Kulturplattform ARD Kultur:Eine Halde voller Podcasts

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Die ARD sucht auf ihrer Plattform den niedrigschwelligen Kulturbegriff: Kriminalpsychologin Lydia Benecke und Musikproduzent Mousse T. im True-Crime-Podcast "Melody of Crime". (Foto: Podstars by OMR / ARD KULTUR)

In der ARD eine eigene Mediathek für Kultur. Nur: Was ist das eigentlich?

Von Stefan Fischer

Und an der Stromgitarre: Ludwig van Beethoven! Sarah Willis, Hornistin bei den Berliner Philharmoniker, erklärt den Komponisten in der Dokumentation Eine Welt ohne Beethoven? zum Godfather of Rock 'n' Pop. Weil sein Einfluss bis hinein in Rock-Riffs und popmusikalische Konzeptalben reiche. Dieser Film der Deutschen Welle verbindet lustvoll das Elitäre mit dem Populären. Und steht damit - prominent präsentiert - programmatisch für die neue Plattform ARD Kultur aus Weimar, die nun offiziell online gegangen ist. Eine Mediathek speziell für Kulturinhalte, die sich in der Regel auch in der ARD-Media- oder -Audiothek finden, sowie im linearen Programm der einen oder anderen Kulturwelle. Hier sind sie noch einmal gebündelt zu finden.

Schon vorab hat sich der ARD-Vorsitzende, der WDR-Intendant Tom Buhrow, zitieren lassen mit den hymnischen Worten: "Mit ARD Kultur schaffen wir eine digitale Heimat für Kulturbegeisterte - und haben mit Weimar den perfekten Standort dafür gefunden." Wobei eigentlich keiner so genau sagen kann, warum ausgerechnet die thüringische Kleinstadt prädestiniert ist als Heimat dieser digitalen Anstrengung der Öffentlich-Rechtlichen - die ARD-Plattform will sich auch mit ZDF, Deutschlandradio und Deutscher Welle vernetzen, siehe der Beethoven-Film. Natürlich sind da Goethe, Schiller, Bauhaus; es muss ja auch nicht immer alles aus einer Berliner oder Münchner Perspektive betrachtet werden. Fakt ist aber auch: Federführende Landesrundfunkanstalt bei ARD Kultur ist der MDR. Der hat zwei Standorte in Sachsen, zwei in Sachsen-Anhalt - und bislang nur einen in Thüringen. Weimar tut also auch einem Proporz genüge.

Der Kulturbegriff wird auf der Plattform sehr weit gefasst

Viel wichtiger ist ohnehin die Frage, was in dem Portal zu sehen und zu hören ist. Und vor allem: was nicht. Gemessen daran, wie raumgreifend der Deutsche-Welle-Film den Einfluss des Komponisten bemisst, ist die Kultur-Plattform, auf der er nun gestreamt werden kann, ein bislang eher beethovenfreier Raum. Zugegeben, man stößt rasch auf Igor Levits Podcast 32 x Beethoven, in dem der Pianist alle 32 Klaviersonaten Beethovens spielt und erklärt. Und auf Udo Wachtveitls Lesung der Beethoven-Biografie Freiheit über alles. Aber es fehlt das Eigentliche: Einen Video- oder Audiomitschnitt von Beethovens einziger Oper Fidelio beispielsweise oder eine Einspielung seiner 9. Sinfonie. In der Sektion Jazz immerhin gibt es ein Format mit Videoaufzeichnungen von Livekonzerten - allesamt von den Leverkusener Jazztagen 2021. Sind das die entscheidenden Themen - Beethovens Einflüsse auf die Rolling Stones und Jazz bei einem eher mittelwichtigen Festival?

