Hauptrollenschauspielerin Claudia Michelsen:Im Zylinder ein Kaninchen

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Ohne dass es groß um die Vergangenheit Ost geht: Claudia Michelsen als Kommissarin Doreen Brasch im Magdeburger "Polizeiruf 110". (Foto: MDR/Julia Terjung)

Sie spielt das Pragmatische und das Gegenteil davon gleich mit: Claudia Michelsen ermittelt im "Polizeiruf" in Magdeburg und tritt in Fernsehfilmen auf, die sich ein Kunstlied von Franz Schubert leisten. Begegnung mit einer Schauspielerin, die im Fernsehen jetzt zeigen darf, was sie kann.

Von Claudia Tieschky

Ein junger Mann mit sehr viel Metall an den Fingern putzt schnell das Besteck, das Claudia Michelsen in der Szene, die gleich gedreht wird, nicht benutzen kann. Sie trägt einen Gips, und nicht nur das ist ein Hindernis beim Kerzenlicht-Dinner mit dem Ehemann. Er hat die Nachbarin geschwängert und sagt jetzt treuäugig, was man sagt, wenn man mit allen Kochkünsten um seine Frau kämpft: Es tut mir wirklich leid, was ich dir und der ganzen Familie angetan habe.

Und wo sowieso schon alles explodiert, fliegt auch gleich noch eine lange grüne Bohne von Michelsens polierter Gabel durch die Luft. Es sieht aus wie ein Schulterzucken, nur zuckt die Bohne statt der Schulter.

Es ist noch nicht lange her, da war Claudia Michelsen eine Schauspielerin, die mit besonderen Rollen in einigen besonderen Filmen auffiel. Rollen, die so waren wie in dem Stasi-Drama 12 heißt: ich liebe dich, in dem sich eine Gefangene in den Mann verliebt, der sie monatelang verhört.

Dann kam die ZDF-Fernsehserie Flemming, und im Oktober 2012 die Romanverfilmung "Der Turm" nach Uwe Tellkamp in der ARD, in der sie sich von der harmoniewilligen Familienmutter zur Bürgerrechtlerin wandelt. Man sieht den arrangierten Alltag einer Ärztefamilie aus Dresden, und man sieht, wie dieser Alltag an seinen Kompromissen zerbröckelt.

Neulich kam "Der Turm" als Wiederholung, wenige Tage vor dem wunderbaren Fernsehfilm "Grenzgang". In "Grenzgang" geht es eigentlich um Alltag Provinz West, der Film ist aber auf einmal vollkommen entrückt durch den merkwürdigsten Soundtrack, den es in den vergangenen Jahren im Quotenfernsehen gab, mit dem deutschen Kunstlied "Leise flehen meine Lieder durch die Nacht zu Dir". Versuch einer Deutung: Grenzgang handelt von der Sehnsucht nach einem Gefühl wie bei Schubert in einer pragmatisch zu bewältigenden Gegenwart.

Konzentriert ungeschickt

Die Kunst von Claudia Michelsen besteht darin, dass sie immer noch etwas anderes spielen kann als das Buchstäbliche. Sie spielt also das Pragmatische und das Gegenteil davon gleich mit.

Am Westrand der Münchner Innenstadt entsteht jetzt in einem schicken Münchner Architekturbüro eine als Familienkomödie ausgewiesene Produktion mit dem Arbeitstitel "Seitensprung".

Michelsen - im kleinen Schwarzen und eleganten Stiefeletten - ist in der vorausgegangenen Stunde immer wieder konzentriert am romantisch gedeckten Tisch gesessen, während die Kamera vor allem ihre Hände beim ungeschickten Hantieren mit dem Besteck aufnahm.

Der Gips ist nur Requisite, in einer Pause zaubert sie zur Begrüßung die Hand aus der weißen Verschalung wie das Kaninchen aus dem Zylinder. Die Magierin hat hochgezogene Brauen über grünen Augen und zeigt ein lustiges Triumphlächeln, als ob sie sagen würde: Schau, was ich zaubern kann. Es ist das Ende eines langen Arbeitstages und sie ist: verspielt und zugewandt.

Irgendwann hat sich Claudia Michelsen verwandelt in eine Schauspielerin, die eigentlich alles spielen kann, Komödie und neuerdings sogar eine Motorrad fahrende Polizeiruf-Kommissarin namens Doreen Brasch aus Magdeburg - ohne dass ihr dabei dieses Besondere abhanden käme, dieses eigensinnige Leuchten. Und langsam versteht das Fernsehen, was für ein Gewinn das ist.

Es ist ein dunkler Abend Mitte Dezember und in München wird auf dem Christkindlmarkt dem Glühwein in allen europäischen Dialekten zugesprochen. Sehnsucht ist ein legitimes Bedürfnis des Menschen. Hier wird sie als Kitsch in früher einmal schönen, aber endlos abgenudelten Liedern befriedigt.

