Propaganda:Der liebe Lukaschenko

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Sicherheitskräfte stehen Migranten an der belarussisch-polnischen Grenze gegenüber, während sie vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR)humanitäre Hilfe erhalten. (Foto: Ramil Nasibulin/dpa)

Wie belarussische Staatsmedien die Situation an der Grenze zu Polen zu Propagandazwecken nutzen.

Von Frank Nienhuysen

Der Staat ist kaum wiederzuerkennen, Hilfsbereitschaft überall. Belarussische Männer in Camouflage-Uniform füllen aus Bottichen Tee in Pappbecher und reichen sie anstehenden Flüchtlingen, Wasserflaschen werden verteilt, lächelnde Kinder mit großen Tüten versorgt. Gerade erst sei eine ganze Etage eines Logistikzentrums freigelegt worden, um Platz zu schaffen für Flüchtlinge aus Nahost; "Danke Belarus", zitiert die staatliche Nachrichtenagentur Belta einen von ihnen, "aber wir hoffen es nach Deutschland zu schaffen." Der belarussische Staat, der seit mehr als einem Jahr mit gnadenloser Härte gegen Kritiker in der eigenen Bevölkerung vorgeht, und wenn sie auch nur Shirts oder Hosen in rot-weißen Oppositionsfarben tragen, präsentiert sich gerade als Fürsorger und Retter.

Das Drama an der polnisch-belarussischen Grenze ist unübersichtlich, doch die Bilder und Berichte der belarussischen Staatsmedien sind klar: Polen und die Europäische Union kommen extrem schlecht weg und seien Schuld an der Krise. Polnische Wasserwerfer traktieren auf diesen Bildern wehrlose Menschen, Flüchtlinge stehen einem behelmten Riegel polnischer Sicherheitskräfte gegenüber, die ihnen den Weg in die EU versperren. Und immer wieder Fotos von Kindern. "Der demokratische Westen verschließt einfach die Augen vor den Verbrechen gegen die Menschlichkeit", heißt es auf der Website des Staatssenders Belarus 1. "Die polnischen Soldaten sind kalt, berechnend und seelenlos", zitiert Belta ein Mitglied des Rats der Republik, Felix Jaschkow. Und dass nun Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Machthaber Alexander Lukaschenko telefoniert hat, werten die Minsker Staatsmedien als "Anzeichen des gesunden Menschenverstandes", der sich in der EU nun zeige. Es geht wie immer in Konflikten auch um Deutungshoheiten, um die Macht der Bilder. Belarus hat in diesem Fall einen Standortvorteil. Es ist näher dran an den Flüchtlingen auf belarussischer Seite. Und unabhängige Medien gibt es kaum noch in Belarus.

Für andere Bilder hätten Kinder auf Anweisung ihre Schuhe ausgezogen, um den Eindruck der Hilfsbedürftigkeit zu verstärken

"Was wir hier sehen, ist Teil eines hybriden Krieges", sagt Alina Koushyk der SZ am Telefon. "Jeden Tag wird im belarussischen Staatsfernsehen Polen als schlechtes Land dargestellt, werden Bilder von Kindern mit traurigen Augen gezeigt." Alina Koushyk ist eine belarussische Fernsehjournalistin, die in Warschau für den Exilsender Belsat arbeitet. Sie erzählt von einem Bericht im belarussischen Staatsfernsehen, das einen etwa zehn bis zwölf Jahre alten weinenden Jungen zeigt und der schreit, er wolle nach Polen. Auf einem Video im Messengerdienst Telegram aber sei zu sehen gewesen, wie dessen Eltern mit Zigarettenrauch ganz nah an das Kind herangegangen seien, um das Weinen zu verstärken. Für andere Bilder hätten Kinder auf Anweisung ihre Schuhe ausgezogen, um den Eindruck der Hilfsbedürftigkeit zu vergrößern. "Die belarussische Seite nutzt dies für ihre Propaganda", sagt die Journalistin, "und Polen hat diesen Krieg verloren. Das hat man in Warschau nun verstanden."

Belsat beschäftigt in Belarus inzwischen keine eigenen Reporter mehr, "das ist zu gefährlich", sagt Koushyk. Das Regime hat den Sender als "extremistisch" eingestuft, Belsat nutzt deshalb nun häufig Youtube und Telegram als Social-Media-Quellen. Aber auch die Haltung der polnischen Führung kritisiert Koushyk. Bilder des Grenzgebiets, auf die Belsat zurückgreift, stammen wegen des ausgerufenen Notstands vor allem vom polnischen Grenzschutz sowie dem Verteidigungsministerium. Erst jetzt soll Medien der Zugang erlaubt werden.

Ob auf belarussischer Seite die staatlichen Medienberichte überhaupt verfangen, nach einem Jahr der offenen brutalen Abrechnung mit einem Großteil der eigenen Bevölkerung? "Die Menge an Propaganda ist enorm", sagt Alina Koushyk, "aber die meisten glauben nicht daran."

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