Die Choreografie des Skandals sieht so aus: Alle paar Jahre melden Medien, dass einer der Geheimdienste Journalisten ausgespäht hat. Anschließend wird von den Behörden abgewiegelt, beteuert und erklärt, und es hagelt Versprechen: Ein bedauerlicher Einzelfall, ein Mitarbeiter sei über die Stränge geschlagen oder habe sich irgendwie vertan. Kommt nicht mehr vor, ehrlich.
"Journalisten sind keine Fliegenfänger" hat der frühere BND-Präsident Ernst Uhrlau nach einer Affäre des Auslandsgeheimdienstes mal gesagt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz "spioniert keine Journalisten aus", versicherte vor kurzem die Kölner Behörde, nachdem bekannt geworden war, dass die CIA im Rahmen eines gemeinsamen Projektes der Amerikaner mit dem Verfassungsschutz auch Daten über einen deutschen Journalisten gesammelt hatte. Man wäscht die Hände in Unschuld. An Treueschwüren ("die Dienste arbeiten nach Recht und Gesetz" ) ist nie Mangel. Und prompt folgt der nächste Vorfall.
Die Verfassungsschutzbehörde in Niedersachsen hat, wie berichtet, offenbar jahrelang Daten von mindestens sieben Journalisten gespeichert. Im Fall der freien Autorin Andrea Röpke, die seit Jahren über die Neonazi-Szene recherchiert, hat das Amt auf Nachfragen schriftlich die Unwahrheit mitgeteilt: Nein, da gebe es nichts. Zu Frau Röpke habe man "weder eine Akte geführt, noch Angaben in Dateien gespeichert". Nach dem Machtwechsel in Hannover kommt nun heraus, was wirklich geschah. Sechs Jahre lang wurden über Röpke Daten gesammelt. Ob ihr zielgerichtet nachgestellt oder sie immer nur dann vermerkt wurde, wenn sie irgendwo auftauchte, wo aus anderen Gründen Verfassungsschützer dabei waren, ist noch nicht klar. In jedem Falle sei das Speichern "rechtswidrig" gewesen, sagt der neue Landesinnenminister Boris Pistorius (SPD).
Die Geschichte erlaubt Schlüsse, die weit über Niedersachsen hinausreichen. Geheimdienste halten Journalisten nicht selten für Gegner oder für Gehilfen. Für beide Varianten gibt es Belege.
Woher sie denn all ihre guten Informationen über Neonazis her habe, wurde Röpke von Beamten ernsthaft gefragt. Sie sagte natürlich nichts. Das meiste von dem, was die Öffentlichkeit über eine neonazistische Gruppe wie die "Heimattreue Deutsche Jugend" nach deren Verbot erfahren hat, verdankt sie nicht den Behörden, sondern der Arbeit von Journalisten wie Röpke, die von Geheimdiensten wenig hält.
Das Verhältnis zwischen Sicherheitsbehörden und Journalismus war zu allen Zeiten kompliziert. Die Medien möchten viel über die Arbeit der Dienste erfahren. Auch schmückt es, wenn einer in der Redaktion zu erzählen weiß, er stütze sich auf geheime Akten. Ob darin Unsinn steht oder nicht, ist eine andere Frage. Hauptsache geheim. Und die Dienstoberen möchten - was legitim ist - wissen, wo undichte Stellen in ihren Apparaten sind. Doch mitunter locken sie für hohe Preise Journalisten zum Mitmachen oder zum Verkauf ihres Wissens an. Wenn sich Medienleute darauf einlassen, ist das Verrat. Schon vor Jahrzehnten hat der Deutsche Presserat darauf hingewiesen, es sei unzulässig, Aufträge von Geheimdiensten entgegenzunehmen.
Die Geheimdienste betrachten manche Journalisten wohl auch als Schwestern und Brüder im Geiste, die sich auf das Geschäft mit Informationen verstehen. Das schmeichelt beiden Seiten. "Wir begrüßen es, wenn sich Journalisten tief in eine Materie hineinarbeiten" , heißt es beim Verfassungsschutz in Bayern. Dies sei eine "Ergänzung zu unserer Arbeit". Das Amt versichert, auf keinen Fall würden Daten über Journalisten gespeichert, wenn sie wegen ihrer beruflichen Tätigkeit in Kontakt mit Extremisten kommen. In Niedersachsen sollen einige der betroffenen Journalisten in der DKP aktiv gewesen und deshalb ins Visier des Staates geraten sein.
Wird in den Behörden gegen Vorschriften verstoßen, kommt es meist erst nach einem Regierungswechsel heraus. Zu Beginn der sozialliberalen Koalition ließ sich der damalige Kanzleramtschef Horst Ehmke die Liste aller Journalisten geben, die mit den Geheimen unheimlich verbunden waren. Das Ergebnis: Erste Adressen des deutschen Journalismus standen auf der Gehaltsliste des BND. Ein Nahost-Experte sagte: "Schade, dass ihr so spät kommt. Ich liefere schon für die Franzosen".
Die Journalisten schworen, nicht mehr für die Geheimen zu arbeiten. Und die Geheimen erklärten, sie verzichteten fortan auf den Einsatz von Journalisten. Es stimmte nicht. 1988 sickerte durch, dass der niedersächsische Verfassungsschutz seinen Stab durch Journalisten ergänzt hatte. Ende 1993 versuchte der BND, den Mitarbeiter eines Hörfunksenders in Bonn anzuwerben. Eine Aufwandsentschädigung werde ihm garantiert. Zufällig hatte er sein Büro im selben Haus wie die taz. Tiefen Einblick in die Szene brachten dann die Recherchen des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer, der Mitte des vorigen Jahrzehnts als Sonderermittler BND-Operationen analysiert hatte. Jahrelang hatte der BND willfährige Journalisten als Quellen geführt. Ihre Aufgabe war es unter anderem, Informationen über kritische Kollegen zu sammeln. Schäfer ermittelte etwa ein halbes Dutzend Zuträger, die dem Dienst unheimlich behilflich waren. Besonders ein Journalist mit dem Decknamen "Sommer" war in der Szene sehr aktiv.
"Prinzipiell den Glauben verweigern"
Die Helfer bekamen für ihren Berufsverrat Geld oder Informationen. Win-Win-Situation nennt man so etwas heute. Dabei ist es eigentlich ein Totalverlust für die Öffentlichkeit und das Publikum. Ein totaler Verlust an Vertrauen.
Kann man den Medien trauen? Und den Geheimdiensten? Nur wenige Journalisten beschäftigen sich intensiv mit den Geheimdiensten. Oft sind nur die Pressestelle und der jeweilige Präsident Anlaufstellen, die ihre Informationen loswerden wollen. Ob diese stimmen oder nicht, ist schwer überprüfbar. "Wir sollten allen Informationen aus Verfassungsschutzämtern prinzipiell den Glauben verweigern", empfahl vor vielen Jahren Eckart Spoo, der langjährige Vorsitzende der Deutschen Journalisten-Union. Aber ist das praktikabel?
Aus Sicht mancher Mitarbeiter in den Sicherheitsbehörden ist die Verbindung von journalistischer Arbeit und einer Tätigkeit für einen Geheimdienst nichts Ehrenrühriges. Ein früherer BND-Präsident hat solche Kumpanei einmal als "patriotische Verhaltensweise" gerühmt. So verwischen auf bestürzende Weise nicht nur die Begriffe, sondern auch die Aufgaben und das Ethos der unterschiedlichen Berufe.