Amazon-Serie "The Romanoffs":Wohin klettert einer, der ganz oben ist?

Lesezeit: 4 min

The Romanoffs erzählt von Menschen, die sich für etwas Besseres halten. (Foto: Christopher Raphael / Amazon Prime Video)
  • Matt Weiner, der Erfinder und Showrunner der Serie Mad Men gehört zu den am höchsten geschätzten Drehbuchautoren in Hollywood.
  • An einem Nachfolgeformat zu seiner Erfolgsserie hat er drei Jahre gearbeitet.
  • Die Anthologieserie The Romanoffs, die nun auf Amazon Prime verfügbar ist, verspricht eine triumphale Rückkehr für Weiner.

Von Jürgen Schmieder

Es gibt diese wunderbare Straße in Los Angeles, sie schlängelt sich durch die Hollywood Hills, und es heißt immer, dass derjenige, der es zum Mulholland Drive geschafft hat, im Adel der Unterhaltungsbranche angekommen ist. Es gibt ein paar schöne Aussichtspunkte, man kann den Hollywood-Schriftzug sehen, das Griffith Observatory und die Häuser der Stars. Es ist durchaus möglich, dass jemand, der hier angekommen ist und jeden Tag den Mullholland Drive hinabfährt, irgendwann fragt: Und nun?

So viele Manuskripte landeten in der Tonne, dass sich Weiner schon um die Bäume sorgte

Wohin klettert einer, der ganz oben ist? Matt Weiner lebt seit ein paar Jahren mit seiner Frau Linda und vier Kindern in den Hollywood Hills, in einer Villa, die mal der Schauspielerin Joan Crawford gehört hat. Er hat sich als Drehbuchschreiber nach oben gearbeitet, bei der Sitcom Becker zum Beispiel und dem Mafia-Drama The Sopranos. Als Erfinder und Showrunner von Mad Men über die US-Werbebranche der Sechzigerjahre stieg er zu einem der anerkanntesten Geschichtenerzähler Hollywoods auf, und er fand im Frühling 2015 ein Ende für diese Serie, das mittlerweile als eines der großartigsten der TV-Geschichte gilt: Der Protagonist Don Draper will an der Westküste zu sich selbst finden, er wird beim Meditieren zum Coca-Cola-Werbespot ("I'd Like to Buy the World a Coke") inspiriert - was ihn letztlich wieder zu dem werden lässt, der er ohnehin schon immer gewesen ist. Weiner fragte sich bereits während der Produktion der letzten Mad-Men-Staffel und auch einige Jahre danach: Und nun?

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Er schrieb den Roman "Heather, the Totality", und seinen Angaben zufolge landeten derart viele Drehbuchversuche in der Tonne, dass er sich Sorgen wegen der Bäume machte, die deshalb abgeholzt werden mussten. Womit sollte einer schon zufrieden sein, der zuvor eine Serie verantwortet hatte, die allein im Jahr 2012 insgesamt 17 Mal für den Emmy nominiert wurde? Es hätte sich ein Mad-Men-Spin-off mit der jugendlichen Sally Draper angeboten, und Weiner scherzt nun: "Ich habe den Sendern mal gesagt: 'Ich habe eine Serie wie Mad Men, nur mit einer Frau in der Pharmaindustrie.' Die Leute sagten: 'Reden Sie nicht weiter! Sofort gekauft!' Das wollte ich jedoch nicht, es wäre fatal gewesen."

The Romanoffs heißt das Projekt, mit dem Weiner nun so zufrieden ist, dass er sie von Freitag an bei Amazon Prime veröffentlicht. Es ist keine Serie im herkömmlichen Sinne, es ist eine Anthologie aus acht Spielfilmen mit jeweils 90 Minuten, die lediglich eint, dass die rund um die Welt verteilten Protagonisten in der Gegenwart fest davon überzeugt sind, Nachkommen der Romanoffs zu sein, jenes Adelsgeschlechts, das von 1613 bis 1917 in Russland geherrscht hat.

