Letzter "Polizeiruf" mit Matthias Brandt:Es ist vorbei

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Der Erzählstuhl steht im Swingerclub: Die finale Episode für Matthias Brandt als Ermittler Hanns von Meuffels. (Foto: Christian Schulz/BR)
  • Der Polizeiruf 110 "Tatorte" ist der letzte Fall des Ermittlers Hanns von Meuffels.
  • Die Art, wie Matthias Brandt den Ermittler spielte, machte die Figur zu einer Ausnahmeerscheinung in der deutschen Krimilandschaft.
  • Regisseur und Drehbuchautor Christian Petzold hat aus "Tatorte" nun eine wunderbar surreale letzte Folge gemacht.

Von Claudia Tieschky

Dieser letzte Fall des Hanns von Meuffels befreit einen endgültig von dem sonntagabendlichen ARD-Ritual von Verbrechen und Aufklärung. Aber nicht nur den Zuschauer, sondern auch den von Matthias Brandt gespielten Kommissar im Münchner Polizeiruf 110. Es ist vorbei.

Eine Mutter wird von einem Mann vor den Augen ihrer kleinen Tochter erschossen, "Lauf!" ruft sie dem Kind sterbend im strömenden Regen zu. Am Mord fehlt es also nicht, es ist sogar ein besonders gemeiner. Die Frage, wer es war und warum, läuft dann aber seltsam belanglos nebenher. Christian Petzold, Buch und Regie, und sein Kameramann Hans Fromm machen daraus Bilder einer Ausstellung: das Repertoire des deutschen Fernsehkrimis.

Zum Beispiel mit der "dialogischen Methode". Das ist eines der Sperenzchen, mit denen die Assistentin von der Polizeischule kommt. Weil sie immer nur die Hälfte einer Info ausspuckt, Sätze mit Cliffhanger, muss Meuffels, der eigentlich ein Schweiger ist, immer die blödesten Dinge nachfragen. Wahnwitzigerweise klingt das Frage-Antwort-Frage-Ding im Ergebnis genau so, wie man es von vielen schlechten Fernsehkrimi-Dialogen kennt. Passend gibt es später auch noch einen "Erzählerstuhl", der im Swingerclub vor einer Alpentapete steht, wo in Adiletten gejodelt wird. Meuffels, dem Kieler Windigkeit fern ist, hat dann auch noch ein paar Szenen, in denen er rüberkommt wie eine Axel-Milberg-Parodie. Der Fall heißt "Tatorte", wie sonst.

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Denn in der Serie "Kidding" schneidet er nicht nur die exzentrischsten Grimassen der Branche. Er beweist auch, wie gut er öffentliche Personen darstellen kann, die um ihr Privatleben ringen.

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Dabei spielt diese Episode emotional und optisch ganz woanders, mit Einstellungen, die an das weite Land des frühen Wim Wenders erinnern oder die Stadt in berauschend hellkalter Schönheit zeigen.

Diese surreale Episode ist ein schönes, passendes Abschiedsstück für Matthias Brandt, der sich wieder anderen Rollen zuwenden möchte. Sein Hanns von Meuffels war der große Melancholiker unter den Ermittlern und der beständigste Autofahrer. Er hatte seit 2011 erschütternde Fälle ( Der Tod macht Engel aus uns allen) ein paar belanglose, einige spezielle und einfach irre gute ( Und vergib uns unsere Schuld). Aber vor allem hatte er sein Auto, das wie ein Schutzkäfig war, wenn er zu merkwürdigen bayerischen Menschen fuhr, zu den Lebenden und den Toten, durch Landschaften, die einfach vorbeizogen, ohne dass er sie wirklich erkunden musste. Es war seine Möglichkeit, jene Distanz zu halten, die der Melancholiker braucht, zumal der melancholische Mann. "Traurigkeit kann auch blöd machen", sagt Meuffels in seinem letzten Fall, als er wegen der Kollegin Constanze (Barbara Auer) jede Distanz verloren hat. Man kann sich da an die ersten Dialoge der beiden ( Kreise, das war 2015) erinnern, im Auto natürlich. Sie sagt, sie heiße nach einem Modemagazin, und er erweist sich als Kenner, seine Mutter las ja auch Magazine. "Hanns - was ist denn das für ein Heft", fragt sie. Logisch, ein Rätselheft, aber das sagt er ihr nicht.

Er spielte den Ermittler so, dass man immer dachte, da ist noch was. Aber man erfuhr nie, was

Der melancholische Meuffels war immer ein bisschen zu gut angezogen für die Gegenden, in die er geriet, als Polizist oder als Nighthawk, er kannte und benutzte die Stimulanzien seiner Einsamkeit, zu denen seltsamerweise ein Dampfbügeleisen gehörte, und klassische Musik. "Drei Jahrhunderte traurige Musik" läuft diesmal, im Autoradio natürlich. Beethoven, aber Mahler wäre auch passend, wegen der schönen, sich entziehenden Frau, Alma eben, aber Alma heißt hier Constanze. Sie war dabei in den von Petzold inszenierten Fällen, in denen Meuffels als Figur rätselhaft fernsehfremd und daher auch ganz bei sich war mit seinem Leiden am Verbrechen und der Welt hinter dem Autoglas.

Hat hier jemand Krimi gesagt? Brandt spielte Meuffels so, dass es immer eine Parallelhandlung gab, die nie erzählt wurde, nur mit dem, was in seinem Gesicht los war. So dass man neugierig dachte, da ist doch noch was, aber was es war, erfuhr man nie richtig. Das ist eigentlich unzulässig, weil man von Kommissaren, von denen man gar nichts wissen will, am Sonntagabend sonst viel zu viel bekommt.

Ein unbeherrschtes Scheusal ist Meuffels auch gewesen, er schreit die arme Assistentin Nadja (Maryam Zaree) mit der dialogischen Methode an. Da stehen sie im Wind am Tatort, der tatsächlich ein Autokino ist, und der Mann ist einfach unerträglich. Hör doch auf, denkt man. Einen schönen schulterzuckenden Auftritt hat dann Anna Maria Sturm, Meuffels' Kollegin Anna Burnhauser aus den ersten Jahren. Sie laufen sich über den Weg, sie ist kein Mädchen mehr und sie vergibt ihm nicht, aber sie macht ihn auch nicht fertig. Sie hilft ihm mit der Sim-Karte.

Mehrmals legt Meuffels in seinem letzten Fall nachts auf der Autobahn die Strecke von München nach Nürnberg zurück, zu Constanze, die bei ihm ausgezogen ist und an der Polizeischule mit der albernen Methode unterrichtet. Hanns von Meuffels strebt die bürgerliche Idylle an: Zweisamkeit, Bügeleisen, gemeinsame Playlists und Filme mit Stan und Olli. Auch so kann man ein Ende erzählen. Vielleicht fahren sie nächsten Sommer zusammen in die Toskana,während es sonst überall gibt: Tatorte.

Polizei ruf 110 - Tatorte, Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 15.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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