Eine Stunde nach Drehschluss kommt Claudia Michelsen ins "Blaue Haus" - nun in Jeans, grünem Parka, schwarzem Oberteil, die Haare hochgebunden. Michelsen mag diesen Ort, an dem man umstandslos an großen hellen Holztischen sitzt, und der sich meist entsprechend den Aufführungszeiten der Kammerspiele füllt und leert. Theaterrhythmus. Jetzt ist es voll, und wer von draußen aus der Dunkelheit kommt, gerät in die vielen Gesprächsgeräusche wie in eine sanft betäubende Wärmequelle.

Am Tisch mitten unter all den Leuten sitzt eine Person, die sich nicht verstecken will. Die aber eher zögerlich über das abgelaufene Jahr spricht, in dem sie in der öffentlichen Wahrnehmung endgültig zur Hauptrollenschauspielerin geworden ist.

Claudia Michelsen kann auch Schauspielerinnenporträtsätze liefern wie: "Ich hatte über die Jahre immer wieder die Möglichkeit, spannende Figuren zu erzählen und mit großartigen Leuten zu arbeiten." Sie gibt immerhin zu, dass die letzten Jahre besonders waren. Und als wäre das schon ein Zugeständnis gewesen an einen unterstellten Ruhm, den sie nicht erkennen will, nimmt sie gleich wieder etwas zurück; spricht von einer "vergrößerten Außenwahrnehmung" mancher Projekte.

Arbeitsmäßig, sagt sie, habe sich für sie gar nicht so viel verändert , sie fange jeden Tag wieder bei null an, "ich bin nervös und auf der Suche." Etwas Heiteres umgibt sie an diesem Dezemberabend. Alle glauben, sie zu kennen, aber sie erlaubt es sich, fremd zu bleiben, wie in ihrer eigenen Musik.

An Claudia Michelsen kann es streng wirken, wie sie sich über alles Gedanken macht. Sie setzt die Worte vernünftig. Manchmal redet sie mit einer Stimme, die einem breitbeinig daherkommenden Menschen gehören könnte. So als wäre sie unter lauter Männer geraten und müsste den Regisseur überzeugen.

Mit 16 durchgebrannt

Man darf das nicht vergessen: Sie ist ein Theatergeschöpf. Oft vermerkt wird, dass sie 1994 der Liebe wegen nach Los Angeles ging. Der wahre Ausbruch fand früher statt im Leben. Sie ist im Alter von 16, vier Jahre bevor die Mauer fiel, durchgebrannt, ist von Dresden nach Berlin zur Schauspielschule Ernst Busch und dann zur Volksbühne - als sich die Welt veränderte, spielte sie an der politischsten Bühne Deutschlands.

Sie hat einmal darüber geschrieben, wie sie nach dem Willen von Heiner Müller am 4. November 1989 bei der Demonstration auf dem Alexanderplatz hätte sprechen sollen und sich nicht ans Mikrofon traute.

Sie ist dann so weit wie möglich nach Westen geraten, bis zum Pazifik, und erst langsam wieder heimgekehrt. Nach Berlin, und für die Arbeit beim "Turm" auch nach Dresden. Eine neue Begegnung mit der Stadt, "vielleicht gibt es einen Hauch Sentimentalität, der da mitschwingt".

Neuland in Magdeburg

Ihr Lebensmittelpunkt und der ihrer beiden Töchter ist weiter Berlin, aber in Meißen ist sie Patin der Kinderhilfe "Arche" geworden. Das ist ihr wichtig, den Arche-Gründer Bernd Sigelkow nennt sie einen "wirklichen Helden unserer Zeit". Ein paar Tage nach dem Gespräch will sie wieder hin.

2013 hat sie unter anderem einen Abenteuerfilm in Mexiko gedreht, eine Komödie von Hermine Hundgeburth, sie ist demnächst in der Rolle einer reichen Unternehmerin zu sehen, die von einem Hochstapler bedroht wird. Im Januar entsteht ein neuer Polizeiruf 110, der im gegenwärtigen Magdeburg spielt, ohne dass es groß um die Vergangenheit Ost geht.

Sie würde natürlich nie behaupten, dass sich in ihren Rollen ihre Biografie rundet, zumal Magdeburg für sie "komplettes Neuland" ist, wie sie sagt. Außer dass die Elbe da entlang fließt und die Elbe ist "ein mir sehr vertrauter, wundervoller Fluss, mit dem ich aufgewachsen bin. Für mich der schönste Fluss Deutschlands." Manchmal führt Sehnsucht doch nach Hause.

© SZ vom 24.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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