Die Mails kommen fast im Minutentakt. Auch über Twitter und Facebook melden sich Leser, um der Redaktion ihre Meinung und ihre Gedanken mitzuteilen. Auslöser der Anteilnahme ist ein Text, der im Rahmen des Recherche-Projekts veröffentlicht wurde. Darin geht es um die kritische Auseinandersetzung mit der Frage "Wo kommst du her?", die Menschen mit Migrationsgeschichte häufig gestellt wird. Und hinter der ein latenter Rassismus stecken kann.
"Moment mal" - Phrasen der Intoleranz:Ausgrenzen mit vier Worten
Wer Mohammad, Phuong oder Dhakiya heißt, bekommt die Frage "Wo kommst du her?" dauernd zu hören. Warum sich darin Rassismus versteckt und welche Erfahrungen unsere Leser mit noch schlimmeren Sätzen gemacht haben.
Ein Teil der Rückmeldungen bringt Lob und Zustimmung zum Ausdruck. Mehrere Leser schreiben, dass sie sich auch schon einmal unwohl gefühlt haben bei dieser Frage. Die Mehrheit jedoch ist irritiert und wendet ein, dass man mit dieser Frage lediglich sein Gegenüber kennenlernen wolle.
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Viele bringen auch ihren Unmut zum Ausdruck, diagnostizieren "künstliche Tabus" und eine "tiefgehende Verunsicherung der deutschen Gesellschaft".
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Sie verstehen die Argumente im Text als "Erziehungsversuche" in Sachen political correctness und finden sie "nervig".
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Die Vielzahl an kritischen Kommentaren hat den Autor ins Grübeln gebracht. Hat er überzogen? Ist es übertrieben, die Frage "Wo kommst Du her?" derart zu problematisieren? Ein Anruf bei Mutlu Ergün-Hamaz soll Klarheit bringen. Von einem Satz zu seinem Bühnenprogramm stammt die Idee zu dem Text.
SZ.de: Herr Ergün-Hamaz, haben Sie auf die Frage 'Wo kommst du her?' schon jemals "aus Mama" gesagt - wie in Ihren Lesungen?
Mutlu Ergün-Hamaz (lacht): Nein, ich glaube nicht, dass ich das privat schon mal gemacht habe, wenn, dann nur aus Spaß. Manchmal sage ich einfach, wie es ist. Dann erzähle ich, dass meine Eltern aus der Türkei kommen. Meistens benutze ich die kürzeste Antwortvariante und sage: 'Ich komme aus Berlin.'
Stimmt ja auch, Ihrer Biografie nach zu urteilen.
Ja, aber manchmal heißt es dann: 'Aber wo kommst du wirklich her? Oder wo kommt dein Name her?' Ist auch schon vorgekommen, dass ich genervt war von der Frage und mir irgendeinen Quatsch überlegt habe. Fantasiegeschichten. Einmal habe ich zum Beispiel erzählt, ich käme aus Schweden und als mein Gegenüber dann verwundert war, habe ich zurückgefragt: Wie muss denn deiner Meinung nach ein Schwede aussehen?
Was finden Sie denn so schlimm an dieser Frage?
Es geht weniger um meine persönlichen Erfahrungen als um die gesellschaftlichen Strukturen. Sehr oft, wenn die Frage einer nichtweißen, deutschen Person gestellt wird, dann schwingt etwas mit. Das Grundparadigma ist eben, dass Deutschsein gleich Weißsein bedeutet. Wenn also einer nichtweißen Person diese Frage gestellt wird, dann stecken unterschwellig weitere Fragen drin: Warum bist du braun? Wie kannst du Deutscher sein und braun? So wie du aussiehst oder heißt, kannst du gar nicht von hier sein.
Ist die Frage denn immer rassistisch?
Nein, pauschal würde ich das nicht sagen. Das kommt sehr auf den Kontext und auf den Unterton an. Wenn ein Tourist mich nach dem Weg fragt, vielleicht sogar auf Englisch, und ich frage ihn, wo er herkommt, dann ist das eine ganz normale Frage. Ist ja sofort klar, der hat jetzt nicht seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland, der ist nicht Teil unserer Gesellschaft. Auch wenn eine biodeutsche Person eine andere biodeutsche Person fragt ...
... also Personen, deren Eltern beide in Deutschland geboren wurden ...
...wenn die sich das gegenseitig fragen, ist es total harmlos. Vielleicht hat einer einen bayerischen Dialekt und der andere will dann wissen, woher genau er kommt. Das ist natürlich kein Rassismus. Es gibt ja keine strukturelle Diskriminierung von Bayern in Deutschland. Etwas anderes ist es, wenn eine weiße Person eine nichtweiße Person fragt 'Wo kommst du her?' und dann mit der Antwort, dass ich aus Deutschland komme, nicht zufrieden ist. Wenn dann noch einmal nachgebohrt wird, weil es ja nicht sein kann, dass jemand mit so einem Aussehen und so einem Namen aus Deutschland kommt, dann geht es in Richtung Rassismus.
