Mexiko hat eine der höchsten Mordraten der Welt, mächtige Drogenkartelle kämpfen gegeneinander und gegen die Sicherheitskräfte, die ihrerseits vielfach mit dem organisierten Verbrechen vernetzt sind. Trotzdem war das, was 2014 im Bundesstaat Guerrero geschah, selbst für mexikanische Verhältnisse so erschütternd, dass eine Staatskrise ausbrach. Polizisten schossen auf unbewaffnete Studenten, es gab Tote und Verletzte, 43 junge Männer wurden festgenommen - und verschwanden spurlos. Ein Geschoss durchschlug den Kopf des Studenten Aldo Solano, er ist ein Pflegefall mit irreparablen Hirnschäden. Die Familie sorgt aufopferungsvoll für ihn, die Mutter sagt hoffnungsvoll: "Gerade erst hat er einen Finger bewegt."
Was klingt wie ein Horrorbericht aus einem failed state, ist aufs Engste verwoben mit der deutschen Rüstungsexportpolitik. Waffen wie jene, die Aldo Solano zum Krüppel machten, wurden von Heckler & Koch in Baden-Württemberg hergestellt und nach Mexiko verkauft - illegal. Das ganze Drama von Ursache und Wirkung rekonstruiert der Dokumentarfilm Tödliche Exporte von Daniel Harrich, eine überaus sorgfältig recherchierte, aufrüttelnde Geschichte über das schmutzige Geschäft mit Waffen. Heckler & Koch hätte diese Gewehre niemals nach Guerrero ausführen dürfen, und doch gelangte sie dorthin; ein paar simple Tricks genügten. 2019 sprach das Landgericht Stuttgart einige nachrangige Mitarbeiter des Waffenbauers schuldig, ließ aber die führenden Manager laufen.
Die Doku verfolgt den Weg vieler Pistolen zu Abnehmern, die sie niemals hätten bekommen dürfen
Daniel Harrichs Film, die Fortsetzung eines Vorläufers von 2015, verknüpft beide Stränge. Das Leid der Familie Solano berührt, die Schilderung des Verfahrens erweckt Zorn. Es ist die Geschichte des Versagens aller Kontrollmechanismen: Da ist der Beamte des Wirtschaftsministeriums, der zur menschenrechtlichen Prüfung des Verkaufs bemerkte, man heiße ja schließlich "Ministerium für Wirtschaft". Da war die von Heckler & Koch bezahlte Betriebsprüfungsfirma KPMG, welche mit der Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen "zusammenarbeitete", da waren 15 000 verschwundene Mails. Harrichs Film bietet besten investigativen Journalismus, er nimmt sehr klar Stellung, ohne einseitig zu sein.
Inzwischen wurden die Exportrichtlinien verschärft. Auch Heckler & Koch gab sich strengere Regeln. Ob die Wiederholung eines Schicksals, wie es Aldo Solano widerfuhr, damit ausgeschlossen ist? Zweifel sind erlaubt. Harrichs Dokumentation verfolgt den Weg Zehntausender Pistolen von Sig Sauer, die auf dem Weg über die USA zu Abnehmern fanden, für die sie nicht gedacht waren. Manchen fehlt die Seriennummer, ghost guns nennt man solche Waffen, Geistergewehre oder -pistolen. So sind die Wege nicht mehr nachvollziehbar.
Vor der Doku strahlt die ARD den Spielfilm Meister des Todes aus, auch er eine zweite Folge, eine fiktionale Version des Geschehens, fortgesetzt um die Ereignisse seit 2015 und ebenfalls von Harrich gedreht. Für den ersten Themenabend vor fünf Jahren hatte Harrich den Grimmepreis erhalten. Der Spielfilm, mit deutschem Staraufgebot von Veronica Ferres über Heiner Lauterbach, Axel Milberg bis zu Tatort-Darsteller Udo Wachtveitl besetzt, ist spannend, freilich prägt die moralische Empörung den Film so stark, dass Zwischentöne seine Stärke eher nicht sind.
Aber man folgt der Handlung doch mit wachsender Beklemmung. Was hier gespielt wird, ist sehr nahe an einer traurigen Wirklichkeit.
Themenabend: Meister des Todes 2, Tödliche Exporte 2 , Das Erste, Mittwoch, 20.15 Uhr, 21.45 Uhr.