Germany's Next Topmodel:"Für mich ist das großer Kinderfasching hier"

Germany's next Topmodel 2019: Siegerin Simone mit Heidi Klum und Finalistinnen.

Heidi Klum (2.v.l), mit den Finalistinnen Cäcilia (links), Simone und Sayana in der Arena.

(Foto: dpa)

Auch im 14. Jahr von "GNTM" gibt es eine Siegerin, bei der es um nichts anderes geht als ihren Körper. Wer für Gleichberechtigung ist, kann das nicht unterstützen. Erst recht nicht ironisch. Thomas Gottschalk erdet die Sendung auf seine Weise.

TV-Kritik von Theresa Hein

Es gibt eine Szene in der Sitcom "How I met your mother", in der erzählt der Protagonist seinen Kindern, wie es dazu kommen konnte, dass er sich mal einen Porno anschaute: Die Videokassette sei ganz von allein aus seiner Hand geschwebt, durch die Luft, hinein in den Videorekorder. Von derselben unsichtbaren Macht sei er dann auch selbst auf die Couch befördert worden - und konnte gar nicht anders, als sich den Porno anzusehen.

Menschen in ganz Deutschland ging es gestern Abend ähnlich: Sie kamen abends zur Wohnungstür herein, eine unsichtbare Macht drückte sie auf die Couch, ein unsichtbarer Finger schaltete den Fernseher ein und traf zufälligerweise den Sender Pro7. Da lief das Finale von "Germany's Next Topmodel". Eigentlich wollte man ja wieder aufstehen, aber irgendein Schelm hatte, sowas Blödes, vorher die Couch mit Montagekleber beschmiert, und so kam es, dass man sich die Sendung trotzdem ansah. Ansehen musste, jawohl!

Das 14. Finale von GNTM war, wie konnte es anders sein, ein drei Stunden andauernder Wettkampf in einem Düsseldorfer Kolosseum des 21. Jahrhunderts. Die Unbarmherzigkeit der Sendung und ihrer Herrscherin erinnert an den römischen Kaiser Caligula, unter dem das öffentliche Zersägen von Menschen en vogue war.

Zu Beginn der ersten Folge dieser Staffel hatte Klum noch gesagt, "Diversity" sei ihr extrem wichtig. Um diesen Eindruck hat sie sich auch im Finale redlich bemüht. Aber es bleibt nur ein Eindruck. Unter den Finalistinnen ist eine Tamilin und - zumindest als Gast - eine Transgender-Kandidatin, die den "Personality Award" bekommt, weil sie so viel für ihren Traum gekämpft hat. Aber, und da zeigt sich die dominante Seite dieser kolossalen Inszenierung, der "Personality Award" ist halt auch nur ein Trostpreis für jene, die nicht konform genug waren, um Siegerin zu werden. Und die Tamilin erreicht nur den zweiten Platz.

Dazu tragen die drei Finalistinnen Kleider, auf denen Dinge stehen wie "Gott ist eine Frau" und "Die Zukunft ist weiblich". Die Models aus den Vorrunden treten auf, um Pappschilder mit "feministischen" Sprüchen darauf hochzuhalten, die eine halbe Minute zu sehen sein dürfen.

Einen der wenigen klugen Sätze des Abends sagt die Kandidatin Sayana, als sie die jungen Frauen im Fernsehpublikum bittet, sie mögen ihre Ausbildung nicht vernachlässigen. Nur wird man für sowas bei Klum nicht Topmodel-Gewinnerin. Das schafft dann Simone mit dem Satz: "Dank Germany's Next Topmodel hab' ich gelernt, mit Druck und Fairness und Hass umzugehen, und unsere Welt zu verstehen zu respektieren und zu akzeptieren." Puh. Das war so lang, dass es dann auch wieder für zwei Stunden reicht.

Den Personality Award wirklich verdient hätte: Thomas Gottschalk

Der Zirkus wird erstmal mit viel Musik (Jonas Brothers, Tokio Hotel, Ellie Goulding) und Thomas Gottschalk fortgesetzt. Thomas Gottschalk ist es übrigens, der an diesem Abend wirklich den Personality Award verdient hätte. Er macht die Sendung mit trockenen Sprüchen ("Ich hab nichts mit der Sache zu tun"; "Für mich ist das großer Kinderfasching hier") und missmutigem Rentnerblick sehr viel erträglicher. Sehr komisch wird es auch, als Gottschalk erklärt, man werde die Frauen jetzt noch einzeln in einer "MAZ" vorstellen. Denn es weiß heutzutage natürlich niemand mehr, was eine MAZ ist. Gottschalk ist das aber wurscht, und man kommt nicht ganz dahinter, was er Klum für einen Gefallen schuldet, dass er an diesem Abend auftritt.

Klums oberflächliche Bemühungen um Gleichberechtigung einerseits und Emotion andererseits täuschen nicht darüber hinweg, dass "Germany's Next Topmodel" auch in seinem 14. Jahr nur eines ist: ein über vier Monate gedehnter Huldigungs-Tanz darum, wer von den teilnehmenden Frauen denn nun den "schönsten" Körper hat. Und im Klum-Universum bedeutet das, den Körper zu haben, den man hinterher am wenigsten photoshoppen muss. Daran ändert das Model Winnie Harlow als Gastjurorin nichts, das an der Hautkrankheit Vitiligo erkrankt ist, genauso wenig wie der Trostpreis für die Transfrau.

