"Der Fall Collini" im Ersten:Opa in die Ecke

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Der Angeklagte und sein Verteidiger: Franco Nero (links) und Elyas M'Barek in "Der Fall Collini". (Foto: Constantin Filmverleih)

Marco Kreuzpaintner verfilmt Ferndinand von Schirachs "Der Fall Collini" und zeigt dabei, was dieser Roman ist: eine sehr deutsche - aber nicht sehr logische - Familienaufstellung.

Von Juliane Liebert

Diese Rezension wurde zum Kinostart des Films am 17. April 2019 erstmals veröffentlicht. Nun zeigt das Erste "Der Fall Collini" am 2. August um 20.15 Uhr, weswegen wir den Text erneut veröffentlichen.

Ein Mann geht in ein Hotelzimmer und ermordet einen anderen Mann. Er tut es vorsätzlich und brutal. Das Opfer ist ein reicher Industrieller namens Hans Meyer (Manfred Zapatka), der Täter Fabrizio Collini, Gastarbeiter (Franco Nero). Nach der Tat lässt Collini sich noch in der Lobby festnehmen, die Sache ist glasklar. Der junge Anwalt Caspar Leinen (Elyas M'Barek) übernimmt den Fall als Pflichtverteidiger, vom Staatsanwalt belächelt.

Alles könnte so einfach sein. Aber dann stellt sich heraus, dass alles eben gar nicht einfach ist, sondern recht kompliziert.

Erstens will Collini nicht reden. Mit niemandem. Zweitens stellt Leinen, nachdem er den Fall schon übernommen hat, fest, dass das Opfer sein Ziehvater war. Der hat ihn, wie immer wieder in sonnenüberblendeten idyllischen Rückblenden zu sehen ist, wie einen Sohn aufgezogen.

Elyas M'Barek strebt in dieser Rolle offensichtlich einen Imagewechsel an

Die Rückblenden finden immer im Gegenlicht statt, damit man weiß, dass das damals eine richtig gute Zeit war. Das Auto, das Leinen fährt, ist ein Geschenk des Opfers, dessen Enkelin Johanna Meyer (Alexandra Maria Lara) war seine Jugendliebe. Leinen überlegt kurz, den Fall abzulehnen - aber da er offenbar emotionalen Stress mag und der Film sonst keine innere Spannung hätte, ignoriert er all diese Umstände und jede Befangenheitsklausel und stürzt sich kopfüber ins Vergnügen.

Das bedeutet nicht nur, dass er den Fall behält, er fängt auch an, mit Johanna Meyer zu schlafen, weil Gerichtsfälle erst so richtig mitreißend werden, wenn der Verteidiger des Täters mit der Enkelin des Opfers kopuliert. Das wird nicht weiter thematisiert, bis Johanna auffällt, dass Leinen vorhat, tatsächlich seinen Job zu machen. Dann wird es erst richtig vertrackt. Denn, oh nein!, der nette Opa war Nazi!

Elyas M'Barek strebt in dieser Rolle offensichtlich einen Imagewechsel an, weg vom Blockbusterspaßmacher. Leider bemüht er sich dabei so krampfhaft um die Darstellung von Nachdenklichkeit, dass ihm die meiste Zeit eher eine leicht schuldbewusste Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben steht, als wäre er durch einen dummen Zufall mit dem Anwalt verwechselt worden und hätte versäumt, das Missverständnis rechtzeitig aufzuklären. Ähnlich verloren irrte schon Moritz Bleibtreu als Schirachs Alter Ego durch die Fernsehverfilmung von "Schuld". Der junge Leonardo DiCaprio wäre ohne Maske als Glöckner von Notre Dame überzeugender als diese beiden als Rechtsanwälte.

Nun könnte man Marco Kreuzpaintner, oder dem Autor des dem Film zugrunde liegenden Bestsellers, Ferdinand von Schirach, einfach Dummheit und Unkenntnis unterstellen, aber wahrscheinlicher ist, dass sie die krasse Unlogik der Grundkonstellation bewusst in Kauf genommen haben, um einen Zweck zu erreichen.

Dieser Film ist eine Kino gewordene Familienaufstellung. Eine Familienaufstellung, die repräsentativ für alle deutschen Familien sein will. Man braucht dafür einen sehr liebenswert wirkenden Opa, der eigentlich richtig richtig böse ist und in der SS war - bitte da in die Ecke. Eine Enkelin, die das nicht wahrhaben will - bitte da drüben hinstellen, danke. Eine Hauptfigur, die zwischen den Fronten steht und von allen Seiten Prügel bezieht - sorry Elyas. Einen Onkel, der nicht per se böse ist, sich aber schuldig macht, indem er die Verbrechen vertuscht - hallo Heiner Lauterbach! Dahin! Und zu guter Letzt die Gerechtigkeit, hier verkörpert oder zumindest heraufbeschworen von Collini selbst. Ab in die Mitte! Diese Familienaufstellung ist, um nicht missverständlich zu sein, durchaus solide inszeniert. Solider deutscher Thrillerkitsch. Aber angesichts der Wichtigkeit des Themas - eigentlicher Kern ist das "Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (EGOWiG)", das laut Film etliche Mörder der NS-Zeit ohne Prozess davonkommen ließ — ist solider deutscher Thrillerkitsch einfach zu wenig.

Der Fall Collini , ARD, 20.15 Uhr

© SZ vom 18.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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