"Wie ich euch sehe" mit einer Sexarbeiterin:"Männer können und wollen nicht treu sein"

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Sexarbeiterin Ramona: Deswegen dachte ich mir irgendwann, ich könnte auch Geld dafür nehmen. (Foto: Illustration Jessy Asmus für SZ.de)

Bei Prostitution denken viele an Zuhälter und Gewalt. Das alles gab es auch bei Sexarbeiterin Ramona. Sie kritisiert ihre Kunden heftig - und mag ihren Job trotzdem.

Von Barbara Vorsamer

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: ein Busfahrer, eine Polizistin, ein Stotterer, eine Kassiererin, ein Zahnarzt. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt die Sexarbeiterin Ramona D. aus ihrem Alltag.

Glaubt ihr auch, dass alle Prostituierten sofort etwas anderes machen würden, wenn sie könnten? Das stimmt nicht. Wir müssen auch nicht gerettet werden, wir wissen schon selbst, was gut für uns ist. Als freiberufliche Escortdame bin ich selbstbestimmter als viele andere Frauen.

Ich mache diesen Job seit 18 Jahren - meistens gerne. Ich war früh sexuell aktiv, hatte Freude daran und war immer offen für alles. Deswegen dachte ich mir irgendwann, ich könnte auch Geld dafür nehmen. Mit einem normalen Job kam ich ohnehin nie klar. Ich will keinen Chef haben, der mich herumkommandiert und bevormundet.

Allerdings ist es schon etwas anderes, ob man zum Vergnügen Sex hat oder als Beruf. Ich begann auf dem Straßenstrich, wo eine Prostituierte jeden nehmen muss, der daherkommt. Schnell hatte ich einen Zuhälter, es war der Klassiker: Ich hatte mich verliebt, zunächst war der Typ mein Freund, später dann hat er mich verkauft, geschlagen und eingesperrt - ist mir nicht nur einmal passiert. Mit Hilfe eines befreundeten Hotelbesitzers konnte ich abhauen. Ich fand einen Job in einem Nachtclub auf Sylt. Das war eine tolle Zeit und ich habe gut verdient. Sehr gut sogar.

Diese Zeiten sind leider vorbei, als Prostituierte kann man nicht mehr reich werden. Die Bedingungen sind schlecht, die Preise fallen und die Freier verlangen immer mehr. Vorspiel ohne Kondom ist inzwischen fast Standard, Analsex auch. Vor zehn, 15 Jahren haben das nur wenige Frauen angeboten und dafür dann richtig viel Geld genommen. Weil ich nicht bereit bin, das zu machen, arbeite ich nicht mehr im Bordell. Heutzutage bediene ich nur noch langjährige Stammkunden, weil ich mir aussuchen will, mit wem ich ins Bett gehe und was ich anbiete.

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In all den Jahren habe ich eine gute Männerkenntnis entwickelt und habe immer häufiger gesagt: Nein, mit dir nicht. Bei ungepflegten Männern zum Beispiel. Ihr könntet schon duschen, bevor ihr in den Puff geht! Schließlich wollen wir uns ja körperlich näherkommen. Bei anderen Freiern sehe ich schon am Blick, dass sie Frauen hassen und mich nur benutzen wollen. Mit denen gehe ich dann auch nicht mit. Ich sage es euch Männern, die in Bordelle gehen, ganz deutlich: Behandelt uns nicht wie ein Stück Fleisch! Wir sind Menschen.

Prostitution frisst die Seele auf

Eine Sexarbeiterin muss abgehärtet sein und es mögen, viel Sex mit vielen Männern zu haben. Sonst macht der Job keinen Spaß. Frauen, die anschaffen müssen - weil sie von einem Zuhälter gezwungen werden oder so dringend Geld brauchen, dass sie keine andere Wahl haben -, tun mir leid. Ich habe Frauen kennengelernt, die nach jedem Freier weinten. Die waren nach einem Monat im Bordell fertig.

Prostitution frisst deine Seele auf, das stimmt schon. Das geht sogar mir so, obwohl ich den Job mag. Mit Anfang 20 fand ich noch alles geil: Party, Geld, Sex, yeah! Je älter ich werde, desto weniger kann ich ertragen. Inzwischen empfinde ich sogar meine Stammkunden manchmal als Zumutung und möchte sie am liebsten von mir runter und aus dem Zimmer werfen. Wobei man in jedem anderen Beruf auch Tage hat, an denen man denkt: Ich will das alles nicht. Ihr müsst sicher ebenfalls oft Dinge tun, auf die ihr gerade keine Lust habt, oder ein Produkt verkaufen, von dem ihr nicht überzeugt seid.

