Letzte Staffel "Jerks" auf Joyn Plus:Mit dem Busfahrer onaniert, vom Sessel gefallen

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Christian Ulmen mit seiner Frau Collien Ulmen-Fernandes, die in "Jerks" seine Ex-Frau spielt. (Foto: André Kowalski/Joyn)

"Jerks", die soziologische Großstudie über Peinlichkeit, Scham und Egoismen - also den Menschen - endet mit einer fünften Staffel. Und wie.

Von Jakob Biazza

War klar, dass "Godwin's Law" relevant werden würde in dieser Serie, die immer schon auf Eskalation ausgelegt war - emotional, ästhetisch. Und was die Scham betrifft. Vor allem da. "Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion", stellte der Rechtsanwalt Mike Godwin in den Neunzigern mit vollendetem Sarkasmus fest, "nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit den Nazis oder Hitler dem Wert Eins an." Es wird also, kurz bevor Jerks endet, natürlich, dieser Satz fallen: "Das, was die Nazis nicht geschafft haben, hat Christian jetzt zu Ende gebracht."

Und es spricht für dieses mindestens mal für deutsche Verhältnisse anbetungswürdige Stück Fernsehgeschichte, dass das zwar der logische Endpunkt ist - aber in Punkto Scham, Cringe-Faktor und Kontraktion sämtlicher dazu fähiger Organe beileibe nicht der Höhepunkt. Dafür wäre dies im Angebot: "Ich war beim Busfahrer, wir haben zusammen onaniert, ich bin vom Sessel gefallen ... kannst Kala fragen, die war dabei." Kala ist die Tochter des Sprechers.

Jerks, für alle, die in den vergangenen Jahren nur Herta Müller gelesen haben (und also bitte eh bei Staffel eins beginnen), ist eine Comedy-Show, eigentlich aber eine soziologische Großstudie über Peinlichkeit, Scham und Egoismen - also über den Menschen -, in deren Zentrum die Schauspieler und Freunde Christian Ulmen und Fahri Yardım stehen. Sie werden, brillant und womöglich tatsächlich in Teilen lebensnah, aufgeführt von Christian Ulmen und Fahri Yardım. In sehr hauptsächlichen Nebenrollen treten andere deutsche A- und B-Promis auf, in ebenfalls eher sanften Abwandlungen ihrer selbst. Es gibt einen groben Handlungsrahmen im Drehbuch, ab da wird improvisiert. Falls dabei etwas sehr schiefläuft, rettet man das eben im Schnitt, wie Ulmen der SZ eben in einem Interview erklärte.

Benjamin von Stuckrad-Barre: "Was andere Alltag nennen oder Normalität, ist für Ulmen Ausnahmezustand."

Wer sich darunter noch immer nichts vorstellen kann: Wenn Liesl Karlstadt und Karl Valentin für ein paar Jahre zum Crystal-Meth-Rauchen ins Dschungelcamp gegangen wären, hätte das vielleicht ähnlich ausgehen können.

In der fünften und angeblich letzten Staffel gibt es nun unter anderem noch einen Rückblick, wie Ulmen und Yardım einander in der Schule kennenlernen. Ein behinderter Mitschüler ist da wichtig. Cancel-Culture wird außerdem Thema, ohne Thema zu sein, genau wie die Klimakatastrophe. Ansonsten sind alle noch schreiender einsam als in früheren Staffeln, und kompensieren das noch mehr dadurch, dass sie Hilfegesuche an die Welt senden, in den Gesichtsausdrücken, der Körperhaltung, durch Promiskuität, gezwungene Freude, Unausstehlichkeiten oder indem sie aufgeben.

Vor jeder Folge steht außerdem weiterhin der Hinweis: "Die geschilderten Ereignisse beruhen auf wahren Begebenheiten." Was freilich Teile des Sogs ausmacht, sprich: Was? Wie? Wo? Und: Nicht wirklich, oder?!

Oder eben doch. Der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre hat Ulmen jedenfalls vor ein paar Jahren mal auf die Weihnachtsfeier von dessen Produktionsfirma begleitet, und im sehr liebevollen Text "Being Christian Ulmen" dies davon mitgebracht: "Nun stellt er sich neben eine Mitarbeiterin, die heute Geburtstag hat, gerade telefoniert sie mit einem Fernsehredakteur, Ulmen fummelt am vor ihr stehenden Blumenstrauß herum und bittet alle, noch mal zu gratulieren, es passt gerade überhaupt nicht, und als endlich alle im Raum verwirrt und beklommen sind, scheint er sich einigermaßen wohl zu fühlen, jetzt geht es allen so wie ihm. Denn was andere Alltag nennen oder Normalität, ist für Ulmen Ausnahmezustand." So ist das wohl. Wirklich.

Jerks, zehn Folgen, auf Joyn Plus.

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