Über allem steht Heidi Klums Angewohnheit, aus Dingen, die gerade "in" sind, so sehr jede Authentizität herauszuzuzeln, dass sie zurückbleiben wie eine leere Weißwursthaut: ungenießbar. Klum inszeniert eine Hochzeit zwischen einem der Models und ihrem Freund (denn Hochzeiten boomen gerade) und stülpt sich das Thema Feminismus über wie ein Fashion-Accessoire, bereit, es auf dem Wühltisch zu entsorgen, wenn die Saison vorbei ist.

Man kann sich diese Sendung nicht ironisch ansehen

Das Fortschrittlichste an diesem Abend ist wohl, dass Heidi Klum von Thomas Gottschalk als der "Mutter der Unterhaltungsindustrie" spricht. Da muss man aber leider von einem Versprecher ausgehen. Genauso, wie wenn Klum sagt, die Neunziger und damit der Aufstieg von Tokio Hotel seien irgendwie "an ihr vorbeigegangen". Dass sie mit dem Gitarristen der Band verlobt ist, wird sie zwar nicht müde zu betonen. Sie scheint jedoch wenig mit ihm zu reden, und zugleich das Kunststück vollbracht zu haben, ihren Verlobten genauso alterslos zu machen wie sich selbst.

Man kann diese Sendung mit der Tochter, mit Freunden oder allein ansehen, man kann darüber lachen, dass man ja Gott sei Dank selbst nicht so oberflächlich ist, man kann selbstbewussten Frauen dabei zusehen, wie sie erniedrigt werden, ohne sich dafür verantworten zu müssen. Was man nicht kann: sich diese Sendung ironisch ansehen. Das Fernsehpublikum begibt sich mit Heidi Klum auf die gleiche niedrige Augenhöhe: denn es ist nichts Subversives oder Rebellisches daran, sich im Jahr 2019 eine Rückwärtspolonaise der Gendergerechtigkeit anzusehen. Mit dem ach so witzigen, inszenierten Drama, auf das sich unsereins gerne rausredet, wenn er oder sie "Germany's next Topmodel" schaut, kalkulieren die Macher der Sendung: Zuschauer ist Zuschauer. Quote bemisst sich nicht nach Skepsis.

Wer diese Sendung ansieht, der sieht sich genau an, wie diese Frauen dargestellt werden, nicht ironisch und nicht nebenbei. Am offensichtlichsten wird das während des Live-Fotoshootings mit Tänzern der Gruppe "Magic Mike", die die beiden Models in die Luft heben und dort kneifen, berühren, beinahe abschlecken - alles um des Fotos willen, natürlich. Dass die Hände sehr lange brauchen, bis sie vom Körper der Kandidatin Sayana ablassen (auch, als die schon lange wieder am Boden ist), vergisst man nicht so schnell. Model Simone umgeht das übrigens, indem sie gleich von Anfang an sagt, sie hätte ihre Rückseite gerne auf dem Foto, will sich also auf den Händen der Männer umdrehen, und siehe da: Die Frau, die Hintern, Oberschenkel und damit wesentlich mehr Haut auf dem Foto zeigt, ist es dann, die den ganzen Zirkus gewinnt.

Germany's Next Topmodel ironisch anzusehen ist in etwa so überzeugend, wie im Internet Dinge zu bestellen, aber laut zu sagen, man unterstütze ja den Einzelhandel in der Innenstadt. Voyeurismus und Ironie verhalten sich dichotomisch zueinander, soll heißen: auf der einen Seite das Eine, auf der anderen das Andere. Schnittmenge: gibt's nicht. Zwei Jahre nach #metoo sollte die Erkenntnis durchgesickert sein: Man kann nicht gleichzeitig für Gleichberechtigung kämpfen und ein Format unterstützen, in dem der weibliche Körper der einsame Protagonist ist. Ein Arsch ist ein Arsch ist ein Arsch.

Die Frau, die gewonnen hat, heißt Simone. Das könnte man sich jetzt merken, bis man nächstes Jahr wieder auf der Couch angeleimt ist. Zeitgemäßer wäre es, sich für den Abend einfach zu etwas anderem zu verabreden. Der römische Kaiser Caligula wollte übrigens, zumindest im gleichnamigen Stück von Albert Camus, ewig leben. Heidi Klum hat ihren Vertrag gerade um sechs Jahre verlängert.

Zur SZ-Startseite
Heidi Klum mit ihrer Top Ten von #GNTM

SZ PlusGNTM-Finale
:Die Nächste, bitte

Neid, Konkurrenz, Zickenkrieg - in "Germany's Next Topmodel" spiegeln sich viele Erfahrungen, die junge Menschen aus ihrer Lebenswelt kennen. Doch das allein macht nicht die Anziehungskraft der Sendung aus.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: