ESC-Vorentscheid:Der ganzen Veranstaltung haftet eine unwürdige Billigkeit an

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Sorgten für den einzigen anrührenden Moment eines langen öden Abends: Laurita und Carlotta alias S!sters, die für Deutschland zum ESC-Finale nach Tel Aviv fahren. (Foto: dpa)

Das Duo S!sters fährt für Deutschland zum ESC nach Tel Aviv - und wird dort wohl chancenlos sein. Denn die ARD hat talentierte Künstler mit Songs ausgestattet, die allenfalls für einen Platz im hinteren Drittel reichen.

Von Hans Hoff

Am Schluss hampeln zwei junge Frauen völlig kirre auf der Bühne herum und verlieren kurz die Orientierung. Es sind Carlotta und Laurita, die unter dem Namen S!sters den Vorentscheid zum Eurovision Song Contest (ESC) gewonnen haben und nun gar nicht wissen, wohin mit ihrer Freude. Das erst vor Kurzem zusammengewürfelte Duo fährt nach Tel Aviv, um dort am 18. Mai Deutschland im ESC-Finale zu vertreten. Diese Überwältigung der beiden ist der eine schöne Moment an einem langen öden Abend. Für einen Moment kann man da sogar vergessen, dass ihr Song "Sister" keine kompositorische Meisterleistung darstellt, eher eine halbgare Angelegenheit, die das Talent der beiden Sängerinnen nicht wirklich glänzen lässt.

Vielleicht hat ja irgendwer bei der ARD beschlossen, dass man den vierten Platz von Michael Schulte beim ESC 2018 unbedingt noch eine Weile nachklingen lassen möchte. Oder man ist übereingekommen, auf keinen Fall einen wirklich starken Song nach Israel zu schicken und damit die Gefahr zu bannen, dass Deutschland möglicherweise im Mai als Sieger gekürt wird und 2020 den ESC im eigenen Land ausrichten muss - was bekanntlich ein Mördergeld kostet. Um genau diese Ausgabe zu sparen, hat man zu einer einfachen Maßnahme gegriffen und die durchaus talentierten Kandidaten alle mit Songs ausgestattet, die beim Finale allenfalls für eine Platzierung im hinteren Drittel taugen. Also just jenen Bereich, in dem sich die deutschen Beiträge in der Zeit vor Michael Schulte lange eingerichtet hatten.

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Das ist natürlich nur eine ausgedachte Verschwörungstheorie, aber wenn man solch einen Abend überstanden hat, fragt man sich schon, was die Organisatoren geritten hat, dieses viele Talent, das in liebevoll gestalteten Einspielfilmen zu überzeugen weiß, mit eher belanglosen Titeln aus der 08/15-Schmiede auszustatten und auf der Bühne in Dorfdisco-Anmutung live verrosten zu lassen. Ein Songwriting-Camp haben sie dafür veranstaltet, weshalb bei den meisten Liedern vier und mehr Namen auf der Schöpferliste stehen. Aber das, was an diesem Freitagabend als Ergebnis aufgetischt wird, mag zu vielem passen, aber nicht zu den angetretenen Interpreten, die alle etwas Besseres verdient hätten. Die S!sters haben da noch einen der besseren Titel erwischt.

Warum schickt man nicht Barbara Schöneberger nach Tel Aviv?

Fragt man sich, was in ein paar Monaten noch von diesem Vorentscheid in Erinnerung bleiben wird, dann lautet die Antwort eindeutig: Barbara Schöneberger, dieses spruchstarke Naturwunder, das auch die Befüllung einer Milchkanne zum Event hochmoderieren könnte. Warum schickt man die nicht nach Tel Aviv? Sie könnte sich dort auf die Bühne stellen und einfach frei Schnauze loslabern. Sie würde möglicherweise besser abschneiden als die S!sters.

Sie weiß halt, wie Show geht, wie man knallig moderiert, und sie verkraftet sogar, dass man ihr mit Linda Zervakis eine völlig überflüssige Auszubildende an die Seite gestellt hat. Was wieder mal die Frage aufwirft, warum Tagesschau-Sprecherinnen nicht einfach Tagesschau-Sprecherinnen bleiben können. Aber die Schöneberger steckt so was locker weg. Sie ist halt auf der Bühne zuhause.

Im Gegensatz zu manchen Kandidaten, die auf dem lichtdurchfluteten Areal nicht recht zu wissen scheinen, wohin mit sich. Das schlägt hier und da auf die Stimme und vermiest die eh schon dünne Performance. Andere müssen sich mit der klassischen ESC-Dramaturgie herumquälen, die aus einem leisen, zur Pianobegleitung gesungenen Intro besteht, welches dann langsam lauter wird und irgendwann geflutet wird von seitlich einströmenden Bombastelementen. So öde wie vorhersehbar.

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Auch optisch ist das nicht allererste Sahne. Da hatte die Regie wohl keinen guten Tag. Immer wieder erlaubt sie den Kameras schräge Blicke über die Bühne auf die Seitenränge, die nach Mehrzweckhalle aussehen. Da mag man auf der Bühne noch so viel mit Licht und ein bisschen Glitter spielen, es haftet der ganzen Sache eine Billigkeit an, die einer Show, die sich als Vorspiel zur größten Musikveranstaltung der Welt versteht, nicht würdig ist. Eindeutig wurde hier am falschen Ende gespart.

Immerhin ein schöner, ein anrührender Moment

Wahrscheinlich ging das meiste Geld drauf für die vielen Punktrichter, für die 20-köpfige Expertenjury und für die 100-köpfige ESC-Enthusiastenjury. Und natürlich fürs Songwriting-Camp, obwohl dessen Ergebnis vermuten lässt, dass man angesichts der mageren Songausbeute vor Gericht gute Chancen hätte, wenn man sein eingesetztes Geld zurückforderte.

Wenigstens sorgen die drei verschiedenen Jurys für eine halbwegs spannende Schlussauswertung. Bei der geht es ein bisschen drunter und drüber, weil Expertenjury, Enthusiastenjury und die per Telefon abstimmenden Zuschauer zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das erklärt dann auch, dass die beiden S!sters ihren Sieg erst gar nicht wahrhaben wollen. Sie brauchen eine ziemliche Weile, um zu kapieren, was da gerade vor sich geht. Dementsprechend stolpern sie mehr in die Wiederholung ihres Songs, als dass sie ihn performen. Das immerhin ist ein schöner, ein anrührender Moment.

Für den ganzen Rest verordnet der als Pausenclown engagierte Altmeister Udo Lindenberg die richtige Einstellung zu diesem Vorentscheid. Kurz vor der Auszählung singt er "Ich bin der König von Scheissegalien" und macht damit unmissverständlich klar, wie man die ganze Angelegenheit am besten inhalieren sollte.

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