Warum?
Weil diese vordergründig harmlose Frage eine Form der symbolischen Ausbürgerung sein kann. Ich verorte den anderen damit als Ausländer, als jemanden, der nicht dazugehört. Dass wäre alles nicht schlimm, wenn die Herkunft in Deutschland keine Rolle spielen würde. Das tut sie aber. Rassismus ist ein strukturelles Problem in unserer Gesellschaft. Menschen mit Migrationshintergrund sind auf dem Bildungsmarkt, auf dem Arbeitsmarkt und auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt. Sie werden wegen ihrer Herkunft diskriminiert. Dass sie von woanders kommen, spielt nun mal eine Rolle.
Viele, die uns geschrieben haben, finden es übertrieben, sich darüber aufzuregen. Sie fühlen sich verfolgt von einer imaginären Political-Correctness-Polizei. Was entgegnen Sie?
Ich sage ihnen: Ihr habt die Freiheit zu tun, was ihr wollt. Ihr habt das Recht, zu sagen, was ihr wollt und jede Frage zu stellen, die ihr wollt. Ihr müsst aber damit leben, dass der andere vielleicht irritiert oder verletzt ist oder dass dadurch Rassismus reproduziert wird. Wenn wir die ganze Debatte um political correctness mal weglassen, dann geht es letztlich um Empathie, darum, sich in den anderen einzufühlen. Einige Leute stört die Frage ja nicht, die erzählen dann eben von ihrer Familie. Viele andere dagegen denken sich: Nicht schon wieder. Ihnen tut die Frage weh.
Geben Sie es zu, Sie wollten selbst auch schon oft wissen, wo jemand her kommt.
Ja, natürlich. Ich verstehe, dass 'Wo kommst du her?' oft aus reinem Interesse gefragt wird und nett gemeint ist. Aber ich habe gelernt, diese Spannung auszuhalten. Ich habe gelernt, mich mit dieser Person zu unterhalten und nicht sofort nach ihrer Herkunft zu fragen. Kann ja sein, dass das Gespräch zufällig darauf kommt und das Gegenüber aus freien Stücken entscheidet, seine Geschichte mit mir zu teilen. Aber wenn nicht, dann lebe ich damit, nicht zu wissen, ob die Familie aus Afrika kommt oder aus Südamerika. Es nicht zu erfahren, hat mich nicht umgebracht.
Aber die Herkunft gehört nun mal zur Identität einer Person.
Das stimmt, aber sie ist eben nur ein Teil davon. Mir ist meine kulturelle Herkunft wichtig. Ich will meine alevitischen oder anatolischen Wurzeln nicht verstecken. Aber ich bin auch Bruder, Elternteil, Künstler, Akademiker und so weiter. Auf meine Herkunft reduziert zu werden - das ist zu wenig, das ist nicht alles, was ich bin.
In den Leserzuschriften kam auch das Thema Privatsphäre zur Sprache. Viele sagten, dass sie die Frage 'Wo kommst du her?' dazu zwinge, Familiendetails preiszugeben.
Woher kommen deine Eltern? Und deine Großeltern? Ja, das sind eben oft intime Fragen. Jeder und jede sollte aber selbst entscheiden können, wie viel der jeweiligen Lebensgeschichte er oder sie offenlegt. Wenn ich eine Person kennenlerne, dann frage ich ja auch nicht nach zwei Minuten: Stehst du auf Männer oder auf Frauen? Oder: Benutzt du Tampons oder Binden?
Ist das denn eine typische deutsche Frage: Wo kommst du her?
Kann sein. In Großbritannien, wo ich in den vergangenen Jahren gelebt und für meine Promotion geforscht habe, da bin ich manchmal auf meinen Akzent angesprochen worden. Aber wenn ich geantwortet habe, dass ich aus Deutschland komme, dann waren die zufrieden und ich wurde in den seltensten Fällen gefragt, wo ich denn wirklich herkomme.
Bis vor kurzem hieß es noch: Deutschland ist kein Einwanderungsland. Das hat sich geändert. Spielt womöglich bald die Frage der Herkunft keine Rolle mehr?
Ich glaube nicht, dass das automatisch passiert. Ich glaube, dass wir aktiv etwas dafür tun müssen. Schön wäre, wenn die Mehrheitsgesellschaft versteht: Es ist kein Widerspruch, Hüseyin zu heißen und deutsch zu sein. Es ist kein Widerspruch, Moslem und deutsch zu sein. Es ist kein Widerspruch, schwarz und deutsch zu sein. Dazu möchte ich mit meinen Lesungen beitragen. Diese Geschichte mit 'Woher kommst du?'und der flapsigen Antwort 'aus Mama', das lese ich immer wieder vor. Vorurteilen mit Humor zu begegnen, das ist eben eine von vielen verschiedenen Methoden. Mein Ansatz ist nicht, Menschen etwas zu verbieten oder die Moralkeule auszupacken. Ich glaube nur, dass es über Humor manchmal einfacher ist, die Menschen zum Nachdenken zu bringen.