Dokumentarfilm über Kairo:Nächte am Nil

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Kairo steht unter Strom: In ihrer Dokumentation schildern der iranische Filmemacher Rafi Pitts und sein ägyptischer Kollege Marwan Hamed einen Ort, der dampft, lebt und lacht. Doch Zusammenstöße stehen nach wie vor an der Tagesordnung.

Thorsten Schmitz

Kairo kann man nur schlecht beschreiben. Man muss dort gewesen sein, um zu spüren, wie die Stadt faucht und verzaubert. Kairo, der 20-Millionen-Menschen-Moloch, unüberschaubar und rastlos, grell und getragen von 20 Millionen Sehnsüchten. Es ist auch eine Glücksritterstadt. Alle wollen nach oben. Oder das Überleben sichern. Und seit kurzem eint alle: die Sehnsucht nach Freiheit.

Keine Zeit zum Schlendern - auch Rafi Pitts (l.) und Marwan Hamed nehmen am rastlosen Treiben in der ägyptischen Hauptstadt teil. (Foto: © avanti media/Christopher Rowe/)

Wer es in absehbarer Zeit nicht nach Kairo schafft, muss Dienstagnacht aufbleiben und sich bei Arte Durch die Nacht mit Rafi Pitts und Marwan Hamed anschauen. Die Doku-Serie kommt diesmal aus Kairo. Eilig, als gelte es, keine Zeit zu verlieren in der nachrevolutionären Hauptstadt, eilen der ägyptische und der iranische Filmemacher durch all jene Orte der Stadt, die man seit ein paar Monaten aus der Tagesschau kennt. Aber erst hier, in den 50 Arte-Minuten, bekommt man eine Ahnung, wie die Atmosphäre wirklich ist. Dichter kann eine Kamera zwei Protagonisten nicht folgen. Die Lähmung der Hosni-Mubarak-Jahrzehnte ist wie weggepustet, Kairo steht unter Strom, dampft, lebt, lacht.

Der iranische Filmemacher Pitts, der in Paris lebt und mit irankritischen Filmen Festival-Preise einheimst (zuletzt für Zeit des Zorns), ist für nur 24 Stunden nach Kairo gekommen. Er ist zum ersten Mal in der Stadt und ist schon nach einer Stunde fasziniert von der Lebenswut der Ägypter. Sein ägyptischer Kollege Hamed, der mit The Yacoubian Building Ägyptens teuersten Spielfilm aller Zeiten gedreht hat, zeigt Pitts sein Kairo in einer Nacht. Er nimmt Pitts mit zum legendären Tahrir-Platz, dem verkehrumtosten Wohnzimmer der Revolutionäre, und zeigt ihm das dort ansässige Innenministerium, die Mugamma, ein kafkaeskes Bauwerk, in dem jeder Ägypter schon mal verzweifelt ist. Für jedes offizielle Dokument muss man in dieses Gebäude.

Es ist, als liefe man mit ihnen durch die Nacht. Die beiden Filmemacher werden vom Hunger in einen Imbiss getrieben, treffen einen jungen Ägypter, der sein Gesicht versteckt und mit leuchtenden Augen von den Tagen der Revolution erzählt. Es scheint, als sei Kairo noch immer vom Revolutionsfieber erfasst.

Hamed nimmt Pitts mit in ein Hinterhauscafé, wo die Organisatoren der Revolution Karten spielen und Tee trinken. Eine politische Aktivistin gesellt sich dazu, überraschend unverschleiert und mit offenem Haar, gibt sie zur Begrüßung die Hand und Küsschen. Ist das schon das neue Ägypten? Baho Baksh heißt sie, halb Ägypterin, halb Britin. Es wird diskutiert, ob die Islamisten den freiheitlichen Geist der ägyptischen Revolution stehlen werden. Die Aktivistin sagt: "Die Gefahr besteht." Und trotzdem lacht sie. Das Lachen sagt: Wir lassen uns unsere Revolution nicht wegnehmen!

Wie fragil das neue Ägypten noch ist, zeigt eine Szene besonders eindrücklich. Hamed und Pitts eilen durch den Markt in Downtown Kairo, setzen sich ins Auto und fahren durch verstopfte Stadtautobahnen, als Hamed über Twitter neueste Nachrichten bekommt. In der Nähe ist es gerade zu Zusammenstößen gekommen - zwischen christlichen Kopten und Muslimen. "Lass uns da hingehen!" sagt Pitts, von Mut erfasst. Doch Hamed ist sich unsicher und scheut sich. So chartern die beiden ein kleines Boot, machen eine Nil-Fahrt. Nach einer Stunde stellt Pitts fest: "Ich habe ja gar nichts gesehen von Kairo, wir waren die ganze Zeit am Diskutieren!"

Irgendwann, zurück in der dampfenden Stadt, wird Pitts melancholisch. Er sieht junge Ägypterinnen mit jungen Ägyptern in Straßencafés sitzen: "Ich wünsche mir, dass in Iran auch irgendwann Männer und Frauen gemeinsam in Straßencafés sitzen dürfen." Hamed ist perplex. Er wusste nicht, dass das in Iran nicht möglich ist. Dann schaut er aufs Handy und erschrickt. Das neue Kairo hat seine Grenzen. Die beiden müssen sich verabschieden, viel zu früh, wie Pitts findet, aber die Sperrstunde beginnt gleich, in dieser Nacht schon um 23 Uhr.

Durch die Nacht mit Rafi Pitts und Marwan Hamed, Arte, 00.45 Uhr.

© SZ vom 05.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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