"Ich wollte etwas erschaffen, das zwar einen roten Faden hat, bei dem es aber nicht so bedeutsam ist, in welcher Reihenfolge man es guckt oder ob man mal eine Folge verpasst hat", sagt Weiner, der sich damit und auch mit dem Veröffentlichungszyklus (die ersten zwei Episoden werden am Freitag freigeschaltet, danach wöchentlich eine neue) dem Trend des Binge-Watching entgegenstellt, es gleichzeitig aber auf die Spitze treibt. Der Zuschauer kann gucken, wann er will, er soll auch gucken, was er will - und wenn er was verpasst, dann ist das auch nicht so schlimm.

Die ersten beiden Folgen (wie immer äußert sich Weiner geheimniskrämerisch über sein Schaffen und verrät nicht, ob er die Handlungen am Ende zusammenführt) deuten an, dass es eine triumphale Rückkehr sein könnte. Das liegt an fantastischen Schauspielern wie Aaron Eckhart, Corey Stoll und Kerry Bishé, es liegt auch an den wahnwitzigen Kulissen und Kostümen (es gab ein Budget von 70 Millionen Dollar), vor allem aber am Geschichtenerzähler Matt Weiner, der wieder die großen Themen in kleinen Momenten findet, in den Sorgen seiner Figuren. "Ich will nie politisch sein", sagt er: "Aber es kann eine Figur geben, die sich für Politik interessiert - dann geht es um Politik."

Die Figuren in The Romanoffs halten sich für was Besseres, sie glauben, das Leben schulde ihnen etwas, ohne dass sie selbst etwas dafür tun müssten. Es wären witzige, bissige und sarkastische Geschichten, gäbe es da in der realen Welt nicht ein paar Menschen, die glauben, ihnen sei alleine aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer Staatsbürgerschaft oder ihrer Religion ein besseres Leben vergönnt. Eine Zeit eben, in der US-Präsident Donald Trump behaupten darf, dass es "eine gruselige Zeit für junge Männer sei".

Matthew Weiner, geboren 1965 in Baltimore, erfand die 2007 zum ersten Mal ausgestrahlte Serie Mad Men. Sein erster Roman erschien unter dem Titel Alles über Heather 2017 auf Deutsch. (Foto: Anthony Harvey/AFP)

Weiner spricht das nicht direkt an, sondern entwickelt seine Kommentare subtil in seinen Figuren. Und er arbeitet seine Vergangenheit auf, schließlich ist sein Name im Zuge der "Me Too"-Debatte genannt worden: Die Autorin Kater Gordon hatte ihm im November 2017 vorgeworfen, dass er während der Arbeit an einer Mad-Men-Episode gesagt habe, dass er es mittlerweile verdient habe, sie mal nackt zu sehen.

Das führte zu heftigen Debatten darüber, wie es im sogenannten Writers' Room zugehen dürfe, also beim gemeinsamen Drehbuchschreiben, das ein intimer Prozess sein kann. Es ging in Mad Men in beinahe jeder Episode um Sex, um Machtmissbrauch, um Misogynie, die Serie verschob die Grenzen des Geschichtenerzählens. Aber welche dieser Grenzen darf man selbst überschreiten und wann wird aus kreativer Genialität doch sexuelle Nötigung? Nun, Gordon fühlte sich ganz offensichtlich belästigt. Weiner sagt, er könne sich nicht exakt an den Vorfall erinnern, doch es sei ihm nach Gesprächen mit anderen Mitarbeitern bewusst geworden, dass er sich als Showrunner immer wieder daneben benommen habe.

Weiner, 53, war bei Mad Men ein Alleinherrscher, er bestimmte alles und wurde dafür bewundert und gefürchtet. Nun gibt es in The Romanoffs eine Figur in der zweiten Folge, die ein bisschen an ihn erinnert: höflich, verführerisch, charmant, klug, aber auch prahlerisch und aufbrausend und ständig mit der eigenen Unsicherheit kämpfend. Weiner findet das Große im Kleinen, und das kann auch mal eine Aufarbeitung seiner selbst sein. The Romanoffs ist ein großer Kommentar zur Welt und den Menschen heutzutage, und die Serie wird ziemlich sicher dafür sorgen, dass Weiner sein Haus in den Hollywood Hills wird behalten dürfen.

© SZ vom 12.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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