Der Terror ist in dieser einen Stunde unsichtbar. Doch er kriecht einem unter die Haut, weil man ihn hören kann. In dem Dokumentarfilm "Die dunklen Schatten des Bataclan" von Francis Gillery sieht man die Cafés, das Bataclan und das Stade de France, all die Orte, die am 13. November 2015 zu Tatorten wurden, im Sonnenschein mit friedlichen Passanten davor. Dort, wo vor sechs Jahren 131 Menschen ermordet wurden, geht das Leben weiter. Wie wenig die Erinnerung an das Grauen verblasst ist, illustriert die Tonspur des Films: Schüsse, Schreie, Kommentare von Augenzeugen. Originalaufnahmen aus der Nacht, die Paris bis heute traumatisiert.
Dass dennoch entscheidende Jahre vergangen sind seit den islamistischen Anschlägen, zeigen die Herangehensweise und das Ziel der Dokumentation. Es geht nicht darum, erneut die Verzweiflung und die Trauer der Opfer abzubilden. Es geht darum aufzuklären. Der Film erscheint passend zum Beginn des Bataclan-Prozesses, der kommende Woche in Paris startet. Das Kernstück der Dokumentation ist die Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der 2016 in Frankreich sechs Monate lang daran arbeitete, "Lehren aus den Attentaten von 2015" zu ziehen, wie es im Titel des Abschlussberichts heißt.
Nationale Grenzen halten die späteren Täter nicht auf, die Ermittler hingegen schon
Der Vorsitzende des damaligen Untersuchungsausschusses Georges Fenech (Les Républicains) ist einer der zentralen Protagonisten des Films. Er erzählt nicht nur von seiner damaligen Arbeit, er trifft sich für die Dokumentation erneut mit Anti-Terror-Richtern, mit Ermittlern, mit der Anwältin eines Opferverbandes. Was lief damals falsch? Was haben Zuständige versäumt und übersehen? Was hätte verhindert werden können?
Das Bild, das entsteht, ist niederschmetternd. Es zeigt auf der einen Seite ein Netzwerk aus Terroristen, das sich ohne große Hürden zwischen Belgien, Frankreich und Syrien hin und her bewegt. Auf der anderen Seite Geheimdienste und Polizeizentralen, die im Vergleich umso schwerfälliger wirken. Nationale Grenzen halten die späteren Täter nicht auf, die Ermittler hingegen schon. Der stellvertretende Vorsitzende des belgischen Untersuchungsausschusses zu den Anschlägen in Brüssel 2016, Georges Dallemagne, benennt klar, was auch in jedem anderen Interview des Films anklingt: "Leider haben die belgischen, französischen, europäischen Geheimdienste versagt. Auch die polizeiliche Kooperation hat nicht funktioniert." Nicht einmal ein halbes Jahr nach den Morden des 13. Novembers 2015 verüben die Drahtzieher von Paris den Anschlag auf den Brüsseler Flughafen.
Niemand war darauf vorbereitet, dass die Terroristen gar nicht verhandeln wollen
Doch die Schwächen der Terrorismusbekämpfer liegen nicht nur in der internationalen Zusammenarbeit, sie sind auch auf diese neue Art des Terrors nicht vorbereitet. Ein führender Polizist erklärt: "Wir waren für Geiselnahmen geschult, nicht für Massaker." Sprich: Niemand war darauf vorbereitet, dass die Terroristen gar nicht verhandeln, sondern in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Menschen töten wollen. So standen Soldaten der Anti-Terror-Operation Sentinelle vor dem Bataclan, während drinnen das Morden begann. Eingreifen durften sie nicht, weil sie keinen Schießbefehl bekamen.
Zu den letzten Bildern des Films gehören Aufnahmen eines Pariser Parks in der Sonne. Alles sieht wieder friedlich aus. Und dazu die Stimme von Laurent Nuñez, der als Staatssekretär im Innenministerium die Arbeit der Geheimdienste koordiniert: "Die Zeit der Massenanschläge ist nicht vorbei."
Die dunklen Schatten des Bataclan, Arte, Freitag, 21.45 Uhr, und in der Arte-Mediathek .