Dem Geheimnis auf der Spur:Massive Rätsel

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Nur an der Fundstelle Finca 6 liegen die Felskolosse noch an ihrem ursprünglichen Platz. (Foto: James L. Peacock/mauritius images/Alamy Stock Photos)

In Costa Rica stellen mehrere Hundert riesige Steinkugeln die Archäologen vor fast unlösbare Fragen.

Von Florian Welle

Die Arbeiter der United Fruit Company dürften im Jahr 1939 nicht schlecht gestaunt haben. Eigentlich sollten sie im feuchten und unwegsamen Dschungel von Costa Rica neues Land für Bananenplantagen gewinnen. Plötzlich aber stießen sie bei ihren Rodungsarbeiten auf eine große Zahl fast perfekt gerundeter Steinkugeln aus längst vergangenen Tagen.

Wer aber hat diese ungewöhnlichen Kugeln von kleinen 0,7 bis stattlichen 2,50 Meter und mehr Durchmesser angefertigt, die im Diquís-Delta im Süden des mittelamerikanischen Landes an verschiedenen Orten gefunden wurden? Und wie und aus welchem Grund? So oder so ähnlich könnten die Fragen gelautet haben, die sich ihre Entdecker einen Moment lang gestellt haben. Und die heute noch Archäologen beschäftigen.

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Denn obwohl man bereits in den frühen Vierzigerjahren mit der Erforschung der Las Bolas begann, konnte man ihnen bisher nur wenige ihrer vielen Geheimnisse entlocken. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Arbeiter die steinernen Relikte, die über Jahrhunderte verborgen unter Schichten von Sediment im Dschungel ruhten, beim Auffinden mit ihren schweren Baggern beschädigten.

Ein Gerücht besagte, dass die Kugeln mit Gold gefüllt waren

Viele wurden zudem von ihrem Fundort abtransportiert, um sie über das ganze Land verstreut als Haus- und Gartendekoration zu verwenden. Ein paar fanden dabei sogar den Weg ins Ausland. So ziert seit den Siebzigerjahren eine Steinkugel die Botschaft von Costa Rica in Washington. Mitunter sprengte man auch einige der einzigartigen Sphären, weil das Gerücht umging, ihr Inneres wäre mit Gold gefüllt. Was sich natürlich als falsch herausstellte.

Archäologen treffen heute deshalb vor Ort nur noch in Ausnahmefällen auf ihre ursprüngliche Anordnung, sodass über den wahren Verwendungszweck weiterhin spekuliert wird. Auch die genaue Datierung der altertümlichen Kostbarkeiten, von denen derzeit mehr als 300 Stück bekannt sind, fällt trotz Radiokarbonmethode und der Hinzuziehung ausgegrabener Töpferware schwer. Die Wissenschaft schätzt, dass sie mutmaßlich zwischen 300 und 1500 n. Chr. von präkolumbischen Gesellschaften angefertigt wurden, ehe diese mit der Ankunft der Spanier untergingen und mit ihnen das Wissen um die Monolithen. Denn klar ist: Ihre wunderbar runde Form ohne Ecken und Kanten ist nicht etwa natürlichen Ursprungs, sondern technisch und künstlerisch äußerst begabte Handwerker bearbeiteten das überwiegend granitartige Gestein, Gabbro genannt, vermutlich mit Hammer, Meißel und Schleifmitteln, etwa Sand. Das legen Werkzeugspuren an den Steinen nahe. Ebenso könnte große Hitze zum Einsatz gekommen sein.

Waren die Kugeln früher, wenn überhaupt, aus Steven Spielbergs 1981 erschienenem Abenteuerfilm "Jäger des verlorenen Schatzes" bekannt, in dem der unverwüstliche Archäologen-Haudrauf Indiana Jones beinahe von ihnen zermalmt wird, erlangten sie drei Jahrzehnte später weit größere Bekanntheit. Im Jahr 2014 wurden die vier bedeutendsten Fundorte wegen ihres "herausragenden Wertes für die Menschheit" in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen. Spätestens von da an blickten die Einheimischen mit Stolz auf ihr kulturelles Erbe, das mittlerweile zu den wichtigsten Touristenattraktionen des Landes zählt. Besucher können sich darüber im Museo Nacional de Costa Rica in der Hauptstadt San José informieren.

Oder direkt vor Ort. Von den vier Welterbestätten Batambal, Grijalba 2, El Silencio und Finca 6 in der Provinz Puntarenas ist letztere die prominenteste, ein Besucherpark inbegriffen. Zwar sticht Grijalba 2 mit seinen Artefakten aus muschelreichem Kalkstein hervor, und das auf einer Terrasse des Río Térraba gelegene Gebiet El Silencio wartet mit dem größten bislang gefundenen Felskoloss auf. Dieser wiegt bei einem Durchmesser von mehr als 2,50 Metern etwa 24 Tonnen. Dafür ist das Dorf Finca 6 das einzige Fundgebiet, an dem sich die Kugeln noch an ihrem ursprünglichen Standort bewundern lassen. Auf dem Diquís-Welterbe-Portal im Internet erfährt man, dass sie neben zwei riesigen künstlichen Hügeln an einem öffentlichen Platz liegen: "Zwei parallele Anordnungen mit einer ungefähren Ost-West-Ausrichtung", die auf einen Zusammenhang mit Sonnenaufgang und Sonnenuntergang schließen lassen.

Waren die Riesenkugeln nur ein Statussymbol?

Hatten die Sphären also eine astronomische Funktion, repräsentierten sie vielleicht ein Sonnensystem? Für Archäologen deutet ihre Anordnung durchaus darauf hin. Viele Kugeln dürften jedoch eine andere Bedeutung besessen haben. So könnten sie in den hierarchisch aufgebauten Siedlungen als Markierungssteine für öffentliche Versammlungsorte gedient haben. Oder sie wurden vor den Häusern der Anführer als eine Art Statusobjekt aufgestellt, um Prestige und Macht zu signalisieren.

Eine weitere Möglichkeit deutet das Diquís-Welterbe-Portal an. "Es ist wahrscheinlich", heißt es da, "dass die Kugeln von der mächtigsten Gemeinschaft an untergeordnete oder verbündete Gruppen geschickt wurden, um das Gebiet unter ideologischer, wirtschaftlicher und militärischer Kontrolle zu halten." Je größer sie waren, umso einflussreicher die Siedlung. Indes ist eine Verbindung zur mythischen Insel Atlantis, die so mancher schon gerne herbeifantasiert hat, ebenso unsinnig wie die Annahme, Außerirdische hätten ihre Finger im Spiel gehabt.

So stellen die Las Bolas von Costa Rica die Forschung weiterhin vor Rätsel. Ungeklärt ist, wie die Felsen überhaupt an ihre späteren Standorte gelangen konnten. Diese nämlich verfügten selbst über keine Steinbrüche. Und warum wählte man überhaupt die Kugelform? Vielleicht, weil sie in vielen Kulturen seit alters her als Sinnbild für Vollkommenheit steht?

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