"Neuland" in der ARD:Wir haben keine Wahl

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Ist in China eine kleine Berühmtheit: Influencer Thomas Derksen in der Dokumentation "Docupy". (Foto: WDR/btf)

Warum schenken wir unsere Daten großen Digitalfirmen? Die Dokumentation "Neuland" erklärt die Mechanismen der Digitalisierung - nicht zu fatalistisch und dennoch wachrüttelnd.

Von Theresa Hein

Ist jetzt der richtige Moment für eine Dokumentation, die von Digitalisierung und ihren Auswirkungen auf den internationalen Wettbewerb handelt? Von Datenraub und der Gefahr, die von ihm ausgeht, während die lebensbedrohliche Gefahr derzeit vom Coronavirus ausgeht, das auf rosafarbenen und roten kugelförmigen 3-D-Illustrationen beinahe perfide niedlich aussieht?

Tatsächlich ist der Sendetermin für das Rechercheteam mit dem Namen "Docupy", ein Zusammenschluss aus Journalisten und Fernsehproduzenten des WDR und der Kölner Bildundtonfabrik, ein Volltreffer: Neuland beschäftigt sich mit einer digitalen Revolution, die unbemerkt und mit unser aller Konsens voranschreitet, indem wir unsere Daten freiwillig großen Digitalfirmen schenken. So weit, so bekannt.

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In Zeiten von Corona ist man auf digitale Plattformen allerdings mehr denn je angewiesen, Spotify, Netflix und Amazon beherrschen die deutschen Wohnzimmer. In Neuland wird der Online-Modehändler Zalando exemplarisch mit der Kamera begleitet, weil er den Kampf mit Digitalgiganten wie der Plattform Alibaba aus China aufnehmen will. Das Konzept scheint aufzugehen: Erste deutsche Kaufhäuser kooperieren schon mit dem Internethändler und verschicken Mode in dessen Auftrag. Für das Team sei der Verzicht auf den Kundenkontakt eine Umstellung gewesen, erzählt eine Mitarbeiterin vom Schillerkaufhaus in Weimar, aber jetzt hätten sich doch alle "reingefunden". Ein schmerzhafter Satz.

Dass das Ganze allerdings weniger ein emotionales als ein wirtschaftliches Problem ist, erklärt Thomas Derksen, ein deutscher Influencer, der in China lebt, gleich zu Beginn: Digitalisierung kann man sich nicht aussuchen. Man muss mitmachen.

Die Äußerungen von Dorothee Bär (CSU), die das Rechercheteam mit der Kamera begleitet hat, lassen offen, ob dies der Bundesregierung bewusst ist; die Präsentation des Frühstückstellers der Ministerin auf Instagram scheint enorm bedeutungsvoll. Besonders entlarvend ist Bärs Besuch in einer Schule: Ein etwa 15-Jähriger gibt zu bedenken, sie seien doch sehr vom Engagement ihrer jeweiligen Schulleitungen abhängig - wenn die sich am digitalen Wandel nicht beteiligen wollten, hätten die Schüler im internationalen Wettbewerb das Nachsehen. Bär gibt eine phrasige Antwort und endet genervt mit: "So, und jetzt darf mal jemand anders was fragen."

Abgesehen von dem Wortspiel mit dem titelgebenden Angela Merkel-Zitat "Neuland", das hier ein bisschen zu häufig ausgenutzt wird, ist diese Dokumentation von einem wirklich angenehmen Erzählton getragen: nicht zu fatalistisch und dennoch wachrüttelnd, nicht zu viele Grafiken, dafür Politikerbefragungen als Überraschungselement.

Was bleibt: Um Schritt zu halten, müsste Europa vom Walking-Tempo auf Marathon-Tempo erhöhen. Die demokratischen Werte zu erhalten und sie nicht vor lauter Ministerphrasen zu übersehen, dürfte dabei die größte Herausforderung werden.

Neuland , ARD-Mediathek bis 8. April, im Ersten am 8. April, 22.45 Uhr.

© SZ vom 03.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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