Ab und zu ermittelt Schimanski immer noch, zuletzt 2013, ein alter ehemaliger Polizist ist er, Typ einsamer Wolf. Schimanski war mal der Inbegriff des Wochenend-Aufregers. Sagte dauernd Scheiße, brach Gesetze, rasierte sich selten, soff oft, und wenn er richtig voll war, fuhr er Auto. Oder Motorrad. Oder mit einem Schnellboot auf der Ruhr. Deutschland diskutierte dann montags, ob der Flegel sonntags so was durfte. Götz George war Horst Schimanski. Es gab nie wieder einen wie ihn.
Das war zwar Fernsehsteinzeit, aber eine Revolution gegenüber dem, was vorher war. Da hießen Krimis noch "Die Tote im Hafenbecken" ( Stahlnetz, 1958), "Tödlicher Irrtum" ( Der Kommissar, 1970), "Ein tödlicher Preis" ( Derrick, 1980) oder "Eine mörderische Idee".
Hoppla, in der Zeile verrutscht! "Eine mörderische Idee" ist ja brandaktuell, Polizeiruf 110, 2014. Mag man kaum glauben angesichts des Titels der Folge und deren Inhalt. Da explodiert eine Bombe in einem Supermarkt, ein Anrufer warnt vor weiteren Anschlägen auf andere Supermärkte. Passiert aber nicht. Gleichzeitig wird im Hafen ein Container leer geräumt, ein Millionenraub. Ein Wachmann stirbt. Eine Videoanlage ist manipuliert worden. Per Computer! Cyber, Cyber.
Hat der Anrufer etwa die Polizei ablenken wollen, die am einen Ende der Stadt nach Bomben suchte, die es nicht gab, während am anderen das Verbrechen geschah, aber keine Einsatzkräfte verfügbar waren (weil die nach Bomben suchten)? Der Moment in diesem Polizeiruf, wenn die Beamten ihre 16 roten Fähnchen (bedrohte Supermärkte, alle Magdeburg-Süd) und das eine blaue (Raub, Magdeburg-Nord) auf den Stadtplan kleben und merken, dass das Absicht gewesen sein könnte: Zeit des Erwachens. "Aha. Nun?" - "Das ist kein Zufall." - "Wer wäre dazu imstande?" - "Jemand, der sich mit Computern auskennt und auf dem Hafengelände." - "Das ist aber eine gewagte Theorie, Drexler." - "Ach, ist das Ihre Meinung?" - "Bringen Sie mir Beweise."
Dieses Stück ist - nachdem auf dem Platz in den vergangenen Wochen so oft so gute Filme liefen - fast eine Zumutung. Es kann sicher Zuschauer geben, die nach dem uferlosen Hessen- Tatort oder dem beklemmenden Rostock -Polizeiruf so einen ganz normalen Rätselkrimi schätzen werden: Böse Tat am Anfang, zwischendurch ein paar falsche Spuren, viele gestreifte Klischees (verwöhntes blondes Politiker-Töchterchen, Uni-Nerds bei der Ego-Shooter-Party, schmieriger Spediteur, größenwahnsinniger Professor, verliebter Versager), eingebettet in ein Cyber-Milieu, das nicht auserzählt wird. Hauptsache, irgendwas wird ferngesteuert. Tückisches Wlan.
Das Publikum mit einer Erwartungshaltung an Spannung, Dialog, Handlung oder Humor wird es allerdings kaum über die 30. Minute hinaus aushalten. Der Film bedient sich so reichlich am Krimi-Stehsatz, dass sich bei den Dienstbesprechungen die Beamten sogar über sich selbst zu langweilen scheinen.
Schade eigentlich, denn Claudia Michelsen hatte ja mal ganz vielversprechend angefangen als Magdeburger Ermittlerin Doreen Brasch. Sie hätte eine Art weiblicher Schimanski werden können, fährt Motorrad, hat keine Waschmaschine, duzt Fremde, steckt in schwierigen Familienverhältnissen, raucht. Wirkt hübsch verloren. Gemessen etwa an einer Charlotte Lindholm (Tatort Hannover) ist das maximal unkonventionell. In diesem Film: ist sie verloren.
Hauptrollenschauspielerin Claudia Michelsen:Im Zylinder ein Kaninchen
Sie spielt das Pragmatische und das Gegenteil davon gleich mit: Claudia Michelsen ermittelt im "Polizeiruf" in Magdeburg und tritt in Fernsehfilmen auf, die sich ein Kunstlied von Franz Schubert leisten. Begegnung mit einer Schauspielerin, die im Fernsehen jetzt zeigen darf, was sie kann.
"Wenn ich nicht alle 15 Sekunden meinen Daumen scanne, wird die Löschanlage des Servers aktiviert", sagt der Bösewicht am Ende. Na denn: Lass los, bitte!
Polizeiruf 110, ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.