DDR-Kino:Der Weg in die Rebellion

Lesezeit: 3 min

Defa-Science-Fiction "Der schweigende Stern" nach Stanislaw Lem von 1960. (Foto: imago images/Ronald Grant)

Humanistisches Pathos, umschwärmte Schupos, Science-Fiction: Die ARD zeigt in der Mediathek eine sehenswerte Reihe mit Defa-Filmen.

Von Fritz Göttler

Ein zu Unrecht geschmähter Film sei Der schweigende Stern, der große Defa-Science-Fiction-Film von 1960, erklärt uns der Held in Charlie Kaufmans genial durchgeknalltem Roman "Ameisig", ein egomanischer Filmkritiker - er hat sogar seine Dissertation über diesen Film geschrieben. Ein Defa-Film von internationalem Format, das klingt fantastisch, aber es ist Fakt.

Der Film von Kurt Maetzig, nach einem Roman von Stanislaw Lem, kam in Amerika in die Kinos, die Verleiher brauchten jede Menge Stoff, billige Genrefilme, für die Kids in den Autokinos, und sie wurden fündig in aller Welt. Nun ist Der schweigende Stern eines der Glanzstücke in der Reihe zum 75. Jahrestag der Gründung der DDR-Filmgesellschaft Defa, die in diesen Wochen in der ARD abrufbar ist.

Wenn das DDR-Kino lustig sein wollte, kam es dem der Bundesrepublik unfreiwillig besonders nahe

Es war natürlich eine gekürzte Version von Maetzigs Film, die in den USA lief, das humanistische Pathos und all die Anmerkungen zu Hiroshima sind getilgt. Die Defa akzeptierte, die DDR brauchte sehr dringend Devisen. Und die Effekte des Films sind stark, die Spannung ist intensiv, auch wenn es bei diesem Trip auf den Planeten Venus keinen einzigen galaktischen Kampf gibt.

Plädoyers für Humanismus und Sozialismus prägten die Botschaften der Defa-Filme, gegen Kapitalismus und Imperialismus, auch das reiche Genrekino gibt es: Märchen und Science-Fiction, Melodramen und die Indianerfilme mit dem virilen Gojko Mitić, Chingachcook, die große Schlange oder Die Söhne der großen Bärin. Um den gruppierten sich, wie um den eher milden Pierre Brice als Winnetou in den in Westdeutschland bekannteren Karl-May-Filmen, biedere deutsche Akteure, als Indianer kostümiert. Ein starkes Melo mit politischer Grundierung war Sterne, 1959, von Konrad Wolf. Ein deutscher Unteroffizier verliebt sich im Weltkrieg in einem bulgarischen Dorf in eine zur Deportation inhaftierte junge Jüdin. Der Film wurde beim Festival in Cannes ausgezeichnet - das war die andere Währung, auf die die Defa neben den Devisen aus war, das internationale Lob. Als er in der BRD schließlich gezeigt wurde, war die letzte Szene geschnitten, wenn der Unteroffizier mit den Partisanen sich zusammentut.

Das DDR-Kino war, trotz aller Bemühung, kein proletarisches, sondern ein bürgerliches Medium, und es reflektierte eine (klein-)bürgerliche Gesellschaft. Wenn es lustig sein wollte, kam es dem Kino in der Bundesrepublik besonders nahe, mit Klamotten, die entweder spritzig oder dröge waren. Geliebte weiße Maus heißt ein knallbuntes Singspiel, die Maus ist ein Schupo auf einer Verkehrsinsel, der von den Frauen heiß begehrt wird. Kriminaler sind starke Identifikationsfiguren in diesen Filmen, Hände hoch oder ich schieße zeigt einen, der daran leidet, dass das Verbrechensniveau der DDR so niedrig ist und er keinen aufregenden Fall kriegt, nur verloren gegangene Hasen einsammeln muss - der Film war unbegreiflicherweise in den Sechzigern verboten.

Nach dem 11. Plenum des ZK der SED verschwand beinah ein ganzer Jahrgang Filme in der Versenkung

Von den Kellerfilmen - also denen, die der Staat nicht zeigen ließ - gibt es in der Mediathek unter anderem Spur der Steine von Frank Beyer und Berlin - Ecke Schönhauser ... von Gerhard Klein, auf den Straßen Berlins gedreht, das Gegenstück zu den Halbstarken, die zur gleichen Zeit im Westen entstanden, mit Horst Buchholz und Karin Baal. In den Sechzigern setzten immer mehr Filme sich kritisch (auch: selbstkritisch) mit der DDR-Realität auseinander, und das 11. Plenum des ZK der SED erklärte dies im Dezember 1965 als Verzerrung der Wirklichkeit und Verrat am Sozialismus. Einer Defa-Jahresproduktion an Filmen, teilweise noch gar nicht fertig, wurde die Kino-Auswertung verweigert.

Immer schon stand das Kino auf Seiten der Outlaws, der Wilden, der Rebellen - Marlon Brando ist eins der Vorbilder auch in Berlin - Ecke Schönhauser ... Das Plenum reagierte radikal darauf, mit seiner Politbüro-Engstirnigkeit, seinem spießigen Scheuklappen-Blick. Es war eine Zäsur im DDR-Kino, ähnlich hart wie die im bundesdeutschen ein paar Jahre zuvor, als die jungen Filmemacher Opas Kino für tot erklärten. "Jenes Plenum, scheint mir", erklärte 2011 der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, der am Schweigenden Stern wie an Berlin - Ecke Schönhauser ... mitgearbeitet hatte, "war noch etwas anderes als die Zuspitzung langer Missverständnisse zwischen Kunst und Politik. Der Versammlung fiel es nicht schwer, von Filmen nichts zu verstehen. Doch eigentlich hat die Politik sich am Beispiel der Kunst die Realität abbestellt."

Im Jahr 1989 kam Coming Out heraus, der einzige Film der Defa, der Homosexualität behandelt. Ein Film der Zivilcourage, des Gemeinschaftsgefühls. Heiner Carow, der Jahre lang für diesen Film kämpfte, bleibt ganz nah bei den Menschen, die Liebe suchen, sich verirren, sich verführen lassen, verzweifeln. Das Gefühl einer jugendlichen lost generation kulminiert mit dem Ende einer gesellschaftlichen Ordnung. Die Uraufführung fand am 9. November 1989 statt im Kino International, die Premierenfeier im Lokal Zum Burgfrieden, nahe dem Grenzübergang Bornholmer Straße, der in dieser Nacht geöffnet wurde. Die Defa machte dann noch ein paar Jahre weiter, erst 1993 wurde nicht mehr produziert.

In der ARD-Mediathek

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Dokumentarfilm "Wirecard - Die Milliarden-Lüge"
:Gezeichnet vom Skandal

Der aufwendig recherchierte Film "Wirecard - Die Milliarden-Lüge" lässt die zu Wort kommen, die den Konzern demaskiert haben. Und zeigt neue Dimensionen des Falls.

Von Stefan Fischer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: