Von der Uni ins Schloss:Herr und Diener

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Der Politikstudent Constantin Trettler hat ein Schloss geerbt - nun pendelt er zwischen seiner Kreuzberger Wohngemeinschaft und dem eigenen Hotel.

Titus Arnu

Constantin Trettler geht auf das schwere Holztor zu, drückt es auf, steigt ein paar Stufen über den roten Teppich hinauf in die Eingangshalle - und ist plötzlich in einer anderen Welt. Trettler schreitet durch die langen Flure des Anwesens, unter seinen Füßen knarren alte Dielen. Mit gedämpfter Stimme weist er auf Sichtachsen, Kronleuchter und antike Möbel hin. Gerade vor zwei Stunden noch war Trettler in Berlin an der Freien Universität, nun hat er seinen Kleinwagen auf dem Parkplatz vor Schloss Kittendorf abgestellt, neben drei Luxuslimousinen.

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Wenn der 30-Jährige das Schloss Kittendorf betritt, ändert sich seine Körperhaltung. Gerade noch hing er lässig hinter dem Steuer seines Autos und duzte seinen Fahrgast, nun wirkt er ein wenig steif und wechselt automatisch zum Sie. Khaki-Hose, Turnschuhe und T-Shirt tauscht er mit seiner Arbeitskleidung aus. Er trägt einen dunklen Anzug, weißes Hemd und Krawatte, geht in sein Büro neben der Empfangshalle und drückt auf den Startknopf des Computers.

Es ist Freitagabend, und Trettler schaltet um von Student auf Schlossherr. Er führt ein anstrengendes Doppelleben: Von Dienstag bis Donnerstag lebt der 30-Jährige in einer WG in Kreuzberg und studiert an der Freien Universität Publizistik und Politik. Freitags bis montags ist er Hotelchef und Schlossbesitzer. Wahrscheinlich sei er der jüngste Schlossherr Deutschlands, sicher aber der einzige Student, der in Mecklenburg-Vorpommern ein Hotel betreibt, sagt er. Und was für eins: Das im Tudorstil gehaltene Anwesen hat 28 Gästezimmer, es gibt ein edles Restaurant, eine Orangerie mit viel Marmor und Grün, mehrere Säle und eine Bibliothek, in der Lesungen stattfinden. Im schlosseigenen Trausaal werden an Wochenenden Hochzeiten gefeiert. Das gelbe Gebäude mit den spitzen Türmchen ist umgeben von einem weitläufigen Landschaftspark, in dem Füchse, Rehe, Hasen und Otter leben.

Trettler steht auf der Terrasse und schaut dem Storch zu, der unten am Teich durch den Sumpf stakst und kurz davor ist, einen Frosch aufzuspießen. Die Abendsonne lässt die ockerfarbenen Wände seines Schlosses aufflammen. Jetzt wäre der Moment, etwas Stolzes, Würdiges, Schlossherrenhaftes zu formulieren, aber Constantin Trettler sagt nur: "Es ist nicht gerade ein Jackpot, den ich da gewonnen habe." Denn erstens wollte er das Schloss ursprünglich gar nicht haben, zweitens bringt es ziemlich viel Arbeit mit sich, drittens kostet es ihn ziemlich viel Geld.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Constantin Trettler sein Studium zurückstellte und sich lieber um das Schloss kümmerte.

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Das Schloss gehört zwar nicht zu den Super-Luxus-Fünf-Sterne-Adressen, es ist aber aufwendig mit klassisch-antiken Möbeln eingerichtet. Eine Wellness-Abteilung gibt es nicht, dafür ist der Aufenthalt preiswert; eine Übernachtung im Doppelzimmer kostet in der Hochsaison um die 60 Euro pro Person. Der Ertrag, den das Hotel bringt, fließt komplett in den Betrieb und die Instandhaltung. Zehn Angestellte kümmern sich um das Anwesen und die Gäste, Trettler arbeitet an den Wochenenden mit und serviert auch öfters mal das Frühstück.

