziert werden. Da weiß ich - je nach Gefühlszustand und je nach Situation - manchmal nicht: Sind diese abweisenden Leute rassistisch, sind sie einfach nur unfreundlich, ist der Service in dem Lokal, wenn wir mal in einem sind, generell schroff, oder übertreibe ich einfach nur?

Heißt das aus Ihrer Sicht: Ausländer laufen eher Gefahr, paranoid zu werden, als Bürger der Mehrheitsgesellschaft?

Was Paranoia im Kern bedeutet, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich denke, sie ist sehr menschlich und in jedem verankert. Aber in wieweit "Randgruppen" anfälliger für Unsicherheiten sind, ist eine empirische Frage, deren Beantwortung interessant wäre. Ich wollte aber ein prinzipielles Problem aufzeigen, deswegen war es mir wichtig, dass der Film auch bei einem Nicht-Ausländer funktionieren würde.

Das tut er. Xhaver geht fest davon aus, dass sein Problem in rassistischen Anfeindungen besteht, doch Ihr Film lässt genauso die Interpretation zu, dass er ein Mobbing-Opfer ist, wie es jeder andere auch sein könnte, oder dass er tatsächlich Gespenster sieht. Geht es in Ihrem Film gar nicht um Fremdenfeindlichkeit?

Natürlich geht es darum. Aber das ist ja das Perfide an verstecktem Rassismus, der selten eindeutig ist. Vor Gericht hätte man keine Chance. Die Möglichkeit der Überinterpretation kann auch als Waffe gegen den Betroffenen eingesetzt werden.

Ist das aus Ihrer Sicht ein deutsches Problem?

Es ist ein westliches Problem. Aber während der Arbeit denke ich nicht an so große Kategorien. Es lähmt sonst. Ich ging vom Einzelnen innerhalb einer Gruppe aus. Eine Gruppe, die von sich behauptet auf dem richtigen Weg zu sein und eine Infragestellung als nichtzulässig betrachtet. Und jeder der da dazu kommt, soll sich anpassen und den Weg übernehmen. Das ist aus meiner Sicht eine Denkweise, die generell in den Wohlstandsgesellschaften des Westens vorherrscht.

"Als wäre das Streben nach Demokratie nicht universell"

Regisseur Visar Morina

Regisseur Visar Morina: "Das Thema Rassismus ist für mich aufgrund meiner Biografie immer aktuell."

(Foto: Paul Katzenberger)

Das heißt: Aus Ihrer Sicht herrscht im Westen ein Gefühl der Überlegenheit, und man blickt oft mit einer gewissen Überheblichkeit auf denjenigen, der aus einem vermeintlich rückständigeren Land kommt.

Ja, das sehe ich so, beziehungsweise: Das ist so. Ein Blick in eine öffentlich geführte Debatte über die sogenannte Migration reicht aus, um diesen Eindruck zu gewinnen. Dabei geht man oft geschichtsvergessen vor. Man vergisst wie jung die Errungenschaften sind, um die man tatsächlich froh sein kann, und wie hart sie erkämpft werden mussten. Zum Bespiel die Stellung der Frau. Bis in die Neunziger konnte ich in Deutschland legal meine Frau vergewaltigen und im heutigen Bundestag sitzen immer noch Leute, die für die Beibehaltung dieser Praxis gestimmt haben. Oft vergisst man die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozesse, die dafür notwenig sind. Aber das ist ein sehr weites Feld.

Bedeutet das aus Ihrer Sicht, dass so manche und mancher im Westen die Werte noch gar nicht verinnerlicht hat, auf die sie oder er so stolz ist?

Ich kann Ihnen gern ein Beispiel nennen: Für das Drehbuch zu "Exil", bekam ich den Deutschen Filmpreis. Bei der Preisverleihung sprach ich über die AfD und über Grenzschließungen. Nach der Rede sagte ein Mann zu mir, dass es mutig sei, dass ich aus dem Kosovo komme und über Demokratie spreche. Ich glaube, der Mann wollte nur nett sein und es fiel ihm nichts Besseres ein, um ins Gespräch zu kommen. Dennoch ist eine solche Aussage zutiefst arrogant und im Kern rassistisch. Als wäre das Streben nach Demokratie nicht universell, sondern ein rein westliches Gut. Eine solche Schieflage gibt es oft, wenn es um andere Länder geht. Aber darum ging es mir in "Exil" im Kern gar nicht.