Warum Männer in den Puff gehen? Sicher nicht, weil wir schöner sind als andere Frauen. Männer können und wollen einfach nicht treu sein. Freier sind notorische Fremdgeher. Sie gehen zu Prostituierten und beschweren sich dort, dass ihre Frau dieses oder jenes nicht mitmacht. Gefragt haben sie ihre Partnerin aber nie. Das verstehe ich nicht. Mir könnt ihr doch auch klar sagen, was ihr wollt. Doch anscheinend traut ihr euch das nur mit dem Geldschein in der Hand.

Manche Freier lieben ihre Frau wirklich. Aber glaubt ihr wirklich, dass regelmäßig ins Bordell zu gehen, kein Fremdgehen ist? Eure Frauen sehen das sicher anders. Für mich zumindest wäre es schrecklich, wenn mein Partner in den Puff gehen muss, weil ihn unser Sexleben nicht befriedigt. Meinem Freund erfülle ich daher jeden Wunsch, während ich meinen Kunden nicht alles erlaube. Die Grenze zwischen Beruf und Liebesleben zu ziehen, ist trotzdem schwierig. Wenn ich verliebt bin, habe ich keine Lust, mit anderen Männern zu schlafen. Da muss ich mich immer überwinden.

Freier glauben: "Ich habe bezahlt, ich darf alles"

Als Prostituierte mache ich einen Job, den viele Menschen für eine Grenzüberschreitung halten. Das heißt aber nicht, dass ich keine Grenzen mehr habe. Ich will mich noch im Spiegel anschauen können, außerdem habe ich Angst vor Krankheiten. Auch ihr solltet euch da Gedanken machen, bevor ihr wieder alles ungeschützt haben wollt. Ihr macht euch aber keine - und viele Mädchen können sich diese Bedenken nicht leisten.

Dabei dürft ihr sogar eure Vergewaltigungsphantasien mit mir ausleben - jedenfalls, wenn wir es vorher abgesprochen haben. Zum Beispiel hatte ich einen Freier, der wollte jedes Mal, dass ich ein weißes Kleid trage und ganz unschuldig tue. Dann hat er mich "missbraucht". Dabei habe ich mich immer gefragt: Was geht diesem Mann durch den Kopf, wenn er neben seiner Nichte sitzt? Und dann denke ich mir: Gut, dass er es mit mir macht und nicht mit dem Kind. Die Gesellschaft kann froh sein, dass es uns Huren gibt. Dann leben sich solche Männer bei uns aus und nicht woanders.

Absolut nicht okay ist allerdings, wenn ihr genau das macht, was wir vorher nicht abgesprochen haben. Leider passiert das immer häufiger. Durch das große Angebot an billiger Prostitution scheint ihr jegliche Hemmung verloren zu haben. Früher wurde ich gefragt: "Darf ich dich küssen?" Jetzt steckt ihr mir einfach die Zunge in den Hals.

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Für manche von euch mag es der Kick schlechthin sein, etwas gegen den Willen der Prostituierten zu tun. Doch das ist dann nicht Sexarbeit - sondern sexuelle Gewalt. Dass viele von uns Vergewaltigung als Rollenspiel im Repertoire haben, heißt nicht, dass ihr mit unseren Körpern machen könnt, was ihr wollt. Ihr verwechselt da etwas, wenn ihr glaubt: "Ich habe bezahlt, ich darf alles."

Sexarbeit sollte ein Job wie jeder andere sein

Ein großes Problem für Menschen in der Prostitution ist das Stigma. Man kommt aus der Branche nicht mehr raus, auch, weil man sich nicht einfach acht Jahre als Escort in den Lebenslauf schreiben kann. Da nimmt einen doch keine normale Firma mehr. Ich würde mir wünschen, dass Sexarbeit als Job wie jeder andere angesehen wird. Der Staat verdient schließlich auch gut an der Prostitution, viele von uns bezahlen mehrere Tausend Euro Steuern im Jahr.

Glaubt mir: Den Job machen mehr Frauen als ihr denkt. Es gibt nur keine zu.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de . Wir melden uns bei Ihnen.

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