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Zu seinem Schloss kam Constantin Trettler eher nebenbei. Sein Vater Johann Trettler, ein Versicherungsunternehmer, hatte das Gebäude nach der Wende von der Treuhand gekauft und mit großem Aufwand restauriert. Als die Trettlers das Gebäude entdeckten, war es komplett mit wildem Wein überwuchert. Der Putz war abgeblättert, der Park komplett verwildert, im Kuppelsaal war ein Loch, durch das man in den Himmel schauen konnte. Das Gebäude hatte zu DDR-Zeiten als Internat gedient und stand seit 1986 leer. "Es sah bezaubernd aus", erinnert sich Trettler, "wie ein Dornröschenschloss." Für 250000 Mark kaufte sein Vater das Objekt 1992 von der Treuhand. Die Sanierung dauerte Jahre und verschlang ein Vielfaches der Summe.

Ritterromantik und Jagdtrophäen

Wie viel Liebe und Arbeit Johann Trettler in sein Eigentum gesteckt hat, merkt man an vielen Details. Das Schloss wurde um 1848 vom Schinkel-Schüler Friedrich Hitzig erbaut, im englischen Tudor-Stil, der sich durch hohe, spitz zulaufende Bögen auszeichnet.

Diese Bögen finden sich im ganzen Haus wieder, in Fensterformen und auf Tapetenmustern. Im Treppenhaus hängen Jagdtrophäen aus dem 19. Jahrhundert, die Möbel hat Trettler senior bei Antiquitätenhändlern in ganz Europa zusammengekauft. Neben dem Hirschkopf im Treppenhaus ist das Familienwappen der Trettlers in ein Fenster eingelassen, die Buchstaben T und R, gelb auf blauem Grund. Das Wappen der ersten Schlossherren von Kittendorf ist in der Bibliothek zu sehen: Ein Ritter formt ein O. Die von Oertzens, die das Schloss erbauten, sind auf der anderen Straßenseite gegenüber vom Schloss begraben.

Mittlerweile heimisch geworden

Die Geschichte des Schlosses ist auch Constantin Trettlers Geschichte. Denn er wäre nicht hier, wenn sein Vater nicht im Jahr 2002 an Krebs erkrankt wäre. Der Sohn kümmerte sich zwei Jahre lang um den kranken Vater - und mehr und mehr auch um den Hotelbetrieb. "Ich bin froh um diese Zeit", sagt Constantin Trettler, denn er konnte sich langsam mit dem Schloss anfreunden und sich von seinem Vater verabschieden. Johann Trettler starb im Jahr 2004 mit 58 Jahren - sein Sohn stand nun vor der Frage, wie er weitermachen sollte. Er entschied sich, das Studium zurückzustellen und das Werk seines Vaters fortzuführen.

Sein Verhältnis zum Schloss hat sich über die Jahre verändert. Früher kam er nur an Feiertagen, mittlerweile verbringt er fast jedes Wochenende hier. "Für meinen Vater war es eher Schloss als Hotel, er wollte vor allem die historische Atmosphäre des Ortes bewahren", sagt Constantin Trettler. Für ihn selbst ist es umgekehrt. Im Schloss ist er mittlerweile heimisch geworden, aber er ist in Westberlin geboren und aufgewachsen, dort ist sein Zuhause. Nach anfänglichen Berührungsängsten kommen auch die Leute aus dem Dorf manchmal in den Schlosspark, etwa zu Gottesdiensten unter freiem Himmel.

Das Schloss sei eine "Herausforderung", sagt der junge Hotelchef, aber auch ein "Projekt". Sein eigentliches Berufsziel, die politische Pressearbeit, hat er zurückgestellt. Zwischendurch würde er gerne ein normales Studentenleben genießen, aber das ist nicht so einfach. Während sich seine Kommilitonen am Wochenende in Berliner Clubs vergnügen oder in Ruhe lernen, muss er sich um eine Hochzeitsgesellschaft kümmern oder Probleme mit einem defekten Lüfter lösen.

Die wenigsten seiner Berliner Bekannten wissen, dass er Großgrundbesitzer ist. Manchmal lädt er Freunde übers Wochenende ein. Platz genug hat er ja. Und es klingt wirklich extrem cool, wenn man zu seinen WG-Kumpels sagen kann: "Kommt mich doch mal in meinem Schloss besuchen."

© SZ vom 23.06.2009/apet/bre - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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