Worum dann?

Mir war wichtig, die Verunsicherung des Einzelnen in der Gruppe zu zeigen. Gruppen können schnell etwas Bedrohliches haben, und das spürt der Einzelne im Westen womöglich besonders schnell, denn hier lebt man zunehmend isolierter. Das heißt: Das Regulativ durch Menschen im Umfeld fehlt oft, wenn jemand psychisch abdriftet.

An einer Stelle des Films sagt Xhaver zu seiner deutschen Frau: 'Du weißt doch gar nicht, was es heißt, ein Fremder zu sein in diesem möchtegern-kultivierten und zutiefst verlogenen Land: Entweder behandeln sie Dich offensichtlich rassistisch, oder aber so, als würden sie mit einem Minderbemittelten sprechen.' Es ist sehr gut vorstellbar, dass Xhaver solche Erfahrungen gemacht hat, aber im Film erlebt er so etwas kaum. Warum stellen Sie den offenen Rassismus in keiner Szene explizit dar? Der ist ja auch ein Teil der deutschen Realität.

Weil ich davon ausgehe, dass jeder Mensch, der sehen und denken will, weiß, dass es einen solchen Rassismus gibt und ich das uninteressant für den Film fand. Und auch weil der Film eine liberale Gesellschaft beschreibt, die in Deutschland ja vielleicht sogar vorherrschend ist, in der es aber einen verdeckten Rassismus gibt, der bei den Betroffenen die angesprochene Unsicherheit auslöst. Nach der Schule habe ich zum Beispiel am Theater gearbeitet, und da kamen dann Sprüche wie: 'Interessant, dass Du Dich für deutsche Literatur interessierst.' Solche Aussagen habe ich weniger als ein Kompliment für mein Interesse an deutscher Literatur gewertet als die Feststellung: 'Du als Kanake, Du liest auch. Das ist ja toll!' Aber natürlich existiert hier auch ein ganz anderer Rassismus, der sich offen ausdrückt.

Sind die subtilen Formen des Rassismus für die Betroffenen vielleicht sogar vertrackter als die offenen. Gegen den kann man sich immerhin wehren.

Das würde ich so nicht sagen, weil es eine Verharmlosung wäre. Es gibt Menschen in diesem Land, die meinen andere erschießen zu können, weil sie eine andere Herkunft haben. Oder Familien bekommen bekommen rechte Sprüche an die Wand gesprayt und haben Angst um ihre Kinder. So etwas ist im Ausmaß sicher nicht mit verdecktem Rassismus vergleichbar. Beim Film ging es mir um eine subtlilere und alltäglichere Form des Rassismus, der sich schwer bemessen und benennen lässt. Ich wollte aber auch Themen wie Macht und sozialer Status adressieren.

Sie haben das Drehbuch für den Film 2016 geschrieben, aber "Exil" passt zu den Diskussionen über den strukturellen Rassismus, die derzeit in der Öffentlichkeit geführt werden, als ob das Script im Juni verfasst worden wäre. Haben Sie vor vier Jahren in die Zukunft schauen können?

Nein. Es gab 2016 andere Gründe, die mich sehr dazu animiert haben, das Drehbuch zu schreiben. Das Jahr begann mit der Silvesternacht in Köln, ohne die die AfD heute wohl nicht so stark in den Parlamenten vertreten wäre. Die aktuelle Diskussion über Rassismus wurde hingegen von der Black Lives Matter-Bewegung in den USA angestoßen, die dann zu uns herübergeschwappt ist. Doch das Thema Rassismus ist für mich aufgrund meiner Biografie immer aktuell. Denn ich musste aufgrund der zutiefst rassistischen Politik Slobodan Miloševićs (ehemaliger Präsident Serbiens, der für die Vertreibung von Albanern aus der damaligen serbischen Provinz Kosovo verantwortlich gemacht wird, Anm. d. Red.) mein Heimatland verlassen. Wer vom Rassismus nicht direkt betroffen ist, vergisst ihn zwischendurch und denkt erst wieder daran, wenn er in den Medien als Thema wieder auftaucht. Aber für meine Familie, mich und viele andere ist das etwas, was unser Leben entscheidend beeinflusst hat.

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