"Tatort" aus Luzern:Zum Klassenkampf singt Johnny Cash

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Wo er am Abend vorher war? "Da war Sonntag, da schaue ich immer Tatort", antwortet CEO Seematter. (Foto: ARD Degeto/ORF/Daniel Winkler)
  • Mit "Friss oder stirb" kommt der letzte Tatort des Jahres aus Luzern.
  • Es geht um den Klassenkampf: Proletarier Mike Liebknecht bedroht CEO Anton Seematter und dessen Familie.
  • Zwar spielt der vulkanartige Mišel Matičević den Proletarier, allerdings tritt er in diesem Fall ziemlich zahm auf.

Von Holger Gertz

Das Tatort-Jahr 2018 endet mit einem Abenteuer aus Luzern, und wem noch immer der Kopf summt vor Experimenten mit Vampirismus oder verschobenen Zeitebenen, der wird von den Schweizern solide bedient. Regisseur Andreas Senn erzählt in "Friss oder stirb" mit seinen Autoren Jan Cronauer und Matthias Tuchmann eine Kidnapper-Geschichte, in der die Hälften der Welt es miteinander zu tun bekommen, die High Society mit der Working Class. Passt ganz gut auch zum Marx-Jahr, das sich ja ebenfalls soeben verabschiedet.

Hier erscheint der aus Bremerhaven angereiste Proletarier Mike Liebknecht (Mišel Matičević) in einem großzügig geschnittenen Anwesen in der Schweiz und erhebt sich gegen den dort wohnenden CEO Anton Seematter (Roland Koch) und dessen Familie. Seematter ist einer, der Arbeitsplätze wegrationalisiert. Liebknecht, der seinen Job verloren hat, will eine Entschädigung und auch ein bisschen höhere Gerechtigkeit. Er fesselt Seematters Frau und die Tochter, die allerdings noch eine Gelegenheit nutzt, um sich auf dem Klo eine Ladung Koks einzuverleiben. Außerdem tippt sie #strange guy in meinem Haus in ihr Smartphone. Die rich kids mal wieder: immer auf der Suche nach dem Kick. Dazu gibt es einen interessanten Soundtrack, Johnny Cash singt "Oh, Danny boy, the pipes, the pipes are calling", was sich allerdings bedrohlicher anhört, als es ist.

Wenn der vulkanartige Mišel Matičević auf dem Bildschirm erscheint, hat man das unbestimmte oder sogar bestimmte Gefühl, es werde gleich alles in die Luft fliegen - das ist diesmal ansatzweise auch so. Allerdings, wer ihn vor gut einem Jahr in der Episode Borowski und das Fest des Nordens gesehen hat, dem kommt er hier geradezu zahm vor. Wenn es trotzdem doch mal zu aufregend wird, tritt der Regierungsrat Mattmann (Jean-Pierre Cornu ) aus den Kulissen hervor, eine der sonderbarsten Figuren im gesamten Tatort-Panoptikum. Mattmann nimmt jedes, aber auch jedes Tempo raus.

Irgendwann wird CEO Seematter gefragt, wo er am Abend vorher gewesen ist, und da sagt er: "Da war Sonntag, da schaue ich immer Tatort." Was, auf diese Kolumne bezogen, leider nicht mehr für die Kollegin Katharina Riehl gilt, die zwar womöglich weiter Tatorte schaut, aber sich die Freiheit nimmt, nicht mehr drüber zu schreiben. Für sie treten Claudia Tieschky und Cornelius Pollmer dem Kreis der Kolumnisten bei, Luis Murschetz wird ihnen das entsprechende Spurensicherungsgewand auf den Leib zeichnen. Und so geht es dann ins neue Jahr.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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