Dem Geheimnis auf der Spur:Satanische Zeichen

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Im Kloster der sizilianischen Stadt Palma di Montechiaro erschien der Nonne angeblich Luzifer. (Foto: Francesca Sciarra /mauritius images)

Der Teufel diktierte einer Nonne vor 350 Jahren angeblich einen verschlüsselten Brief. Erst seit Kurzem weiß man, was darin steht.

Von Sofia Glasl

Der Teufel ist ja schon seit einiger Zeit im Amt und hat allerlei Gläubige verführt. Da ist es nur nachvollziehbar, dass er ab und an nach neuen Herausforderungen sucht. Um größtmöglichen Schaden anzurichten in der Heerschar der Gottesfürchtigen, ist es also naheliegend, die Hürden höher zu setzen - entweder durch besonders attraktive Opfer, wie sie etwa im Klerus zu finden sind, oder mit dem Versuch, besonders nachhaltig diabolische Verwirrung zu stiften.

Für die Nonnen im Benediktinerkloster der sizilianischen Stadt Palma di Montechiaro waren die Ereignisse, die sich hier 1676 angeblich zutrugen, ein solcher satanischer Akt. Die 31-jährige Ordensfrau Maria Crocifissa della Concezione wurde demnach am 11. August des Jahres morgens in ihrer Zelle kauernd aufgefunden, verstört und eine Gesichtshälfte mit schwarzer Tinte beschmiert. In den Händen hielt sie ein verschüttetes Tintenfass sowie einen seltsamen Brief - eine Aneinanderreihung von kryptischen Zeichen. Sie versicherte, dies sei ein Schreiben des Teufels, vom Leibhaftigen persönlich diktiert. Nach ihrem vergeblichen Kampf mit den Dämonen habe er sie gezwungen, das Pamphlet niederzuschreiben.

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:Perfekt verschlüsselt

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Nicht mal die Ordensfrau selbst konnte später das Text-Kauderwelsch entziffern

Das einzige Wort, das darauf angeblich zu entziffern war, steht ganz am Ende, wie eine Art Unterschrift. Es ist ein Wehklagen, ob der teuflischen Versuchung: "Ohimè - ach weh!" Wer sich die verfügbaren Fotos des Briefes näher anschaut, wird allerdings Probleme haben, selbst diesen Ausruf aus dem Gekrakel herauszulesen. Nicht mal Maria selbst konnte nachträglich das Text-Kauderwelsch entziffern - Runen, griechische sowie arabische Buchstaben sind zwar zu erkennen, ergeben jedoch auf Lateinisch oder Italienisch keinen Sinn. Steckte dahinter vielleicht ein geheimer Code, eine verschlüsselte Botschaft? Für ihre Ordensschwestern stand jedenfalls fest: Maria war in der Nacht vom Teufel besessen gewesen und zu dessen Medium geworden.

In etwa so wurde Maria Crocifissas Geschichte mehr als 300 Jahre lang kolportiert. Der Brief ist im Archiv des Klosters erhalten, ebenso ein offizieller Bericht der damaligen Äbtissin Maria Serafica della Concezione, aus dem die Insel auch heute noch gerne auf ihrer Tourismuswebseite zitiert. Zwei weitere Schreiben verbrannten die Schwestern aus Angst vor deren Inhalt. Weshalb sie dann überhaupt einen Brief der Nonne aufhoben, ist nicht klar. Die Neugier überwog wohl jahrhundertelang die Sorge vor teuflischen Formeln und Beschwörungen.

Möglicherweise wäre der Fall in Vergessenheit geraten, wäre nicht der Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa darauf aufmerksam geworden. Das kam nicht von ungefähr, denn Maria Crocifissa war eine entfernte Verwandte - ihr bürgerlicher Name lautete Isabella Tomasi di Lampedusa. Giuseppe reiste 1955 nach Palma die Montechiaro, um sich die Dokumente selbst anzusehen, und schien von Isabellas Geschichte beeindruckt zu sein. In seinem Klassiker "Der Leopard" von 1958 lässt er ein Kapitel im Konvent spielen und verewigte Isabella als Beata Corbera. Sein Kollege Andrea Camilleri, Krimiautor und ebenfalls Sizilianer, soll in den Sechzigerjahren sogar in einer Zeitung zu einem Wettbewerb aufgerufen haben. Gewinn für die Person, die den Brief entschlüsseln würde: ein mehrwöchiger Aufenthalt im Kloster.

Die Entschlüsselung gelang mit einem Algorithmus aus dem Darknet

Wie dringlich es dem Kloster an der Entzifferung gelegen war, ist nicht abschätzbar. Eine Widerlegung der Legende erscheint hier nicht ausgeschlossen und könnte die schöne Geschichte der Nonne, die vom Teufel besessen ist, zunichte machen. Nach dem Vorfall lebte Maria, so die Überlieferung, in regelrechter religiöser Unterwerfung und im Dienste des Konvents. Sie starb 1699 und wurde 1797 zur ehrwürdigen Dienerin Gottes ernannt, ein Titel, der für besondere Martyrien verliehen wird. Hätte sich nun nachträglich herausgestellt, dass der "Teufelsbrief", wie er bald hieß, höchstens wirres Kauderwelsch, ein Notizzettel oder vielleicht sogar nur ein profanes Kochrezept war, hätte vermutlich die Kirche mehr gelitten, als ein wissenschaftliches Echtheitszertifikat ihr genützt hätte.

Erst im Jahr 2017 gab ein kleines sizilianisches Forschungsinstitut einen Teilerfolg bekannt: Daniele Abate, der Leiter des Ludum Science Center im sizilianischen Catania, erklärte in Interviews mit La Stampa und der Times, seinem Team sei es endlich gelungen, die meisten der 14 Zeilen des Briefes zu entschlüsseln. Ihre Wunderwaffe: ein Algorithmus aus dem Darknet, den angeblich auch Geheimdienste verwenden und der es ermöglichte, Schriften aus mehreren Sprachen einzuspeisen und mithilfe einer Häufigkeitsverteilung zu analysieren, welches Schriftzeichen für welchen Buchstaben steht. Und siehe da, es gelang den Wissenschaftlern, den jahrhundertealten Code zu knacken: Maria Crocifissa hatte sich tatsächlich ein Fantasie-Alphabet ausgedacht und darin ganze Sätze formuliert.

Das Tourismusamt von Palma di Montechiaro wird vermutlich aufgeatmet haben, denn tatsächlich ist der Text ein ketzerisches Pamphlet, das den Katholizismus zu einer Erfindung des Menschen und Gott zu gedanklichem Ballast erklärt. Abate kommentiert in Interviews, Marias Alphabet sei zu ausgeklügelt und logisch, als dass man ihr totalen Wahnsinn unterstellen könne. Ihre Mehrsprachigkeit erklärt, wie sie auf das zusammengewürfelte Sammelsurium kam. Abate vermutet, sie sei - zu dieser Zeit natürlich undiagnostiziert - schizophren gewesen und habe deshalb an Wahnvorstellungen und Erinnerungslücken gelitten. Und der Teufel? Der steckte wie so oft im Detail: Der Brief ist bis heute immer noch nicht vollständig entschlüsselt.

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