Das führt zur Frage nach dem Kulturverständnis bei ARD Kultur. Auf der Startseite finden sich aktuell neben Sendungen zu Gustav Mahler und Albrecht Dürer vor allem solche zu Mode, Gaming, Hip Hop, Deutsch-Punk. "Unser Anspruch ist Kultur für alle", erklärt Karola Wille dazu, die Intendantin des hauptverantwortlichen MDR. Die neue Plattform wolle sehr niederschwellig sein, und sie nehme insbesondere die 30- bis 50-Jährigen in den Fokus, bekräftigt Wille. Deshalb gibt es ein Format, eigens für ARD Kultur entwickelt, wie Beyond Fashion, in dem Avi Jakobs Mode als Kulturphänomen betrachtet, ein Rollenspiel namens Letzte Beute, das Gaming, Theater und Literatur miteinander verquickt, das Video Dichtung und Wahrheit, in dem deutsche Hip Hopper ihre Sicht der Dinge darstellen oder den True-Crime-Podcast Melody of Crime über Kriminalfälle im Kunstmilieu.

Worum es in den vielen Kulturmagazinen geht, ist mühsam herauszufinden

Was hingegen eher hinten runter fällt, sind Angebote für Menschen, die keine Schwellenangst gegenüber Kultur haben. Mithin das Kernpublikum eines Kulturportals. Zum Beispiel der Bereich Filme & Serien: Dort stößt man auf das Magazin Kino Kino des BR, den Podcast Glotz und Gloria von Cosmo (WDR) über Streamingserien und auf Score Snacks, ein Podcast, der sich mit Filmmusik befasst. Wunderbar. Gäbe es ihn nicht, man müsste ihn dringend erfinden. Nur eben auch wieder: ein Drumherum-Format. Aber der Regisseur Ulrich Seidl zum Beispiel kämpft gerade um seine Reputation wegen der Umstände, unter denen sein Film Sparta womöglich entstanden ist über einen Mann mit pädophilen Neigungen. Eigentlich müsste man so ein Thema hier dringend finden. Auf ARD Kultur erfährt man jedoch gut sichtbar platziert via Score Snacks etwas über Musik im Stummfilm. Zu Ulrich Seidl landet man zumindest dann zwei Treffer, wenn man den Namen in das Suchfeld eingibt. Aber das setzt voraus, dass man von der Causa überhaupt schon einmal gehört hat und dementsprechend weiß, nach was man sucht.

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Welche konkreten Themen man aber etwa in den vielen Magazinen auf der Plattform im Einzelnen findet, wird nicht moderiert. Man muss viel klicken und scrollen. Beispielhaft dafür ist die Literatur-Kategorie. In der findet sich immerhin die wichtige Rede des ukrainischen Autors Serhij Zhadan anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Ansonsten haben dort alle Sender aber vor allem ihre Literatur-Podcasts und, sofern existent, -Fernsehsendungen zusammengekarrt, weit vorne an der Rampe steht prominent Denis Scheck.

Daran zeigt sich die Schwierigkeit, vor der die ARD steht, all das, was die einzelnen Landesrundfunkanstalten produzieren, in ein sinnfälliges Ganzes zu überführen. Wie viele Podcasts braucht der Mensch auf einer Plattform? Wo ist vor lauter Vielfalt und leichtgängig Konsumierbarem ein Ort für die zentralen, die gesellschaftlich relevanten Debatten?

Das Portal ist kein Feuilleton in dem Sinne, dass man sich dort tagesaktuell über die wichtigen kulturellen Themen und intellektuellen Diskurse informieren könnte. Es sei denn, man fuchst sich durch die vielen Magazine und findet mühsam selbst heraus, in welcher Episode welcher Sendung es um welche Rapper, Comics oder Kulturskandale geht. ARD Kultur ist bislang vor allem ein großes Archiv, das noch unzureichend kuratiert und katalogisiert ist.

Auf der anderen Seite, und das darf man weder verhehlen noch geringschätzen, versammelt sich dort ein unglaublicher Reichtum an klugen, erhellenden, unterhaltsamen Beiträgen. Und - auch das eine Qualität - man findet beim Stöbern, was man gar nicht gesucht hat.

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