"Der Clown" im Ersten:Jerry Lewis, ein Clown, der das Grauen mit seinem Witz nicht besiegen konnte

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Ein Komiker in Häftlingskleidung: Jerry Lewis bei den Dreharbeiten zu The Day The Clown Cried. (Foto: NDR)

Jerry Lewis spielte 1972 einen Clown im Konzentrationslager. Zur Premiere des Films kam es nie. Ein Dokumentarfilm erzählt nun von einer Komödie, die zur Tragödie wurde.

Von Thomas Hahn

Es beginnt mit Jerry Lewis in seiner Rolle als Clown bei den ersten Aufnahmen zu seinem gewagtesten Projekt in Paris 1972. Lewis trägt einen zu kleinen Hut und eine rote Nase. Sein Mund ist mit dicker, weißer Schminke übermalt. Lewis versucht zu jonglieren, aber er lässt die Bälle fallen. Er versucht es noch mal, wieder vergeblich. Lewis winkt ab. Er wirkt genervt und irgendwie zu ernst. Und schon in diesen Archivbildern, mit denen der Regisseur Eric Friedler seine Dokumentation Der Clown einleitet, wird klar, worum es geht in dieser Geschichte über die verschollene Holocaust-Satire The Day the Clown Cried des jüdischen US-Komikers Jerry Lewis: nicht nur um die Annäherung an ein Rätsel der Kinogeschichte. Nicht nur um das Scheitern eines weltberühmten Entertainers. Sondern auch um die unendliche Schwierigkeit, ein Clown zu sein.

The Day the Clown Cried (Der Tag, an dem der Clown weinte) ist ein Mythos. Seit mehr als 40 Jahren fragen sich Fachleute und Fans, was aus dem Projekt geworden ist, das Jerry Lewis, verehrter Pionier des Klamauk-Films, einst selbst angekündigt hatte. Denn zur Premiere kam es nie. Man kennt die Handlung: Lewis spielt den deutschen Clown Helmut Doork, der im Suff Hitler beleidigt, ins KZ kommt, dort die jüdischen Kinder bespaßt, zum Nazi-Gehilfen werden soll und am Ende mit den Kindern in die Gaskammer geht. Aber sonst?

Kaum einer hat den Film je gesehen

Kaum einer hat The Day the Clown Cried je gesehen. Es gibt Gerüchte um den Film und Stimmen, die ihn für herzzerreißend schlecht halten. Eine stammt von Jerry Lewis selbst. Wenn er überhaupt etwas über den Film sagte, dann nur so viel, dass er zu missraten zum Vorführen sei. Ein Negativ lagert in der Library of Congress in Washington, versehen mit einer Freigabe-Sperre bis 2025.

Dieses Rätsel weckte die Neugier des Kino-Liebhabers und preisgekrönten Dokumentarfilmemachers Eric Friedler. Und die ARD gab ihm für seine Spurensuche die Zeit, die wohl nur ein öffentlich-rechtlicher Sender gewähren kann. Vier Jahre lang hat Friedler an Der Clown gearbeitet. 115 Minuten ist die Dokumentation lang. Eine gute Geschichte will nun mal Weile haben, und das Ergebnis rechtfertigt die Bemühungen. Friedlers Film ist spannend und vielschichtig. Er lüftet zwar nicht alle Geheimnisse, eröffnet aber neue Perspektiven.

Friedler ist in zweierlei Hinsicht ein Scoop gelungen, also eine Exklusiv-Leistung, die im Wettbewerbsjournalismus die Währung für Erfolg ist. Erstens hat er bewegte Bilder von The Day the Clown Cried ausgegraben, die noch nie öffentlich waren. Es sind Fragmente, die der schwedische Cineast Hans Crispin aus dem Wegwerf-Nachlass einer pleite gegangenen Produktionsfirma gefischt hat. Die KZ-Szenen drehte Lewis mit Schwedens Schauspielelite in Stockholm, deshalb lagerten hier die vergessenen Muster. Sie geben eine Ahnung davon, welche Stimmung The Day the Clown Cried trägt: Es ist keine lustige.

Der einst so schrille Blödel-Darsteller Lewis ist kaum wiederzuerkennen. Er hat seine kreischende Exzentrik verloren. Er ist ein geschundener Clown, dem im KZ das Lachen vergangen ist.

Der zweite Scoop besteht darin, dass Friedler ein Interview mit Jerry Lewis bekam, obwohl Lewis solche Anfragen bisher immer abgelehnt hatte. Joan O'Brien, die Autorin des Originaldrehbuchs, gab einst die Rechte nicht frei, weil ihr Lewis' Arbeit nicht gefiel. Lewis erkannte sein Scheitern und stürzte in eine lange Krise. Mittlerweile ist Jerry Lewis ein charismatischer Greis von 89 Jahren und weise geworden. Er hat Abstand gewonnen zum Trauma seiner Karriere. Er hat den Mut zu sagen: "Das Thema Holocaust hat mich überfordert."

Friedler prahlt nicht mit seinen exklusiven Stoffen. Fast beiläufig fügt er sie ein in den Reigen von Zeitzeugen und historischen Bildern. Spielerisch entwickelt er so das Drama hinter der Komödie vom Clown im KZ. Und am Ende fließen die vergilbten Aufnahmen aus dem Original zusammen mit den Szenen eines anderen künstlerischen Abenteuers. Sechs der schwedischen Schauspieler, die bei The Day the Clown Cried mitwirkten, spielen in einem Stockholmer Studio den alten Film nach. Die Männer sind grau geworden, aber ihre Darbietung hat Kraft, und aus dem Wechsel der Bilder erwächst eine melancholische Rückschau, die viel erzählt von der Sehnsucht, die Zeit zurückdrehen zu können.

Aber es gibt kein Zurück. Die Chancen, die im Projekt lagen, sind für immer begraben. Lewis' Karriere war Anfang der Siebzigerjahre ins Stottern geraten, er wollte einen neuen Impuls. Er arbeitete hart für The Day the Clown Cried. Er bereiste KZ-Gedenkstätten. Er ließ ein detailreiches Film-KZ aufbauen, er engagierte einen früheren Wärter als Berater. Aber dann stand er in seinem groben Häftlingsgewand zwischen Stacheldraht und kalten Mauern, sah in die Augen der Kinder, die Kittel mit Davidstern trugen - und plötzlich muss ihm alles zu echt und bedrückend vorgekommen sein. Er konnte nicht mehr lustig sein, und weil er nicht mehr lustig war, ließ er, Jerry Lewis, der alternde King of Comedy, seine eigene Arbeit durchfallen.

"Möglicherweise ist sein Urteil falsch", sagt Eric Friedler. Vielleicht hätte Jerry Lewis nur einsehen müssen, dass aus seiner Komödie eine Tragödie geworden war. Warum sollte ein Film gleich schlecht sein, bloß weil er nicht zum Image des Hauptdarstellers und Regisseurs passt? Andererseits: Darf sich ein Komiker zugestehen, dass er statt einer lustigen aus Versehen eine schreckliche Geschichte erzählt?

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The Day the Clown Cried wäre seiner Zeit voraus gewesen. Als Charlie Chaplin an Der Große Diktator (1940) arbeitete, wusste er noch nichts von den Schrecken der KZs, schrieb er in seiner Biografie. Jerry Lewis wusste um jene Schrecken, aber 1972 war die Erinnerung an das Dritte Reich noch zu frisch, als dass sich die Leute eine Verbindung zwischen Humor und Holocaust vorstellen konnten. Der Italiener Roberto Benigni gewann später den Oscar mit einer Komödie, die The Day the Clown Cried nicht unähnlich ist: In Das Leben ist schön lacht der Spaßvogel gegen den Nazi-Terror an. Aber das war 1997.

Jerry Lewis konnte Anfang der Siebziger nicht so konsequent lachen. Ihm fehlte die Kraft, ein Tabu zu brechen, und wohl auch die Sorte Humor, die selbst die düsterste Erinnerung nicht umschmeißt. Jerry Lewis war der Clown, dem es nicht gelang, das Grauen mit seinem Witz zu besiegen.

Der Clown , ARD, 22.45 Uhr.

© SZ vom 03.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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